Redebeitrag auf der nicht-dekadenten 1. Mai-Demo in Leipzig

… geschrieben und gehalten von mir – für den Initiativkreis für die Integration von AsylbewerberInnen in Leipzig

Schluss mit jeder Form von Rassismus.

Nach seinem Deutschland-Besuch Ende Juni 2009 forderte der UN-Sonderberichterstatter für Rassismus, Githu Muigai, von der deutschen Bundesregierung verstärkte Bemühungen im Umgang mit MigrantInnen. Muigai kritisierte unter anderem die Art der Aufnahme von Asylsuchenden, vor allem die Rahmenbedingungen, unter denen die Betroffenen leben müssten und die Dauer der Asylantragsverfahren

In Leipzig leben derzeit 800 AsylbewerberInnen und geduldete Menschen, ca. 300 davon in so genannten Asylbewerberheimen. Nach einer oft lebensgefährlichen Flucht über die tödlichen Außengrenzen Europas werden sie tagtäglich mit staatlichem Rassismus in Form von Asylbewerberleistungsgesetz, Residenzpflicht, Sammellagern, Arbeitsverboten, Sachleistungs- und Gutscheinsystem konfrontiert. Hinzu kommt ein stark verbreiteter gesellschaftlicher Rassismus.

In Leipzig kochte die Debatte um die konkreten Lebensumstände von Flüchtlingen im vergangenen Jahr hoch, als der Plan der Stadt bekannt wurde, die beiden bestehenden Wohnheime zu schliessen und dafür eine neue Sammelunterkunft in der Wodanstrasse zu errichten.

Mit den Stimmen von CDU, FDP und SPD gab der Stadtrat im Juni 2009 diesem Plan grünes Licht – unter Protest zahlreicher Anwesender. Stein des Anstoßes für das Vorhaben war das Interesse eines privaten Investors den Standort eines der bestehenden Heime wirtschaftlich zu nutzen und in diesem Zusammenhang 100 Arbeitsplätze zu schaffen, und – so äußerte eine Mitarbeiterin des städtischen Sozialamtes in der Leipziger Volkszeitung – „Arbeitsplätze haben in Leipzig nun mal Priorität“.

Der Standort Wodanstraße befindet sich kurz vor der Autobahnauffahrt zur A 14, in einem Gewerbegebiet ca. 9km vom Stadtzentrum entfernt. Die Standortwahl erfolgte auf der Grundlage handfester rassistischer Kriterien: so müsse das Domziel laut Sozialamt „ausserhalb von Wohngebieten“ und „insbesondere entfernt von Kindergärten, Schulen und Spielplätzen“ liegen.
Das Grundstück sollte „einzäunbar“ sein, schließlich wäre die Unterbringung von an die 300 männlichen Asylsuchenden „mit vielfältigen sozialen Problemlagen“ in einem Wohngebiet ungeeignet. Ein konstruiertes störendes, abnormales Verhalten der Betroffenen wurde hier einmal mehr der Vorstellung eines kulturell homogenen, harmonischen Wohngebiets entgegengesetzt. Genau so werden soziale Probleme der Flüchtlinge naturalisiert anstatt sie als Folge der belastenden Lebensumstände und der restriktiven Asylgesetzgebung zu benennen.

Die Stadt Leipzig – speziell das Sozialamt war sich weiterhin nicht zu blöd – die verkehrsmässig gute Anbindung des Standortes anzupreisen, der Ausländerbeauftragte meinte im Rahmen einer Podiumsdiskussion sogar, dass die Asylsuchenden doch einfach Fahrrad fahren könnten, das käme für sie am billigsten. Weiterhin wurden die guten Erfahrungen hinsichtlich der wohnqualität in Containerunerkünften angepriesen.

Davon wissen die Betroffenen nichts. Zahlreiche Bewohner des tristen und verfallenen Heims in der Torgauer Strasse erinnern sich mit Schrecken an das Wohnen im Container auf dem heute brach liegenden Gelände der Wodanstrasse 17a. In letzter Minute ersetzte die Stadtverwaltung den Passus „Containerunterkunft“ aufgrund des aufkeimenden Protestes in „Unterkunft in Systembauweise“ im entsprechenden Beschlussvorschlag. In der Wodanstrasse sollten an die 300 Personen untergebracht werden – in den existenten Heimen waren es jeweils 175 bzw 100 gewesen.

Das Leben in Sammelunterkünften bedeutet für die Betroffenen eine Verschlechterung der ohnehin prekären Lebensbedingungen und einen weiteren Schritt hin zur Desintegration – den zwangsweisen Verzicht auf Privatsphäre, auf Anbindung an das soziale Leben und permanente soziale Kontrolle durch Wachmenschen und auch MitbewohnerInnen.

Die gute Nachricht ist: die Wodanstrasse wird nicht gebaut. Im November 2009 wurde bekannt, dass die finanziellen Vorstellungen von potentiellen Betreibern und Stadt Leipzig so weit auseinander gingen, dass es nicht zum Vertragsabschluss über die Errichtung und Betreibung des geplanten Heimes kam. Die Proteste, die der Initiativkreis für die Integration von AsylbewerberInnen in Leipzig von Beginn an gegen das Vorhaben initiiert hatte, hatten einen gewichtigen Anteil am Scheitern des Vorhabens.

Die schlechte Nachricht ist, dass es keine Aussicht auf eine grundsätzliche Trendwende bei der Unterbringung von Asylsuchenden gibt. Die Forderung des Intiativkreises, auf selbstbestimmtes Wohnen und damit die Wahlfreiheit der Betroffenen über eine Wohnform, wird von städtischen Institutionen gebetsmühlenartig mit dem Verweis auf die restriktive Landesgesetzgebung, abgewehrt. Sowohl das Bundes-Asylverfahrensgesetz als auch das Sächsische Flüchtlingsaufnahmegesetz führen Gemeinschaftsunterkünfte als Regelunterbringungsformen auf, beide Gesetzlichkeiten lassen jedoch Spielräume für andere Unterbringungs-Formen, wie es Wohnungen sein können.

Das Ringen um verbesserte Lebensbedingungen von Asylsuchenden darf sich aus unserer Sicht allerdings nicht in der Debatte um die politisch-institutionelle Zuständigkeit festfahren.
Es geht vielmehr um eine grundlegend humanistische Frage, die mit einer Kritik am kapitalistischen System zu verknüpfen ist.

Wann ist ein Mensch wert gut leben zu können? Unsere Antwort lautet: Jedem Menschen, egal wo er geboren ist, ob körperlich oder psychisch beeinträchtigt, ob zu Arbeit bereit oder nicht, hat einen Anspruch auf ein gutes, auf ein würdiges Leben.

Die menschenunwürdige Unterbringung in Sammelunterkünften, drastisch auch Lager genannt, ist dabei „nur“ ein Teilproblem, ebenso wie die Residenzpflicht, Paketversorgung und die minimale sozialstaatliche Absicherung von Asylsuchenden (nur mal als Eindruck: 224,97 ist der monatliche Höchsatz nach Asylbewerberleistungsgesetz) – das Grundproblem ist und bleibt der Kapitalismus in seiner nationalstaatlichen Konstitution. Ein Gesellschaftssystem, das Teilhabe – insbesondere in Deutschland – an der geburtsmässigen Herkunft festmacht, … ein Gesellschaftssystem das Nicht-Deutschen eine Existenzberechtigung nur dann zugesteht wenn sie besonders qualifizierte oder aber besonders erniedrigenden Arbeiten ausführen, ein System, das Menschen abschiebt, wenn sie Verfolgung im Heimatland nicht adäquat nachweisen können.

Dieses System muss ein Ende haben.
In diesem Sinne: Weg mit Sammelunterkünften, Schluss mit Abschiebungen, Schluss mit jeder Form von Rassismus. Seid solidarisch mit Flüchtlingen.
Denn Menschenwürde ist nicht teilbar.

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