Pünktlich vor dem Jahreswechsel wird das Connewitzer Kreuz durch Polizei und Medien zum Sicherheitsrisiko gemacht. Dies geschieht nicht ohne Kalkül. Schließlich gilt es den Mythos des gefährlichen Ortes aufrechtzuerhalten, eine Legitimation für die nunmehr fast 11-jährige Videoüberwachung und für die Maßnahmen von Polizei und Ordnungsbehörden in der Silvesternacht selbst zu schaffen. Denn dann heißt es wieder: Verbot des Alkoholausschankes auf die Straße, Einstellung des Öffentlichen Personennahverkehrs und massive Präsenz von PolizistInnen in Kampfmontur.
Aushänge der Polizei verkünden as every year, dass Sicherheitsmaßnahmen und Polizeieinsatz zum Jahreswechsel ganz „normal“ wären um die „öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten und Störungen bei Silvesterveranstaltung und privaten Feiern zu verhindern“.
Hieran lässt sich die Funktionsweise des bürgerlichen Staates bilderbuchhaft nachzeichnen. Er versucht mit allen Mitteln – Videoüberwachung, Polizeipräsenz oder eben ordnungspolitischen Maßnahmen wie einer Allgemeinverfügung – die Kontrolle über einen umkämpften öffentlichen Raum zu gewinnen. Legitimation für diese Maßnahmen wird durch konzertierte Öffentlichkeitsarbeit geschaffen. Ob freilaufende Hunde, die OrdnungsdienstmitarbeiterInnen angreifen oder eine Schneeballschlacht, die sodann zur Massenschlägerei hochstilisiert wird – negativ-Schlagzeilen aus Connewitz stehen hoch im Kurs und treffen auf Zustimmung wie die Kommentare auf lvz-online zu gut illustrieren. Die so geschaffene Stimmung ermöglicht die alljährliche Ausrufung eines Ausnahmezustandes, dem mit adäquaten Maßnahmen beigekommen wird.
Es ist durchaus respektabel, dass der Leipziger Polizeipräsident in einem Interview in der LVZ vom 18.12.2010 einräumt, dass die mehreren Hundert Menschen, die an dem zentralen öffentlichen Ort im Leipziger Süden traditionell den Jahreswechsel feiern, keine „radikalen Chaoten“ und „Störer“ sind. Die nicht mehr ganz neue Strategie der Ordnungsmacht setzt auf Kommunikation und Einbindung statt auf die brachiale Law-and-order-Keule. Sie funktioniert bis die eine Seite nicht „über die Stränge“ schlägt und die einseitig (staatlicherseits) definierte Grenze überschreitet.
Im selben Interview kündigt Polizeipräsident Horst Wawrzynski außerdem an, dass seine Einsatzkräfte in der Silvesternacht im gesamten Stadtgebiet gleichermaßen präsent sein werden. Im Fokus ist dabei auch Großzschocher, wo Nazis seit zwei Jahren in der Silvesternacht ihre Marker setzen. Der Ortsteil Großzschocher ist seit geraumer Zeit schwerpunktmäßiges Aktionsgebiet von jugendlichem Nachwuchs der so genannten „Freien Kräfte“, die sich selbst das Label „Viva la Zschocheria“ gegeben haben. Zum Jahreswechsel 2008/ 2009 traten Protagonisten dieser Gruppierung im Bereich Dieskaustraße/ Huttenstraße mit angezündeten Containern und Barrikaden das erste Mal auf den Plan, ein Jahr später attackierten sie am selben Ort eine Straßenbahn und verwüsteten die dortige Sparkasse (siehe: GAMMA Herbst 2010).
Die Forderung nach mehr Polizeipräsenz gegen die Nazi-Action im Südwesten allerdings würde bedeuten sich dem offiziellen Sicherheitsverständnis anzuschließen, der zu gern die „extremen Ränder“ der Gesellschaft als Begründung für eine restriktive Sicherheitspolitik nutzt. Die Installation der Videokamera am Connewitzer Kreuz erfolgte vor 11 Jahren ganz genau in diesem Begründungszusammenhang (linksautonome Randale).
Ein guter Vorsatz für das Jahr 2011 könnte also sein, das staatlich-städtische Ordnungsverständnis kritisch zu befragen und explizit die Videoüberwachung am Connewitzer Kreuz zum Thema zu machen.
Ein Gedanke zu „Silvester 2010 – The same procedure as every year“