Rechts motiverte Morde – Ignorieren geht weiter

Ein Bestandteil der Aufarbeitung der rassistischen Mordserie des Nationalsozialisten Untergrund (NSU) ist die Überprüfung der Zahlen und offiziellen Erfassung von Opfern rechter Gewalt. Die Diskrepanz zwischen offiziell anerkannten und von JournalistInnen und Zivilgesellschaft recherchierten Fällen ist bekanntermaßen hoch. Der Freistaat Sachsen verweigert sich einer offensiven und transparenten Aufarbeitung. Auch neue Leipziger Verdachtsfälle fallen durchs Raster.

Von den sechs vom Rechercheprojekt von ZEIT und Tagesspiegel (hier klicken) erfassten Morden in Leipzig sind mittlerweile drei offiziell anerkannt. Dies betrifft die drei rassistisch motivierten Gewalttaten an Achmed Bachir (23.10.1996), Nuno Lourenço (4.7.1998) und Kamal Kilade (24.10.2010). Die sozialdarwinistischen Morde an Klaus R. (28.5.1994 ) und Karl-Heinz Teichmann (22.8.2008) sowie der homophobe Mord an Bernd Grigol (8.5.1996) gelten dem Staat trotz klarer Indizien nicht als rechts motiviert.

Daran hat auch die Überprüfung von Altfällen nichts geändert. 3300 ungeklärte Tötungsdelikte und Tötungsversuche wurden nach der Selbst-Aufdeckung des NSU bundesweit untersucht. Davon weisen 746 Fälle Anhaltspunkte für „rechtsextremistisch motivierte Straftaten“ auf und werden nun näher betrachtet. Sachsen hat von in diesem Zusammenhang insgesamt 109 geprüften Altfällen nur zwei (einer aus 1995 und einer aus 2004) an das Bundeskriminalamt weitergemeldet. (siehe Kleine Anfrage von MdL Miro Jennerjahn, Januar 2014″Überprüfung von Altfällen auf politisch rechte Tatmotivation oder Bezug zum „NSU“ hier klicken)
Zusätzlich werden derzeit die von Zeit/ Tagesspiegel gezählten Morde durch das Bundeskriminalamt einer Überprüfung unterzogen. Ein Ergebnis soll im Laufe des Jahres vorlegen.

Der Initiativkreis Antirassismus, der sich seit 2010 mit rechts motivierten Morden in Leipzig befasst, hat im Zuge der Arbeit an dem Ausstellungsprojekt „Die verschwiegenen Toten“ weitere potentielle rechts motivierte Fälle recherchiert.
Dies betrifft die Morde an Gerhard Sch., der sich in einer Straßenbahn in Leipzig gegen Neonazis positionierte (1991), dem wohnungslosen Horst K. (1995), dem homosexuellen Gerhard Helmut B. (1995) und dem Mord an Thomas K., der von dem der rechten Szene zugehörigen Täter aufgrund seines Cannabis-Konsums als „alternativ“ kategorisiert (2003).

Mittels einer Kleinen Landtagsanfrage sollte erhellt werden, ob diese und weitere Morde durch das Sächsische Innenministerium im Zuge der Altfallüberprüfung erfasst und geprüft wurden. Dies ist nicht der Fall. Demnach sind von der Altfallüberprüfung nur ungeklärte Fälle, aber nicht solche, bei denen die TäterInnen bereits einer Verurteilung zugeführt wurden, erfasst. Laut Sächsischen Innenministerium könnte dies möglicherweise nach Abschluss der aktuellen Überprüfungsphase folgen. (siehe Kleine Anfragen von MdL Kerstin Köditz, Januar 2014, Überprüfung von Tötungsdelikten auf rechtsmotivierte Hintergründe seit November 2011 hier klicken und Überprüfung ungeklärter Tötungsdelikte auf rechtsmotivierte Tathintergründe hier klicken)

Einen anderen, vorbildhaften Weg geht derweil das Land Brandenburg. Im Rahmen eine Forschungsprojektes werden dort bis 2015 „umstrittene Altfälle Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt“ überprüft. Die Akten werden dabei nicht nur intern durch das LKA überprüft, sondern WissenschaftlerInnen des Moses-Mendelson-Zentrum der Universität Potsdam zugänglich gemacht. Ein ExpertInnenkreis, der neben Polizei, Ministerium und Justiz auch zivilgesellschaftliche Organisationen und die Amadeu-Antonio-Stiftung umfasst, begleitet die wissenschaftliche Aufarbeitung. Im Ergebnis des Projektes sollen auch Erkenntnisse für zukünftige Ermittlungen abgeleitet werden.

Der fahrlässige, ignorante Umgang der Bundesrepublik mit der Erfassung von Opfern rechter Gewalt findet auch international Beachtung. Im Februar rügte der Europarat Defizite im Kampf gegen Rassismus. So heißt es im Deutschlandbericht des Anti-Rassismus-Komitees (Ecri) unter anderem, dass rassistische und homophobe Motive bei Straftaten in Deutschland zu schnell ausgeschlossen werden. Daher wird im Bericht empfohlen das „System zur Erfassung und Nachverfolgung „rassistischer, fremdenfeindlicher und transphober” Zwischenfälle zu reformieren, um sicherzustellen, dass alle Fälle, die ein solches Motiv einschließen, erfasst werden“. (Empfehlung 56 im Bericht download als pdf)

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