Landtag: Rede zur Reform der Zuständigkeiten bei Asylanträgen in der EU („Dublin-Übereinkommen“)


Meine Rede zum Antrag der AfD zur Reform der Dublin-IV-Verordnung

Heute erleben wir das übliche Spiel: Die AfD nimmt Positionen der CDU auf und versucht die CDU vor sich her zu treiben. Das sollen sie tun, das ist nicht unser Business als LINKE.

Was uns inhaltlich etwas angeht, ist der EU-Parlaments-Vorschlag zur Reform der Dublin-Regelung. Die AfD will eine progressive Neuregelung verhindern. Dabei wissen alle hier: Die Dublin-Verordnung funktioniert nicht und verursacht sinnlose Bürokratie zulasten von Menschen und: sie ist unsolidarisch. Wir als LINKE stehen für eine offene EU, einen Staatenverbund, der seiner humanitären Pflicht der Aufnahme von schutzsuchenden Menschen nachkommt, der flächendeckend gute Aufnahmebedingungen, rechtsstaatliche Verfahren und Freizügigkeit für alle garantiert.

Ja, die europäische Realität sieht anders aus, um nicht zu sagen katastrophal: Abschottung nach außen ist die Devise einerseits, und innerhalb der EU gibt es gerade in Sachen Flüchtlingsaufnahme keinen gemeinsamen Nenner. Es sind wenige Staaten, die hier die Hauptverantwortung tragen. Deswegen hoffen wir auf eine progressive Neuregelung des Asylsystems in Europa, und dazu gehört im Kern auch DUBLIN.

Interessant ist es tatsächlich, wenn zwischen nationalen und europäischen VertreterInnen der ehemaligen und kommenden Großen Koalition Gräben auftreten, wie im Fall der Dublin-Verordnung, deren Reform im EP auch Konservative und SozialdemokratInnen zugestimmt haben, was nun auf nationaler Ebene hart bekämpft wird. Angesichts dessen lässt sich doch auf eine fortschreitende Europäisierung von Entscheidungen hoffen, die nationale Egoismen in den Hintergrund treten lässt.

Wenn wir über die Europäische Flüchtlingspolitik sprechen, dann müssen wir über mehr sprechen als über die hier thematisierte Dublin-Verordnung. Wir müssten über das gesamte Gemeinsame Europäische Asylsystem sprechen. Im Frühjahr 2016 hat die Kommission grundlegende Änderungen nicht nur an Dublin, sondern auch an den bisherigen Richtlinien zu Aufnahme, Verfahren und Qualifikation vorgenommen. Das Tableau ist zu groß, um es hier aufzuzeichnen. Im Grunde aber geht es auch hier darum, Menschen fernzuhalten, Asylverfahren in überlastete oder undemokratische Drittstaaten zu verlagern, die sogenannte Sekundärmigration in der EU restriktiv zu unterbinden und das Recht auf ein faires Asylverfahren auszuhöhlen.

Die Leidtragenden sind Menschen, die an den Außengrenzen scheitern oder gar sterben – über 3000 Menschen ertranken im vergangenen Jahr im Mittelmeer – um Menschen, die in der Logik der DUBLIN-Verordnung in überlasteten Staaten festsitzen oder innerhalb der EU hin- und hergeschickt werden, ohne Zugang zum Asylverfahren zu bekommen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen:

Die Reisen, die wir mit den Ausschüssen unternehmen, sollen ja auch fruchten und zur Inspiration unserer Politik beitragen. Auch die AfD war bei der Innenausschuss-Reise nach Italien dabei, aber scheinbar haben die Herren Abgeordneten der AfD bei zahlreichen Gesprächen weggehört. Denn die dringendste Botschaft, die uns in den Gesprächen sowohl mit offiziellen VertreterInnen des italienischen Staates als auch der Zivilgesellschaft auf den Weg gegeben wurde, war die Forderung nach einer gerechten Verteilung von Geflüchteten innerhalb der Europäischen Union. Und siehe da: Die Dublin-Verordnung, gegen deren progressive Veränderung sich der AfD-Antrag richtet, verhindert ja gerade eine bessere Verteilung. Faktisch werden die EU-Randstaaten mit der Flüchtlingsaufnahme, Registrierung und der Führung des Asylverfahrens allein gelassen. Und: Die Statistik sagt, dass die Erstaufnahmestaaten für durchschnittlich 80 % der Fälle zuständig bleiben. Und um ihnen gleich den Wind aus den nationalistischen Segeln zu nehmen: Für Deutschland bedeutet Dublin vor allem ein Mehr an Bürokratie und ein Mehr an AntragsstellerInnen. Die Quote der realen Rücküberstellungen von so genannten Dublin-Flüchtlingen liegt bei durchschnittlich unter 15 %. Im dritten Quartal 2017 stimmte die Zahl von Rücküberstellungen aus mit der von Überstellungen in die Bundesrepublik in etwa überein. Im Gesamtjahr 2016 gab es gar dreimal so viel Überstellungen hierher wie Rücküberstellungen, Deutschland musste wegen Dublin mehr als 8000 zusätzliche Asylverfahren führen.

Gleichzeitig kennen wir die Bedingungen, in denen Geflüchtete in den belasteten Grenzstaaten leben müssen. Darum entschieden und entscheiden deutsche Gerichte immer wieder, dass Geflüchtete nicht nach Italien, Griechenland, Ungarn oder Bulgarien zurückgeschoben werden dürfen, weil ihnen dort eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung“ droht, das Asylverfahren also „systemische Mängel“ aufweise. Und zu guter Letzt wissen wir auch wie „gut“ Sonderprogramme wie das Relocation-Programm aus dem Jahr 2015 funktionieren. Laut Vereinbarung des EU-Gipfels sollten in zwei Jahren 160.000 Geflüchtete aus Italien und Griechenland umverteilt werden. Tatsächlich sind nur 30% der vereinbarten Quote erreicht worden.

Wir sehen durchaus positiv, dass das Europäische Parlament eine weitgehende Reform der Dublin-Verordnung anstrebt. Und wenn man die Fülle der Vorschläge betrachtet, bleiben die Antragssteller hier im Landtag mit ihrem Begehr doch recht schmalspurig. Es scheint fast so als hätte jemand in der AfD-Fraktion Spiegel gelesen und gedacht: Da müssen wir mal was machen. Bei allem berechtigten Anspruch, EU-Politik auch aus den Kommunen und Ländern mitgestalten zu können: Dieser Antrag ist überflüssig. Zumal sich AfD und CDU-Verantwortungsträger aus dem BMI dabei ziemlich einig sind und die Bundesregierung im Rat sicher alles dazu tun wird, den Alternativvorschlag zu kippen.

Die Berichterstatterin des Europaparlaments zu Dublin IV, Cecilia Wikström, betonte in einem Interview, dass es darum gehen muss, eine europäische Antwort auf Problemlagen und auf die humanitäre Pflicht zur Aufnahme von Geflüchteten zu finden. Dem schließen wir uns an.

Und besinnen Sie sich bitte: Es geht dem Alternativvorschlag des Parlaments um einen neuen, solidarischen und begrenzt an den Bedürfnissen der Betroffenen Menschen orientierten Verteilschlüssel. Die Herstellung der Familieneinheit im Sinne eines zeitgemäßen Familienbegriffs, den die AfD hier wie an anderen Stellen so vehement bekämpft, weil es sich nicht um biodeutsche Familienmitglieder handelt, ist doch wohl das Mindeste was in einer demokratischen, den Grund- und Menschenrechten verpflichteten Gesellschaft Konsens sein muss!

Wir als LINKE meinen übrigens, dass jeder noch so elaborierte Verteilschlüssel gegen den Freizügigkeitsdrang von Menschen scheitern muss. Wir meinen, dass Dublin ungerecht und unmenschlich ist. Darum geht uns auch die EP-Reform nicht weit genug, weil sie an entscheidenden Stellen doch in einer restriktiven Logik verharrt.

Es ist Fakt und es ist verständlich, dass Menschen sich ihre Wege ungeachtet militärisch auftretender Polizeipräsenz, Repressalien und Grenzkontrollen suchen. Menschen gehen dorthin wo sie Angehörige, Freund*innen oder andere Ankerpunkte haben.
Es gibt eigentlich kaum eine Alternative, als die komplette Abschaffung der Dublin-Logik zugunsten eines Freechoice-Modells verbunden mit einem EU-internen finanziellen Lastenausgleich-System und verbunden mit der Verpflichtung für alle EU-Staaten menschenwürdige Aufnahmebedingungen und rechtsstaatliche Asylverfahren zu garantieren.

In diesem Sinne hoffen wir auch aus Sachsen auf kluge europäische Antworten auf die Herausforderungen dieser Zeit und lehnen diesen Antrag ab.

Landtagsplenum 1.2.2018 (Rede zum Antrag der AfD)

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