Hommage an einen umstrittenen und umkämpften Ort

Bediene ich das Klischee oder rücke ich lieber einen anderen eher westlich gelegenen Lebensmittelpunkt in den Fokus, fragte ich mich nach der Anfrage von Adelina mit ihrem leipzig-leben-Blog, mich mit einem Beitrag zu Lieblingsorten in Leipzig zu beteiligen.
Nein, ich lasse mich durch Negativ- wie Positivzuschreibungen nicht aus der Ruhe bringen und widme mich einem neuralgischen Ort, der auch mein Leben maßgeblich geprägt hat: dem Connewitzer Kreuz.

„Das Kreuz“ ist der zentrale Platz im Ortsteil Connewitz, Verkehrsknotenpunkt, Standort zahlreicher Kulturpro… Blödsinn. Genau mit solchen Beschreibungen rückt das Kreuz und der umliegende Nahraum immer mehr in den Fokus von Investionswilligen verschiedenster Coleur. Das macht das Neuralgische eben nicht aus. Vielmehr sind es die Menschen, die sich diesen Tendenzen widersetzen, mehr als anderswo in dieser Stadt. Der Kampf gegen die Errichtung eines großen Einkaufsmarktes ist dafür genauso Ausdruck wie der gegen Sanierungsprojekte, die Menschen mit geringen Einkommen als MieterInnen ausschließen.
Und das ist gut so.
Connewitz blickt auf eine lange Tradition politischen Protests zurück. Besetzte Häuser, offensives Vorgehen gegen Nazibedrohungen, gegen Kontrolle und Überwachung, das Verteidigen von Freiräumen und alternativen Lebensentwürfen… All dies gehört ins Repertoire – und versackt zunehmend in Gutenachtgeschichten an den Tischen der zahlreichen Kiezkneipen.
Leider.
Als 1999 am Connewitzer Kreuz eine Polizeikamera installiert wurde, die den zentralen Platz des Viertels – der Startpunkt von linken Demonstrationen, Treffpunkt und Aufenthaltsort für verschiedenste Menschen dies- und jenseits des Mainstreams, war und ist – ausspäht, gab es eine ganze Woche lang täglich eine Protestdemonstration. Eine szeneübergreifende Kampagne gegen die Überwachung öffentlicher Räume analysierte die Maßnahme als politisch, da gegen die linke Szene im Stadtteil und gegen einen „sozialen Ballast“, der seine Tage an der „Kaufhalle am Kreuz“ verbringt, gerichtet. Gleichsam blickte die Kampagne über den Kieztellerand und arbeitete die Normalisierung von Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen und das Aufgehen des zeitgenössischen Individuums in diesem Paradigma heraus.
Wenige Monate später, im April 2000, demontierte die Polizei die Kamera, um sie 2003 nach „nonkonformen Zerstörungsaktionen“ wieder zu installieren.
Bis heute überwacht die Kamera das Connewitzer Kreuz. Eine politische Auseinandersetzung darüber bzw. Protest dagegen gibt es nicht mehr, dafür legen immer mal wieder Leute selbst Hand gegen die Überwachungsmaßnahme an, zuletzt im Dezember 2012 bei der traditionellen Schneeballschlacht zum alljährlichen Wintereinbruch.

Dieses Event ist wie auch die Silvesternacht am Connewitzer Kreuz mit allerlei Projektionen belegt – von allen Seiten.Während manche glauben zum Jahreswechsel am Connewitzer Kreuz die Revolution herbeizutrinken und zu „krawallen“ glauben, bringt sich die Polizei an diesem Ort seit einigen Jahren massiv in Stellung, um jeder Regung sofort HerrIn zu werden. In diesem Jahr sollen es 500 Einsatzkräfte gewesen zu sein. Beide Seiten mythologisieren einen Ort, der immer mehr Mainstreamtendenzen aufweist.
Und das ist schade.
Denn ein bisschen Revolutionsromantik trage auch ich mit Blick aufs Connewitzer Kreuz in mir. Immer noch verteidigen wenige Engagierte den widerständigen Anspruch, der Connewitz und das Kreuz historisch umweht und der an vielen Stellen zumindest oberflächlich noch sichtbar ist. Doch ihre Deutungsmacht schwindet. Zwar raffen sich ab und an Menschen und Projekte auf um sich kollektiv gegen reaktionäre Tendenzen zu wehren, einen kontinuierlich solidarisch-kritischen Austausch allerdings gibt es nicht.

Der Stadtteil und auch dessen zentraler Platz verändern sich. Zum Zurücklehnen ehemals Aktiver aufs Nischen-Ruhekissen kommt der Zuzug von Menschen, die andere, eher dem ökogrünenkreativen Mainstream entsprechende Lebensentwürfe haben und auch mit besseren finanziellen Ressourcen ausgestattet sind. Lebensentwürfe, in denen linke Politik nicht nur zum Alternativ-Chique gehört, werden so mehr und mehr marginalisiert. Massive Polizeipräsenz wird hingenommen. Widerstand gegen offensive und manchmal auch lautstarke Nutzung des öffentlichen Raumes gibt es kaum, der durch Klagen von einzelnen AnwohnerInnen um nunmehr fast drei Jahre hinausgeschobene Bau eines am Connewitzer Kreuz geplanten Streetball-Platzes bleibt unwidersprochen. Und schließlich wird sich hier und da auch ums Image gesorgt.
Jenseits dieser kulturellen Konflikte werden aber auch ökonomische sichtbarer. Hochwertige Sanierungen und Mietsteigerungen führen langsam aber sicher zum Bevölkerungsaustausch. Die Uhr tickt, der Mythos wird zum hippen Anziehungsfaktor.

Trotzdem und mit all seiner Widersprüchlichkeit mag ich den Kiez samt dem umkämpft-umstrittenen Connewitzer Kreuz. Und wünsche ihn mir zugleich weniger kleingeistig, eng, angekommen und vorhersehbar, eben wirklich widerständiger.

 

Bildquelle: Das Internationale Rotzlöffeltum, Aktion „Schirmherrschaft über das Connewitzer Kreuz“ zum Protest gegen die Videoüberwachung, März 2010 (zum „Bekenner-Video“)

Ein Gedanke zu „Hommage an einen umstrittenen und umkämpften Ort“

  1. Connewitz hat eine alte Tradition. Ihr führt sie weiter und wisst wahrscheinlich nichts über die Alteleutescheiße. Natürlich war es ein wenig anders. Weniger öffentlich aber dafür noch mehr beobachtet wie ihr. 1975- 80. In der Hammerstraße wohnte eine Frau die jetzt Prof. an der HGB ist. Natürlich in einem besetzten Haus. Mehrere HGB Studenten hatten ein Haus in der Meusdorfer eingenommen. Eingenommen ist zu viel gesagt. Wir haben es leergewohnt. Ideologische Konflikte gab es auch. Nicht so wie bei euch. Das wäre doch ein wenig leichtsinnig gewesen. Unsere NAZIS nannten wir damals KOZIS. Halt das, was damals so regierte die SED – Bonzen.

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