Stadtrat bleibt Handarbeit Teil 3: Öffentlicher Raum, Wohnungslosigkeit und Wohnen

Ein dritter Teil des Rückblicks auf meine Arbeit in der laufenden Stadtratsperiode. Es geht um die Auseinandersetzungen um den öffentlichen Raum, Wohnungslosigkeit und Wohnen.

Ich möchte an dieser Stelle die Stadtratsarbeit der letzten viereinhalb Jahre Revue passieren lassen. Dieser Überblick erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und umfasst vor allem die Dinge, die ich selbst angestoßen und bestritten habe. Die Arbeit meiner Stadtratsfraktion war in Gänze umfang- und oft erfolgreich (siehe aktuelle „Leipzig konkret“).

Ich habe ab 2014 weiter als kinder- und jugendpolitische Sprecherin fungiert und habe auch die Verantwortung für Migrationspolitik übernommen (thematischer Rückblick Teil 1), mich für eine alternative Freiräume (thematischer Rückblick Teil 2), soziale Wohnungspolitik, für ausgegrenzte Menschen und natürlich für Belange des Leipziger Südens eingesetzt.

Die Frage des durch alle nutzbaren öffentlichen Raumes schwebt bei Fragen der Stadtentwicklung ständig im Raum, ist aber auch eine sozialpolitische Frage. Im Mainstream-Diskurs wird diese Frage zu oft ordnungspolitisch verhandelt. Auch in der aktuellen Wahlperiode gab es Diskussionen über lärmende Jugendliche, bettelnde Menschen und Wohnungslose auf Plätzen und Straßen. Mit Blick auf die Innenstadt bekommt wird die Debatte noch schärfer geführt. Denn die Innenstadt fungiert auch in Leipzig als Vorzeige-Ort und entwickelt sich immer weiter zur Hochglanz-Einkaufszeile. Dies betrifft im Besonderen auch den Hauptbahnhof, der im Grundsatz als eine Art Konsumtempel konzipiert ist. Nach Hinweise von kritischen stadtpolitisch Aktiven begann ich im Sommer 2018 die Debatte um die klassische Musikbeschallung am Hauptbahnhof zu führen. Diese wird seit Mai 2017 an West- und Osthalle eingesetzt. Was vom Center-Management der im Hauptbahnhof ansässigen ECE-Passagen als nettes Ständchen an die BesucherInnen der Stadt verkauft wurde, entpuppte als mehr oder weniger subtile Methode um unerwünschte Personengruppen aus dem öffentlichen Raum zu vertreiben. Dies gab die Stadtverwaltung auf eine Stadtratsanfrage von mir mehr oder weniger zu. Hintergrund dieser Maßnahme war (und ist) die augenscheinlich gewachsene Zahl von armen, bettelnden, nicht selten auch betrunkenen Menschen, die sich an den überdachten Bereichen des Hauptbahnhofs aufhalten, und wenn es kalt ist dort auch nächtigen.

Auf meine ersten öffentlich geäußerten Kritiken an diesem Umgang mit den Menschen und der Forderung nach kommunikativen Lösungen bekam ich zahlreiche – auch hasserfüllte – Reaktionen, was deutlich macht, dass diese Frage in der Stadtgesellschaft sehr umstritten ist. Im Zuge der Diskussion bekundetet die Stadtverwaltung ihren Plan die überdachten Außenbereiche des Hauptbahnhofes aus kommunaler Hand an den Hauptbahnhof zu übertragen, was bspw. zur Folge hätte, dass die Hausordnung der DB auch außen gelten würde. Diese ist um einiges restriktiver gestaltet als die kommunale Polizeiverordnung. Mit einem Antrag versuchte DIE LINKE sich für kommunikative Lösungen in Form eines Runden Tisches zwischen ECE, DB, Polizei, Stadt und sozialen Akteuren, z.B. Streetworker*innen, und den Stopp der faktischen Privatisierung der kommunalen Flächen um den Hauptbahnhof stark zu machen. Der Antrag wurde leider abgelehnt, was wirklich ärgerlich ist, da es bisher keine Veränderung der Situation gibt, im Sinne keiner der verschiedenen Seiten.

Die Debatte führte allerdings dazu, dass die Vereinbarung zur Übertragung der Flächen bis heute noch nicht von der Stadt unterschrieben wurde.

Im November 2018 legten wir nach. Mit einem Antrag schlagen wir verschiedenste Maßnahmen vor, u.a. die Schaffung eines Anlaufpunktes für wohnungslose und arme Menschen in Bahnhofsnähe, die Verstärkung der aufsuchenden Sozialarbeit, kostenlose Toiletten etc. Der Antrag wurde durch den Stadtrat noch nicht final diskutiert und abgestimmt.

Mit einer begleitenden Podiumsdiskussion haben wir zudem die städtische Strategie der Verschärfung von Ordnungspolitik und Verdrängung von marginalisierten Personen in Gänze betrachtet und damit auch klar Kante gegen Forderungen z.B. nach einem Bettelverbot in der Innenstadt Paroli gegeben.
Auch der Schwanenteich oder die Müller-Anlage (Grünanlage vor dem Hauptbahnhof) sind stigmatisiert. Die Polizei kategorisiert sie als „gefährliche Orte“ und fokussiert diskursiv und praktisch vor allem Migrant*innen, die sich dort aufhalten.

Auch die Situation einer Gruppe von Wohnungslosen, die im vergangenen Jahr ein leer stehendes Haus am Hauptbahnhof in Besitz genommen haben, haben wir in den Stadtrat gezogen. Der angedrohte Räumung wurde nicht vollzogen, stattdessen konnten die Menschen im Dezember 2018 ein neues Domizil beziehen. In der Berliner Straße 66 sind die inzwischen als „Punkwerkskammer e.V.“ organisierten Leute aktiv. Dieses selbstorganisierte Projekt auch durch die Stadt zu unterstützen, lehnte der Stadtrat erst im April 2019 ab. Sobald es hier brenzlig werden sollte, werden wir erneut für die Punkwerkskammer in die Presche gehen.

Die zunehmende Wohnungslosigkeit machte ich für meine Fraktion stärker zum Thema. Mit Anfragen gingen wir zunächst den uns zugetragenen Informationen nach, nach denen Menschen, vor allem aus dem EU-Ausland, die die städtische Notübernachtung nutzen und die veranschlagten 5 Euro Gebühr nicht zahlen können entweder keinen Übernachtungsplatz bekommen oder auf Stühlen etc schlafen müssen. Klar ist: Die Zahl wohnungs- und obdachloser Menschen in Leipzig steigt. Dies liegt in sich verhärtenden sozialen und individuellen Problemlagen begründet, aber auch an dem angespannten Wohnungsmarkt. Wohnungen für sozial Deklassierte Menschen sind immer schwieriger zu finden. Besonders schwer haben es Menschen aus dem EU-Ausland, die sich noch nicht fünf Jahre in Deutschland aufhalten und erwerbslos sind. Diese haben nach einem seit 2017 Gesetz aus dem SPD-Sozialministerium keinerlei Sozialleistungsansprüche mehr, sondern erhalten im Falle der Bereitschaft nach Hause zurück zu kehren lediglich einen Monat lang Überbrückungsleistungen. Diese Situation lässt sich kommunalpolitisch schwierig auflösen. Mindestens aber braucht es adäquate Unterstützungs- und kostenlose Übernachtungsmöglichkeiten für diese und alle anderen Betroffenen.

Als Linksfraktion haben wir erfolgreich die Einführung eines Kälte- aka Hilfebusses beantragt, der seit 2019 durch das Suchtzentrum betrieben wird und mit anderthalb Personalstelle ausgestattet ist.

Im Zuge der Beratung des Fachplans Wohnungslosennotfallhilfe haben wir als Fraktion verschiedene Vorschläge unterbreitet, wie ein Modellprojekt housing first, die Durchführung jährlicher Strategiekonferenzen, die Prüfung einer Notfallambulanz sowie die Schaffung eines Angebots am Hauptbahnhof und zur Erhöhung der Zahl der Wohnungen für Menschen mit„Marktzugangsschwierigkeiten“ von der LWB.

Auch auf diesem Gebiet bleibt viel zu tun. Zuerst muss gesichert werden, dass Menschen nicht aus ihren Wohnungen fliegen, dass Menschen, die auf der Straße leben schnell in eigenen Wohnraum kommen, doch auch bei der konkreten Organisation der Notunterbringung, konkreten Hilfeleistungen oder der Gestaltung des städtischen Raums gibt es viele Baustellen. Vor allem ist festzuhalten, dass Wohnungslosigkeit kein „Winterthema“ oder ein – in jedem Fall – selbstverschuldetes Problem ist.

Infolge der Aufwertung von Stadtvierteln sind auch Drogenkonsumierende verstärkt von Verdrängung betroffen. Dies betrifft vor allem den Bereich um die Eisenbahnstraße, wohin die Menschen nach der Installation von Videoüberwachung am Hauptbahnhof 1996 nachhaltig verdrängt wurden. Im Jahr 2016 keimte diese Diskussion kurz auf, in der die Forderung nach Einrichtung eines Drogenkonsumraums erhoben wurde und wird. Hintergrund waren und sind die weiterhin hohe Zahl von Konsument*innen illegalisierter Drogen, insbesondere Opioide (vor allem Heroin) und Stimulanzien (vor allem Crytal Meth), die aufgrund des Verlustes von Rückzugsräumen in leer stehenden Häusern zunehmend in den öffentlichen Raum verdrängt wurden. Resultat: Räumliche Verlagerung der Menschen und Spritzenfunde im öffentlichen Raum. Sowohl AnwohnerInnen, Eltern aus einer betroffene Kita in der Koehlerstraße als auch andere Stadtteilakteure appellier(t)en vor diesem Hintergrund an Stadt und Polizei einen Drogenkonsumraum zu ermöglichen. Dafür gibt es viele Argumente.

Wir hoben das Thema in den Stadtrat, kassierten aber eine klar ablehnenden Haltung der Verwaltung. Da die Stadt sowieso auf die Zustimmung des Landes und eine dort erlassene Rechtsverordnung angewiesen wäre, haben wir auch im Landtag einen entsprechenden Antrag gestellt, der ebenfalls abgelehnt wurde. Wir werden die Frage definitiv nach den Wahlkämpfen wieder aufgreifen. Die Folgen des anhaltend hohen Drogenkonsums bleiben akut, Repression hilft nicht und verschlimmert die Situation für die Konsument*innen.

Apropos Wohnen: Das Thema war und ist eines der akutesten Probleme in dieser Stadt. Kurz gesagt: Die Mieten im Bestand steigen, im Durchschnitt geben die Bewohner*innen der Stadt mehr als 30 % ihres Nettoeinkommens für Miete aus, die Preise in der Neuvermietung gehen durch die Decke, der Leerstand ist in den vergangenen Jahren von 10 % auf die empfohlenen zirka 3 % gesunken. Menschen mit geringen Einkommen oder Problemlagen finden kaum mehr bezahlbaren Wohnraum. Als Fraktion haben wir das Thema angepackt und zahlreiche Vorschläge gemacht. Einige liste ich hier kurz auf:

2013: Antrag „Fortschreibung und Neufassung des Wohnungspoltischen Konzeptes und des Wohnraumversorgungskonzeptes der Stadt Leipzig“ (Anpassung des bis dato auf eine schrumpfende Stadt orientierte Wohnungspolitik an die Gegebenheiten einer wachsenden Stadt).
Die Fortschreibung wurde 2015 nach einem intensiven Beteiligungsprozess beschlossen

2013 Antrag zur Begrenzung zur Begrenzung zukünftiger Mieterhöhungen (Initiative der Stadt an den Freistaat eine sog. Kappungsgrenzenverordnung zu erlassen)
Der Stadt Leipzig wurde im Jahr 2018 ermöglicht auf Basis der Kappungsgrenzenverordnung des Freistaats Sachsen Mieterhöhungen im Bestand nicht mehr um 20 %, sondern nur um 15 % zu erhöhen.

2014 Antrag „Betroffenen- und Interessenbeteiligung an der Erarbeitung von Sozialkriterien für die Vorbereitung von konzeptionellen Ausschreibungsverfahren für die Vergabe von städtischen Liegenschaften und Grundstücken“ (Vergabe von Liegenschaften und Grundstücken nicht mehr nach Höchstpreis, sondern nach Konzept, Pacht statt Verkauf)
Beschlossen mit dem Wohnungspolitischen Konzept 2015

2015 Antrag gemeinsam mit SPD und Grünen: Änderung der strategischen Liegenschaftspolitik der Stadt Leipzig – kein Verkauf (Erhalt von kommunalen Flächen und Grundstücken für die Daseinsvorsorge (soziale Infrastruktur wie Kita, Schule, aber auch Wohnungen und ein Ende der besinnungslosen Verkaufspolitik )
Beschlossen und Meilenstein in der Änderung der bis dahin auf den Ausverkauf orientierten Liegenschaftspolitik

2016: Antrag „Bereitstellung von 1,5 Mio. Euro zum Ankauf von Mietpreis- und Belegungsbindungen für Wohnungen für Berechtigte nach SGB II und SGB XII“
Beschlossen 2017.
Soll im Rahmen eines kommunalen Wohnungsbauförderprogramms umgesetzt werden

2018: Anpassung der Kosten der Unterkunft an die aktuelle Mietpreisentwicklung (Einforderung von Recht und Gesetz: Die KdU-Sätze sollen aller 24 Monate anzupassen und dabei auf eine (Mietspiegel)-Datengrundlage zurückzugreifen, die nicht älter als ein halbes Jahr sein darf)
Von einer Stadtratsmehrheit abgelehnt!

2018: Einführung von so genannten Sozialen Erhaltungssatzungen in Leipzig (Diese Satzungen, auch „Milieuschutzsatzungen, sollen Luxusmodernisierungen verhindern und so städtebauliche Investitionen, vor allem aber die ansässige Wohnbevölkerung vor der Verdrängung geschützt werden) und Antrag, dass die Stadt Leipzig beim Freistaat Sachsen eine so genannte Umwandlungsverordnung beantragt, der die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in Milieuschutzgebieten verbietet
Ist im Stadtrat in Arbeit, die Linksfraktion versucht den Prozess der Einführung der Milieuschutzgebiete derzeit zu beschleunigen

2018: Aufbau eines kommunalen Wohnungsbauprogramms (Entwicklung eines kommunalen Wohnungsförderprogramms zusätzlich zur Sozialraumförderungs-Richtlinie des Freistaats Sachsen)
Als Pioltprojekt für 5- und 4-Raumwohnungen beschlossen

Angesichts dessen, dass die Stadtspitze Investor*innen wie CG, Stadtbau, GRK… das Feld überlässt, angesichts dessen, dass aktiennotierte Wohnungsunternehmen wie Deutsche Wohnen und Vonovia sich verstärkt in Leipzig engagieren, brauchen wir für die kommenden Jahren eine kompromisslose Strategie gegen kompromisslose Privatinvestor*innen. Das Thema Wohnen, Grundstücksmanagement, Enteignung und Stärkung des kommunalen, genossenschaftlichen und gemeinnützigen Sektors in diesem Bereich bleibt prioritäres Thema.

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