Gentrification im Visier der Sicherheitsbehörden

In einem Beitrag auf seinem Blog gentrificationblog.wordpress.com wirft der Stadtsoziologe Andrej Holm einen Blick auf den Umgang des Staates mit Befunden über und Protesten gegen Gentrifizierung.
Mehrere Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit weisen darauf hin, dass diese staatlicherseits als Sicherheitsproblem wahrgenommen, beobachtet und behandelt werden.

Auch in Leipzig: seit über einem Jahr arbeitet die AG Stadtentwicklung des Kriminalpräventiven Rates (ein Gremium von Polizei und Stadtverwaltung)  mit dem Ziel „aktuelle Stadtentwicklungsprozesse in Connewitz zu untersuchen und Lösungsansätze für problematische Entwicklungen zu erarbeiten“. Begründet wird die Konstituierung dieser AG unter Leitung des Polizeioberrates Frank Gurke unter anderem mit “ gewalttätigen Protest gegen vornehmliche Gentrifizierungsprozesse“.

In Reaktion auf wahrgenomme Veränderungen auf dem Wohnungsmarkt und in Bezug auf das Klima im Stadtteil wurden von Initiativen, Vereinen und Projekten im Stadtteil  im vergangenen Jahr zahlreichen Veranstaltungen und Diskussionsrunden zum Thema Gentrifizierung auf die Beine gestellt.
Im Gegensatz zur Arbeit der AG des Kriminalpräventiven Rates lief und läuft dieser Diskussionsprozess transparent, war und ist von der Zivilgesellschaft initiiert und versucht Ursachen von Unzufriedenheit und auch Sachbeschädigungsaktionen an Sanierungsprojekten und Stadthäusern aufzuarbeiten. (siehe hier und hier)
Die AG des Kriminalpräventiven Rates dagegen scheint die Problematik vor allem sicherheitspolitisch herzuleiten.
Ähnliche Beispiele sind bundesweit festzustellen.
Protest gegen unsoziale Veränderungen im Bereich Wohnen werden stärker, weil sich der Wohnungsmarkt vielerorts im Umbruch befindet. Leidtragende von Aufwertung und steigenden Mieten  sind vor allem sozial benachteiligte Menschen, was durchaus auch PolitiaktivistInnen betrifft.
Wenn Protest gegen diese Veränderungsprozesse sich organisiert und politisch gibt, oder sich gar mit Aktionen des zivilen Umgehorsams (wie z.B. die Verhinderung von Zwangsräumungen) oder Aneignung (Hausbesetzungen) Raum verschafft (;), werden insbesondere die Sicherheitsbehörden hellhörig.
Dass dann auch das „Extremismusministerium“ von Kristina Schröder die wissenschaftliche Unterfütterung des staatlichen Vorgehen gegen Mieten- und stadtentwicklungspolitisch Engagierte vorantreibt, ist kaum verwunderlich. So wurde das Conne Island vor kurzem angefragt an einem Leitfrageninterview teilzunehmen, das auch „Gentrifizierung in Connewitz“ zum Thema haben sollte. Das Befragungsprojekt ist Bestandteil des von Schröders Ministerium und will „systemisch-lösungsorientierte und online-basierte Ansätze im Themenfeld Linksextremismus” entwickeln.

>>> Im Interview mit Andrej Holm haben wir das Thema ein wenig vertieft. (linksdrehendes radio auf Radio blau, 15.2.2013)

Summa Summarum ist es wichtig die Augen offen zu halten, zum Beispiel bei dubiosen Befragungen (derzeit kursiert eine von der Uni Leipzig, die in eine ähnliche Richtung wie die Erwähnte zu gehen scheint) und sich vor allem von Kritik und Protest gegen soziale Kämpfe nicht abbringen zu lassen.

 

– Zu Gentrifizierungstendenzen in Leipzig-Connewitz schreiben Prof. Dr. Dieter Rink (stellvertretender Leiter des Departments Stadt- und Umweltsoziologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH – UFZ) und Romy Zischner (wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geographie der Universität Leipzig) im Statistischen Quartalsbericht II/2012 der Stadt Leipzig (download als pdf):

[…]

Fasst man die unterschiedlichen Facetten des Wandels im Stadtteil zusammen, so lassen sich in der Tat in Connewitz einige Indizien finden, die mit dem Konzept der Gentrifizierung zu interpretieren sind. So sind seit Jahren bauliche Veränderungen vor allem in Form von flächenhaften Gebäudesanierungen, aber auch durch Verdichtung (der Errichtung von Mehr- und Einfamilienhäusern) zu erkennen. Die sozialen Veränderungen haben zu einem weitgehenden Wandel der Bewohnerstruktur geführt. Der kulturelle Wandel manifestiert sich im veränderten Image, in einer Reihe von (sub-)kulturellen und gastronomischen Einrichtungen sowie anderen Infrastrukturen. Nicht zuletzt sind hier auch neue urbane Lebensstile und Milieus zu nennen. Das für Gentrifizierung zentrale Merkmal der Verdrängung müsste in Connewitz wissenschaftlich genauer verifiziert werden. In den öffentlichen Veranstaltungen wurden zwar Mietsteigerungen und Verdrängung diskutiert, es wurden jedoch nur einzelne konkrete Beispiele für Verdrängung in Connewitz genannt. Die Veränderungen in den unterschiedlichen Wohnungsteilmärkten, insbesondere die damit verbundenen Mietsteigerungen, die mittlerweile auch schon Bestandsmieten betreffen, haben offensichtlich Verdrängungsdruck aufgebaut. Dieser wird auch durch die Neuinanspruchnahme von Freiräumen (Frei- und Gewerbeflächen) gespeist, die bislang der alternativen bzw. subkulturellen Szene offen standen. Diese Entwicklungen bilden offenbar den Hintergrund für die derzeit geführten öffentlichen Debatten und politischen Auseinandersetzungen um Gentrifizierung in Connewitz.

[…]

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