So einfach ist es nicht!

Endlich melden wir, Mitglieder der LINKEN und der Linksjugend in Leipzig uns zu Wort:
Die Wellen schlagen wieder einmal hoch. Und das nicht zu Unrecht. In Folge des Stopps der so genannten „Free Gaza-Flotille“ im Mittelmeer sowie der Todesopfer und Verwundeten auf einem der Schiffe tauchen in den Debatten verschiedene Deutungen und Einschätzungen auf. Dabei überwiegt insbesondere in der politischen Linken eine vernichtende Kritik an Israel, die von den Ereignissen im Mittelmeer abstrahiert und den jüdischen Staat in seinen Grundfesten angreift.

Da wir mit nicht wenigen inhaltlichen Äußerungen und Vorfällen im Zusammenhang mit Deutung und Reaktionen auf den Ship-to-Gaza-Zwischenfall ein Problem haben, melden wir uns hier gemeinsam zu Wort.

I Zur Sache

I. 1. Die Geschehnisse im Mittelmeer

Am 31.5.10 versuchten mehrere Personen mit 6 Schiffen von der Insel Zypern aus verschiedene Waren in den Gaza-Streifen zu bringen. In internationalen Gewässern stoppten Einheiten der israelischen Armee die 6 Schiffe indem sie diese – nach Aufforderungen im Vorfeld und vor Ort nicht den Gazastreifen anzusteuern – übernahmen. Dabei seilten sich israelische Soldaten zum einen von Helikoptern ab, andererseits betraten sie die Schiffe von anderen Booten aus. Auf einem der Schiffe, der Mavi Marmara, starben durch die folgenden Kampfhandlungen 9 Personen der Schiffsbesatzung, ca. 23 weitere Personen der Schiffsbesetzung sowie 7 israelische Soldaten wurden verletzt. Wir zeigen uns angesichts der Toten und Verletzten erschüttert, sehen uns jedoch nicht in der Lage den Ablauf der Geschehnisse en Detail nachzuvollziehen.

Über den genauen Ablauf der Auseinandersetzungen auf der Mavi Marmara gibt es verschiedene und auch widersprüchliche Meldungen. Die Schuld für die Eskalation wurde allerdings sehr schnell ausschließlich bei den eingesetzten Soldaten, die das Schiff kaperten, festgemacht. Fakt ist jedoch auch, dass die israelischen Soldaten von einem Teil der sich auf dem Deck der Mavi Marmara befindlichen Personen mit Stangen und Holzlatten attackiert wurden und auch ein Soldat von der aufgebrachten Besatzung des Schiffes über Deck geworfen wurde. Laut einigen Medienberichten sollen einige Personen zudem Soldaten die Schusswaffen entwendet haben, infolge dessen zwei Soldaten auch Schussverletzungen davontrugen. Ohne dass wir den Vorfall zeitlich und in seinen genauen Abläufen exakt wiedergeben können, wollen wir jedoch festhalten, dass eine einseitige Eskalationsschuld bei diesem widersprüchlichen Stand der Informationen nicht der israelischen Armee zugeschrieben werden kann. Dass nicht wenige dennoch bereits jetzt meinen die Lage eindeutig und abschließend beurteilen zu können, stimmt uns nachdenklich.

I 2. Die Motivation der Free Gaza-Flotille
Darüber hinaus finden wir die klaren Stellungnahmen für den sich selbst als Hilfsflotte bezeichnenden Schiffskonvoi und die Aktion Ship-to-Gaza mehr als schwierig. Zeigt man sich hier blauäugig oder wird die Intention zahlreicher an der Flotte Beteiligter gar gut geheißen? Es steht für uns unbestreitbar fest, dass nicht die Lieferung humanitärer Hilfsgüter im Vordergrund der Aktion stand. Das wird vor allem durch zwei Punkte mehr als deutlich: Zum einen hat Israel bereits im Vorfeld als auch nach Auslaufen der Schiffe mehrfach angedeutet, dass die Hilfsgüter nach Überprüfung durch die Behörden via Landweg in den Gazastreifen gebracht werden können. Israel selbst lässt zur Zeit 15.000 Tonnen Hilfsgüter pro Woche nach Gaza. Die 6 Schiffe hatten zusammen 6.000 bis 10.000 Tonnen geladen. Dass das mehrmalige Landweg-Angebot abgelehnt wurde, zeigt unserer Meinung nach deutlich, dass es den OrganisatorInnen nicht primär um die Ankunft der Güter in Gaza gehen konnte, vielmehr nutzten auch sie das Elend im Gazastreifen für eigene Zwecke.

Norman Paech selbst bestätigte in einem Interview mit der ARD am 02.Juni 2010, dass das Hauptaugenmerk auf der Durchbrechung der Blockade lag. Greta Berlin, eine Mitbegründerin des federführend organisatorisch beteiligten „Free Gaza Movement“ sagte „Bei dieser Mission geht es nicht darum, humanitäre Güter zu liefern, es geht darum, Israels Blockade zu brechen“. (Zitiert nach Jungle World vom 10.6.2010)

Nicht zuletzt machte sich die Organisation der Flotille unglaubwürdig, indem sie die Bitte der Familie des von der Hamas entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit abschlug, sich dafür einzusetzen, dass dieser ein Paket mit Lebensmitteln und Briefen empfangen dürfe. Schalit wird seit 2006 von der Hamas festgehalten und darf nicht einmal Besuch von Hilfsorganisationen empfangen.

I 3. Die argumentative Geheimwaffe “Völkerrecht”
Der Vorwurf, der Einsatz der israelischen Armee war – weil in internationalen Gewässern – auch völkerrechtswidrig, wird auch auf den prominenten Nachrichtenseiten vorgebracht und ist sicher nicht unberechtigt. Unbeachtet jedoch bleibt, dass die AktivistInnen auf den Schiffen sich offensichtlich nicht daran störten, für ihren Einsatz auch aus dem auch völkerrechtswidrig besetzten Nordzypern zu agieren. Nicht zu vergessen ist darüber hinaus, dass militärische Aktionen in internationalen Gewässern durchaus Gang und gäbe sind. Darüber hinaus schreibt das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen fest, dass außerhalb staatlicher Hoheitsgewässer zivile Schiffe im Fall von Sklavenhandel, Piraterie, illegaler Rundfunksendungen, Schiffen ohne Staatsangehörigkeit und Schiffen des Flaggenstaates, die keine oder eine fremde Flagge zeigen, angehalten und durchsucht werden. Ein begründeter Verdacht ist hierbei ausreichend.
Das Faktum, dass das Ziel der gesamten Aktion – die Seeblockade Israels vor Gaza zu durchbrechen und damit letztendlich israelische Hoheitsrechte zu verletzen – ebenfalls völkerrechtswidrig ist, führt das Völkerrechtsargument der OrganisatorInnen finalmente ad absurdum.

I 4. Free Gaza? From Hamas!

Die Blockadepolitik Israels trägt zweifelsohne zur der prekären Lebenssituation vieler Menschen im Gazastreifen bei. Diese Politik wird von den AktivistInnen und deren SympathisantInnenumfeld einhellig abgelehnt. Dabei bleibt jedoch völlig unbeachtet, aus welchen Gründen der jüngeren Vergangenheit und auch der aktuellen politischen Situation diese Blockade stattfindet. Wir erinnern uns: Vor der brutal durchgesetzten Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen gab es gemeinsame Kontrollen von PLO und Israel an den Grenzübergängen des Gazastreifens, die nach dem Abzug Israels aus dem Gazastreifen 2005 gemeinsam zwischen PLO und Israel sowie Ägypten ausgehandelt worden waren. Nach der Machtübernahme der Hamas jedoch zerstörte diese die Infrastruktur der Grenzkontrollen und verjagte die Personen der zuständigen Behörden wie auch die unabhängigen BeobachterInnen. Seit dem gibt es von Israel und Ägypten die weitgehende Blockade des Gazastreifens. Der einfache Grund dafür sind vor allem die seit dem Rückzug Israels immer wieder stattfindenden Raketen- und Mörserangriffe auf wahlloses israelisches Gebiet durch die Hamas. Die Blockade hat vor allem den Zweck, den für diese und andere Angriffe notwendigen Waffenschmuggel zu unterbinden.

Diejenigen Hilfsleistungen indes, die den Gazastreifen erreichen, werden von der Hamas an sich gerissen und an ihnen wohl gesonnene BewohnerInnen verteilt. Anhänger der verjagten Fatah oder anderer palästinensischen Oppositionsgruppen in Gaza werden von der Hamas brutal verfolgt, gefoltert und auch ermordet.

II Reaktionen

In der Rezeption der bundesrepublikanischen Medien als auch in vielen Reaktionen unserer Partei war eine schnelle Solidarisierung mit den Flotille und deren OrganisatorInnen auf der einen sowie reflexartige Anfeindungen Israels auf der anderen Seite zu beobachten. Unabhängig davon, wie man meint die genauen Abläufe auf der Mavi Marmara wiedergeben zu können und beurteilen zu wollen, ist es gewiss falsch sich in kritikloser Feind-Freund-Logik mit den OrganisatorInnen der Hilfsflotille zu solidarisieren. Neben der bereits eingangs erwähnten mindestens fragwürdigen Zielstellung der Flotille muss eine antimilitaristische LINKE zur Kenntnis nehmen, dass auf den Schiffen auch knallharte AntisemitInnen ihren Platz gefunden haben. Es wurden vor Abfahrt Todeswünsche geäußert, es gab eine sexistische Trennung von Männern und Frauen auf den Schiffen und die Gewaltbereitschaft hat sich zumindest auf der Mavi Marmara auch im aktiven Handeln Bahn gebrochen.

Die fehlende Distanzierung von AntisemitInnen zeigte sich nicht zuletzt in Köln, wo linksjugend [’solid] Fahnen auf einer antiisraelischen Demonstration in trauter Zweisamkeit neben Hamasfahnen geschwenkt wurden.

Auch in Leipzig gab es eine Demonstration zu dem Vorfall. Am 02. Juni 2010 demonstrierten SAV, DIE LINKE.SDS Leipzig und die Gesellschaft für Völkerverständigung gemeinsam mit anderen Einzelpersonen gegen Israel. Nachdem sich ca. 30 Personen mit Israelfahnen neben der Demonstration versammelt hatten, wurden diese von Teilen der DemonstrationsteilnehmerInnen mit Holzlatten bzw. Fahnenstangen und Gürteln angegriffen. Zwar forderten die OrganisatorInnen der Demonstration auf, diese Handlungen gegen die GegendemonstrantInnen einzustellen – aber dabei blieb es dann auch. Die offensichtlich überforderte Polizei drängte letztlich die GegendemonstrantInnen ab und weigerte sich Anzeigen gegen die Angreifenden aus der Demonstration aufzunehmen. Damit nicht genug, hielten sowohl DIE LINKE.SDS Leipzig, die SAV Leipzig und die GfVV Leipzig als auch Volker Külow, Vorsitzender der Partei der Linken in Leipzig, es nicht für nötig sich ganz klar und in aller Schärfe von den gewalttätigen Übergriffen zu distanzieren.


III Gegen jeden Antisemitismus – für Frieden in Nahost

Immer wieder kommt es nach Vorfällen im Nahen Osten zu quasi reflexhaften antiisraelischen Reaktionen. Ohne dass Vorgänge samt Ursache-Wirkungs-Folge analysiert werden, steht der Schuldige insbesondere für die politische Linke mal für mal vorschnell fest: Israel. Kein anderes internationales Ereignis – aktuell zum Beispiel der Bürgerkrieg in Somalia, die Besetzung von Teilen von Zyperns oder die Gewalttaten in Kirgisien – findet bei FriedensaktivistInnen soviel Aufmerksamkeit wie militärisches Handelns des jüdischen Staates im Nahen Osten. Diese Nicht-Wahrnehmung trifft weitestgehend auch auf die asymmetrische Kriegsführung von Terrororganisationen wie der Hamas gegen den Staat Israel und seine Bevölkerung zu.

Der prominente Antisemitismusforscher Wolfgang Benz machte den israelbezogenen Antisemitismus längst als abgeleitete Form des Antisemitismus aus: „In der öffentlichen Wahrnehmung Europas haben sich in dramatischer Weise die Gewichte in der Bewertung des Nahostkonfliktes verschoben. Die Ursachen der Gewaltspirale werden nicht mehr in das negative Urteil über Israel einbezogen.“

Antisemitismus äußert sich auch in den aktuellen Protestaktionen gegen das Vorgehen Israels gegen die „Free Gaza“-Flotille wenn z.B. Israels des Kindesmords beschuldigt und damit Anleihen auf uralte antisemitische Verleumdungen wie die, Juden opferten an ihren Festen Christenkinder, genommen wird (so auch zu lesen auf der Protestdemo von SAV, LINKE.SDS und Gesellschaft für Völkerverständigung am 2.6.2010).

Auch wir denken, dass die Gaza-Blockade perspektivisch aufgehoben werden sollte. Dies funktioniert allerdings nur nach der Aufhebung der Gründe dieser Blockade, also nach dem Bruch der Herrschaft der Hamas und dem Ende des antisemitischen Kampfes gegen die Juden. Dazu beizutragen fordern wir von den AußenpolitikerInnen unserer Partei genau wie eine klare Absage an jede Form von Antisemitismus von allen AkteurInnen der LINKEN.

Fabian Blunck, jugendpolitischer Sprecher DIE LINKE Sachsen
Gernot Gellwitz, Sprecher des LAK Shalom Sachsen
Ulf-Peter Graslaub, Vorsitzender DIE LINKE.Lindenau-Leutzsch
Rico Knorr, Stipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Christin Löchner, Beauftragtenrat der Linksjugend Sachsen
Tilman Loos, jugendpolitische Sprecher der LINKEN Leipzig
Juliane Nagel, Mitglied des Landesvorstandes DIE LINKE Sachsen
Max Wegener, Mitglied DIE LINKE Leipzig
 
Marco Böhme, Mitglied im Beauftragtenrat linksjugend [’solid] Sachsen
Werner Kujat, Delegierter der Linksjugend Leipzig zum Stadtparteitag
Mathias Arnold, Mitglied Linksjugend Leipzig
Paul Beyrich, Delegierter der Linksjugend Leipzig zum Stadtparteitag
Alexander Jahns, Sympathisant Linksjugend Leipzig
Nora Schulze, Mitglied DIE LINKE. Leipzig & Linksjugend Leipzig

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2 Gedanken zu „So einfach ist es nicht!“

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