Normal-Rassistisch: Ergebnisse der Kommunalen Bürger(Innen)-Umfrage in Leipzig

Am 30.7. veröffentlichte die Leipziger Stadtverwaltung die Ergebnisse der Kommunalen Bürger(Innen)umfrage 2011. Die Hauptproblemlagen der LeipzigerInnen sind laut des aktuellen Meinungsbildes der schlechte Zustand der Straßen, Kriminalität und mangelnde Sicherheit.

Dass die Kriminalitätsrate in der Rückschau der letztem Jahre eher im Sinken begriffen bzw. sich „auf dem Niveau der letzten Jahre“ konsolidiert (so der Sächsische Innenminister Ulbig zur Kriminaliätsstatistik 2011) und unsere Gesellschaft immer sicherer wird, trägt offensichtlich nicht zu einer rationalen Einschätzung der Sicherheitslage bei. Für das rapide Anwachsen des Unsicherheitsgefühls  – von 29 % in 2010 auf 41 % – dürfte nicht zuletzt das nunmehr fast zwei Jahre andauernde Getöse von Autoritäten dieser Stadt verantwortlich sein.

Explizit nimmt die Bürger(Innen)umfrage (Download als pdf 8,5 MB) die Einstellung der LeipzigerInnen zu MigrantInnen ins Visier. Mittels sechs Aussagen hat das Amt für Statistik und Wahlen mit Unterstützung des Referats Migration und Integration Perspektiven zum „Verhältnis von Deutschen und Ausländern“ (hier sind die MigrantInnen gemeint, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben = 5 % der Wohnbevölkerung in Leipzig) abgefragt.

Im Oktober 2011 hatten Tilman Loos und ich diese Fragestellungen kritisiert und deren Rücknahme und Überarbeitung gefordert. Begründet haben wir die Kritik damit, dass fünf von sechs Aussagen Negativbilder von MigrantInnen transportieren und damit rassistische Stereotype befördern könnten.

So wurden in dem vom Amt für Statistik und Wahlen herausgegebenen Fragebogen folgende sechs Aussagen vorgegeben, zu denen sich die befragten 16.000 LeipzigerInnen positionieren konnten:

– „Durch die vielen Ausländer in Leipzig fühlt man sich zunehmend als Fremder in seiner Stadt.“

– „Ausländer nehmen die Arbeitsplätze in Leipzig weg.“

– „Die Ausländer sollten ihren Lebensstil an den der Deutschen anpassen.“

– „Die Ausländer machen die Arbeit, die die Deutschen nicht erledigen wollen.“

– „Die in Leipzig lebenden Ausländer sind eine kulturelle Bereicherung für unsere Stadt.“

Während die ersten fünf aufgeführten Fragen fremdenfeindliche/rassistische Stereotype bedienen, ist auch die letzte Aussage, die ein positives Bild von MigrantInnen anbietet, stigmatisierend. Denn auch hier wird die vermeintliche Abnormalität von MigrantInnen – wenn auch positiv gewendet – zementiert.

Der Fragenteil zum „Verhältnis Deutsche – Ausländer“ wurde von der Verwaltung seinerzeit nicht zurückgenommen. Stattdessen bezog man sich auf bundesweite Umfragestandards.

Das Ergebnis, was mit der Kommunalen Bürger(Innen)umfrage nun Ende Juli vorgelegt wurde, ist im Kern wenig erstaunlich: ein beachtlicher Teil der LeipzigerInnen ist normal-rassistisch. Die ermittelten Werte weichen dabei kaum von renommierten Studien zur rechten Einstellung in Deutschland ab, wie sie Elmar Brähler/ Oliver Decker mit ihren „Mitte“-Studien (zuletzt „Die Mitte in der Krise“, 2010 download als pdf) oder Wilhelm Heitmeyer mit seiner Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ (10. und vorerst letzter Teil 2011) regelmäßig vorlegen. Weit aus mehr als ein Drittel der Deutschen sind nach diesen Studien fremdenfeindlich bis rassistisch eingestellt, d.h. meinen, dass zu viele Ausländer in Deutschland leben“, dass es „natürliche Unterschiede zwischen weißen und schwarzen Menschen gibt“ oder „die Ausländer nur hierherkommen, um den Sozialstaat auszunutzen“.

Ähnliches zeigen die Leipziger Ergebnisse:

– Zustimmung zu Aussage „Durch die vielen Ausländer in Leipzig fühlt man sich zunehmend als Fremder in seiner Stadt.“
voll und ganz: 9 %/ eher: 12 %/ teils/teils: 23/ eher nicht: 33 %/ überhaupt nicht: 23 %

– Zustimmung zur Aussage: „Ausländer nehmen die Arbeitsplätze in Leipzig weg.“
voll und ganz: 5 %/ eher: 14 / teils/teils: 9 %/ eher nicht: 40 %/ überhaupt nicht: 32 %

– Zustimmung zur Aussage: „Die Ausländer sollten ihren Lebensstil an den der Deutschen anpassen.“
voll und ganz: 27 %/ eher: 25 %/ teils/teils: 38 %/ eher nicht: 7 %/ überhaupt nicht: 4 %

– Zustimmung zur Aussage: „Die Ausländer machen die Arbeit, die die Deutschen nicht erledigen wollen.“
voll und ganz: 4 %/ eher: 13 %/ teils/teils: 41 %/ eher nicht: 31 %/ überhaupt nicht: 11 %

– Zustimmung zur Aussage: „Man sollte den Ausländern jede politische Betätigung in Deutschland untersagen.“
voll und ganz: 9 %/ eher: 6 %/ teils/teils: 25 %/ eher nicht: 28 %/ überhaupt nicht: 33 %

– „Die in Leipzig lebenden Ausländer sind eine kulturelle Bereicherung für unsere Stadt.“
voll und ganz: 13 %/ eher: 19 %/ teils/teils: 44 %/ eher nicht: 17 %/ überhaupt nicht: 7 %

Die große Zustimmung zur Frage nach der Anpassung der MigrantInnen an den „Lebensstil der Deutschen“ verweist auf eine ausgeprägte kulturrassistische Einstellung. Der kulturelle Rassismus löst den biologistischen mehr und mehr ab (die Grenzen zwischen beiden Denkkonstrukten sind allerdings fließend). Nicht mehr der Unterschied zwischen vermeintlichen Menschenrassen sondern der Unterschied zwischen Lebensstilen, Sitten und Gebräuchen dient als Grundlage für die Abwertung der „Anderen“. Die Kritik am Begriff „Integration“, die u.a. antirassistische Gruppen tragen, erklärt sich vor diesem Hintergrund. Integration sei, so kritisieren unter anderem die Initiativen „Integration – nein Danke“ und „Demokratie statt Integration“ ein Instrument zur Unterordnung von Menschen unter ein vorgegebenes Wertesystem bzw. einen von der Mehrheitsgesellschaft und insbesondere deren LeistungsträgerInnen gesetzten Verhaltenskodex (Leitkultur).

Die Kritik an den Fragen der Bürgerumfrage bleibt. Schließlich ging es bei der alljährlichen repräsentativen Stichprobe zu allerlei Themen nicht um eine Studie zu spezifischen Einstellungen der in Leipzig lebenden Menschen. Dass es ein derartiges Übergewicht an Fragen bzw. Aussagen gab, die Negativ-Bilder von MigrantInnen transportieren, ist und bleibt kritikabel. Damit können Ressentiments, die sowieso virulent sind, auch noch verstärkt werden. Zudem fehlt mindestens eine Aussage, die die Präsenz von MigrantInnen als ganz normal – weder negativ noch positiv – einordnet.

Trotzdem bleibt die Essenz der Umfrage-Ergebnisse die eigentliche Herausforderung. MigrantInnen sind und bleiben laut Umfrage-Ergebnissen eine Projektionsfläche für Negatives. Hierfür spricht vor allem der Fakt, dass vor allem die, die gar keine Berührung mit MigrantInnen haben – laut BürgerInnenumfrage 45 % der LeipzigerInnen – in höherem Maße Negativbilder von MigrantInnen haben. Wenig überraschend ist auch, dass Studierende, von denen es in Leipzig viele gibt, vorurteilsfreier sind und dass Menschen, die weniger verdienen, fremdenfeindlicher sind als besser Verdienende (der Aufstand gegen neue Unterkünfte für Asylsuchende in Leipzig-Wahren und Portitz, zwei eher gut situierten Vierteln, spricht dabei klar eine andere Sprache).

Letztendlich behält das gefälschte Schreiben, das Mitte Juni in Leipzig-Portitz verteilt wurde, Recht und es braucht einer demokratischen Bildungsoffensive und Berührung mit MigrantInnen im Alltag um zu merken, dass es sich hierbei um ganz normale Menschen handelt und dass eine grenzen-lose Gesellschaft ohne die Konstrukte Nation und Rasse und daraus abgeleitete Rechte die einzige plausible Alternative zum Bestehenden ist.

Zum Thema:

„Die vielen Ausländer“: Umfrage-Ergebnisse zu Fremdenfeindlichkeit in Leipzig polarisieren (LVZ-online, 30.7.2012)

Ein Schnellbericht zur Bürgerumfrage 2011 (5): Leipzigs Ausländer im Fragen-Mus der Sozialwissenschaftler (L-iz, 1.5.2012)

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