Es geht um die Belange derer, die ganz am Rande unserer Gesellschaft stehen

Rede zum Antrag „Dezentrale Unterbringung von von AsylbewerberInnen und Geduldeten in Leipzig“ am 16.6.2010

Ich bin sehr froh heute hier stehen zu können und diesen Antrag einzubringen. Erfreut bin ich auch über das rege Interesse auf der BesucherInnentribüne. Denn es geht hier und heute um die Belange derer, die ganz am Rande unserer Gesellschaft stehen, um die die tagtäglich sowohl institutionelle als auch Alltagsdiskriminierung erfahren müssen. Um Menschen, die in Deutschland Asyl suchen, weil sie in ihren Heimatländern aus verschiedensten Gründen verfolgt werden oder in ihrer Existenz bedroht sind. Im wohlständigen Westen allerdings werden sie keineswegs mit offenen Armen empfangen. Vielmehr erwarten sie hier ein rigides Asylverfahren und unwürdige Lebensbedingungen. Ein Großteil der Asylanträge werden in Deutschland Jahr für Jahr abgelehnt, die Anerkennungsquote lag im vergangenen Jahr bei 1,4 % – und das obwohl die Rückkehr in Herkunftsstaaten wie nach Afghanistan, in den Kosovo oder – aktuell diskutiert – Rückführungen nach Griechenland unzumutbar ist.
Andere werden ohne sicheren Aufenthaltsstatus in eine Warteschleife geparkt und leben Jahre ja Jahrzehnte lang in der tagtäglichen Angst abgeschoben zu werden, mit Arbeitsverboten, minimalster sozialer Absicherung oder dem Verbot sich frei zu bewegen belegt.

Viele von ihnen, liebe StadtratskollegInnen, saßen auch vor einem Jahr hier als es um den Neubau eines AsylbewerberInneheimes in der Wodanstrasse in Leipzig-Nordost ging. Der im Juni 2009 vom Stadtrat bestätigte Plan der Stadt sah vor die beiden bestehenden Heimen in der Torgauer Strasse und der Liliensteinstrasse zugunsten des Neubaus zu schliessen. Gegen dieses Vorhaben regte sich schnell vehementer Protest: Schließlich hätte der Standort Wodanstraße – noch weiter am Stadtrand im Gewerbegebiet und nahe der Autobahn A 14 gelegen – eine weitere Verschlechterung der sowieso unwürdigen Lebensbedingungen der Betroffenen bedeutet. Statt jeweils über 100 Menschen in den bestehenden Heimen sollte der Neubau in der Wodanstrasse Platz für 300 Menschen vorhalten.
Ende 2009 war der Plan ein neues Heim in der Wodanstrasse zu bauen gescheitert. Die Proteste hatten neben Kostengründen einen wichtigen Anteil daran. Dafür danke ich an dieser Stelle explizit auch dem Initiativkreis für die Integration von AsylbewerberInnen in Leipzig.
Der positive Effekt dieses Scheiterns ist, dass wir heute de facto über eine Trendwende bei der Unterbringung von Asylsuchenden in unserer Stadt entscheiden. In unserer Hand liegt es rund 300 Menschen, die derzeit in Massenunterkünften leben müssen, die Möglichkeit zu eröffnen menschenwürdig – in eigenen Wohnungen zu leben. Der gemeinsame Antrag der Fraktionen der Linken und der Grünen fordert die Stadt auf noch in diesem Jahr ein Konzept für die Unterbringung von Asylsuchenenden zu erstellen und dabei Priorität auf Wohnungsunterbringung zu legen.
Selbstbestimmtes und menschenwürdiges Wohnen ist eine der essentiellen Grundlagen einer fortschrittlichen und human orientierten Gesellschaft, die zwangsweise Heim-Unterbringung ist mit der Würde des Menschen nicht vereinbar.
Für die Betroffenen, die sich sowieso in einer Situation großer Unsicherheit über ihre Lebensperspektiven befinden, bedeutet die Unterbringung in Sammelunterkünften zusätzliche psychische Belastung.
Privatsphäre und Bewegungsfreiheit bleiben ihnen weitestgehend verwehrt.
Die konzentrierte und isolierte Unterbringung verhindert außerdem Kontakt zur übrigen Leipziger Bevölkerung und die gleichberechtigte Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben der Stadt. Die restriktiven Kontrollmaßnahmen in und um die Sammelunterkünfte vermitteln den Betroffenen das Gefühl des Ausgeliefertseins.

Bereits 60 % der ca. 800 AsylbewerberInnen und Geduldeten in Leipzig leben in Wohnungen. Doch insbesondere alleinstehende Männer, die bis dato v.a. in der Torgauer Strasse untergebracht sind, sind von der Ablehnung von Anträgen auf Wohnungsunterbringung betroffen, da sie eben keine Kinder vorweisen können oder weil sie die psychische Belastung der Heimunterbringung zumindest oberflächlich besser kompensieren als Frauen oder Kinder.
Ich empfehle ihnen einen Besuch in den Heimen, schnell werden sie zu dem Schluss kommen, dass die Lebensbedingungen dort für alle Betroffenen unzumutbar sind.
Der sächsische Ausländerbeauftrage Martin Gillo (CDU) forderte in seinen „Sieben Anregungen für ein weltoffeneres Sachsen“ unlängst die Ausweitung der dezentralen Unterbringung. Mit dem heutigen Beschluss können wir dieser Forderung und unserer kommunalen Verantwortung für die Menschenwürde von Asylsuchenden Leben verleihen. Andere Kommunen und Bundesländer – zb Berlin, Leverkusen oder Cottbus – haben hier bereits Massstäbe gesetzt.

Die Proteste gegen die Neuerrichtung des Heims in der Wodanstraße haben noch etwas gezeigt: nämlich dass Kommunikation und Transparenz in der Arbeitsweise der Stadtverwaltung dringend von Nöten sind. Insbesondere wenn es um die Lebensbedingungen von Menschen geht, darf nicht über den Kopf der Betroffenen und deren Lobby hinweg geplant und entschieden werden. Darum schlagen wir in Beschlusspunkt 2 des Antrages vor, Akteure der Flüchtlingsarbeit, die die Bedürfnisse und Lebenslagen der Betroffenen am Besten kennen, sowie den städtischen Migrantenbeirat in die Konzepterarbeitung und Umsetzung einzubeziehen.

Dass seitens dieser Akteure großes Interesse an der Verbesserung der Wohnsituation von Asylsuchenden gelegen ist, zeigt das von 20 Vereinen und Initiativen unterzeichnete Bündnispapier für ein menschenwürdiges Wohnen, das allen Fraktion zuging.
Darin heisst es „Wir appellieren an die Stadträtinnen und Stadträte, im Interesse der Asylsuchenden und der Bewohner/innen der Stadt, die Möglichkeiten der breiten Zusammenarbeit zu nutzen, gemeinsam ein Unterbringungskonzept zu erstellen und eine bestmögliche Lösung herbeizuführen. Zumal Leipzig eine weltoffene Stadt ist und bleiben soll.“ In diesem Sinne bitte ich Sie herzlich um Zustimmung zum gemeinsamen Antrag von Grünen und Linken.

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