Gentrification: (k!)ein ordnungspolitisches Problem

In Leipzig beschäftigt sich der Kriminalpräventive Rat mit (Protesten gegen) Gentrification im Stadtteil Connewitz. Mit einer Anfrage will die Stadtratsfraktion DIE LINKE Transparenz über die Zielrichtung der Arbeit der AG herstellen. (Inzwischen wurde der Zwischenbericht der AG geleakt (pdf-Datei auf http://connewitz.noblogs.org), was die Antwort der Stadt eher spannender und eine offene Diskussion möglich macht)

Der Kriminalpräventive Rat (KPR) ist ein gemeinsames Gremium von Stadt Leipzig und Polizei, das „der im Sächsischen Polizeigesetz festgeschrieben Pflicht der Polizeibehörden (die Stadt Leipzig ist zuständige Kreispolizeibehörde) Kriminalprävention zu betreiben“, nachkommt. Der Leipziger KPR hat diverse Arbeitsgruppen, die einem/r eher Angst und Bange machen, zum Beispiel Extremismusprävention oder Graffiti. Dass nun auch Stadtentwicklung explizit in den Kontext von Kriminalität gesetzt wird, erscheint auf den ersten Blick abwegig. Doch ein Blick auf bundesweite Tendenzen genügt: Kritik an und Protest gegen Mieterhöhungen, Gentrification oder Zwangsräumungen werden zunehmend als Sicherheitsproblem wahrgenommen, das staatlicherseits beobachtet und behandelt wird. (siehe Beitrag „Gentrification immer extremer …“ von Andrej Holm) Auch in Leipzig.

Arbeitsauftrag der AG Stadtentwicklung ist es „aktuelle Stadtentwicklungsprozesse in Connewitz zu untersuchen und Lösungsansätze für problematische Entwicklungen zu erarbeiten“. Auslöser der Beauftragung durch den Kriminalpräventiven Rat am 24.11.2011 sei „gewalttätiger Protest gegen vornehmliche Gentrifizierungsprozesse“.

Leipzig & Gentrification
Seit Mitte des Jahres 2011 wird in Leipzig über Gentrification gesprochen, parallel lassen sich entsprechende Entwicklungen – Miet- und Grundstückpreissteigerungen, Aufwertung bestimmter Viertel, punktuelle Verdrängung von MieterInnen – feststellen. Vor dem Hintergrund von Farbbeutelwürfen auf Stadthäuser, einer Handgreiflichkeit an einem von Security bewachten Sanierungsobjekt in Connewitz und Steinwürfe auf das im Kiez angesiedelte städtische BürgerInnenamt gab es eine rege Debatte in zahlreichen Veranstaltungen und Publikationen sowie ein gesteigertes Medieninteresse.  Schnell überwand die Debatte die Grenzen von Connewitz – die gesamte Stadt rückte in den Fokus. Zahlreiche Studien und zuletzt der Monitoringbericht Wohnen 2012 (download als pdf) belegen, dass es in Leipzigs Kernstadt Mietsteigerungen gibt. Insbesondere in den innenstadtnahen, südlichen und aufstrebenden Vierteln im (Süd)Westen liegen die Mieten über dem Stadtdurchschnitt, Tendenz steigend. Die mit diesen Entwicklungen befassten AkteurInnen weisen zurecht darauf hin, dass die soziale Lage in Leipzig überdurchschnittlich schlecht ist, zuletzt ermittelte das Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung im November 2012, dass Leipzig die „Armutshauptstadt Deutschlands“ ist, 25 % der in Leipzig lebenden Menschen sind arm, sprich haben ein Einkommen, das unter 60 Prozent des bedarfsgewichteten Medianeinkommens liegt. Nicht alle armutsgefährdeten Personen sind SGB-II-EmpfängerInnen (2011: 18,6 %), vielmehr weist die Differenz von 6,4 % auf wachsende Einkommensarmut hin.

Die hohe Armutsgefährdungsquote und der wachsende Anteil von NiedriglöhnerInnen macht die Menschen, die in Leipzig zur Miete wohnen, in Bezug auf Mietsteigerungen besonders verletzlich. Die teuren Sanierungs- und Neubauprojekte, von denen es immer zahlreichere gibt, werden zudem Auswirkungen auf das Mietniveau der umliegenden Wohnungen haben. Das Drängen von FinanzmarktakteurInnen auf den Immobilienmarkt verschärft die Situation auf einem an sich kapitalistischen organisierten Wohnungsmarkt noch zusätzlich.

Es ist also vollkommen richtig und wichtig jetzt, am relativen Beginn der Gentrification-Prozesse in Leipzig Druck zu machen und Verwaltung und Politik zu regulativen Maßnahmen zu drängen, um Segregationsprozesse auch langfristig zu verhindern. Realpolitische Forderungen – z.B. Mietobergrenzen, sozialer Wohnungsbau, keine weiteren Verkäufe aus dem Bestand der städtischen Wohnungsbaugesellschaft oder eine Leerstandsabgabe – entwickelt beispielsweise das Netzwerk „Stadt für alle“. Diese Forderungen werden durch Aktionen wie Besetzungen – im April 2012 in der Naumburger Str. oder die Radwegbesetzung durch WagenbewohnerInnen im Dezember 2012 – ergänzt bzw. unterstützt. Und das macht Sinn. Der Oberbürgermeister nahm im Zuge seines Wahlkampfes zum ersten Mal zu den schwelenden Problemen Stellung, nachdem die Entwicklungen von VertreterInnen der Stadtverwaltung immer wieder geleugnet oder bagatellisiert wurden. Nach seiner Wahl erhob er immerhin die Forderung nach sozialen Wohnungsbau. Wie allein Neubau allerdings gegen steigenden Mieten im Bestand helfen soll, ist an anderer Stelle zu diskutieren.

AG Stadtentwicklung beim Kriminalpräventiven Rat
Was will nun die AG Stadtentwicklung beim KPR? Offenkundig die Debatten und auch Proteste gegen Aufwertung verbunden mit drohender Verdrängung rein ordnungspolitisch betrachten und in diesem Sinne befrieden. Bezeichnend ist, dass der Leiter der AG der ehemalige Leiter des Polizeireviers Süd/ Südost, Frank Gurke, auch Leiter dieser AG ist/ war. Herr Gurke machte im vergangenen Jahr von sich reden, als ein CDU-Stadtrat vorgeblich in seinem Namen ConnewitzerInnen dazu aufforderte „ Erfahrungsberichte mit der links-alternativen Szene“ zu geben. Um über die – bisher geheime Arbeit – der AG Stadtentwicklung beim KPR mehr in Erfahrung zu bringen, hat die LINKE im Stadtrat eine Anfrage an den OBM eingereicht, die am 17.4.13 in der Ratsversammlung beantwortet werden wird (siehe unten). Schon jetzt kann gesagt werden, dass es höchst verwunderlich ist, dass keine bekannten Akteure aus dem Stadtteil in die Arbeit der AG einbezogen, ja nicht einmal angefragt wurden. Das erhärtet den Verdacht, dass es keine Auseinandersetzung mit den Problemwahrnehmungen von BewohnerInnen oder Interessengruppen geben soll und daher auch keine Auseinandersetzung mit den Motivationen von Protesten gibt.

Wie inzwischen durchsickerte, ist aus der Arbeit der AG der Plan geronnen, in Connewitz ein „Kiezmanagement“ einzurichten. Dieser Plan wird vom Sächsischen Innenministerium befürwortet. Der Schluss, dass es hier um die Befriedung einer vermeintlich linksextremistischen Szene gehen soll, liegt nahe. Die Finanzmittel für dieses Kiezmanagement soll aus dem Landesprogramm Weltoffenes Sachsen akquiriert werden, das in der Praxis als Förderprogramm für Projekte gegen Neonazismus, Diskriminierung und in diesem Sinne für die Stärkung einer demokratische Kultur fungiert. Wird das WOS nun zum Anti-Extremismus-Programm, wie es auf Bundesebene mit der 2010 von Familienministerin Schröder ins Leben gerufenen „Initiative Demokratie stärken“ bereits praktiziert wird? Dieses richtet sich „gegen Linksextremismus und Islamismus“ und ergänzt das Bundesprogramm gegen rechts „Toleranz fördern, Kompetenz stärken“ und schlägt in die Kerbe der Extremismusdoktrin, mit der ein fragwürdiges Demokratieverständnis legitimiert und linke, emanzipatorische Politik mit neonazistischer/ faschistischer gleichgesetzt wird.

Wie gehabt ist nicht zu erwarten, dass die Antworten auf die OBM-Anfrage besonders ergiebig sind. Vielleicht bewegt sie die Verwaltung zumindest dazu zu realisieren, dass vielfältige Pläne hinter verschlossenen Türen auszuhecken nicht sinnvoll ist bzw. sogar nach hinten losgehen kann und dass die Debatte um Gentrification in Leipzig wichtig, aber besser bei den Dezernaten für Stadtentwicklung und Soziales angesiedelt wäre – statt federführend von der Polizei initiiert und bestimmt zu werden.

 

Anfrage Nr.  V/F818/13: „AG Stadtentwicklung/Connewitz beim Kriminalpräventiven Rat“, Fraktion DIE LINKE

Beim Kriminalpräventiven Rat der Stadt Leipzig arbeitet die Arbeitsgruppe Stadtentwicklung. Diese setzt sich zum Ziel, „aktuelle Stadtentwicklungsprozesse in Connewitz zu untersuchen und Lösungsansätze für problematische Entwicklungen zu erarbeiten“.
Wir fragen in diesem Zusammenhang:

1. Seit wann arbeitet diese AG? Wer arbeitet in der AG? Wer hat sie initiiert und die Aufgabenstellung formuliert?
2. Welche Indizien und Beweise liegen für die formulierte Problemanalyse vor, nach der es in Connewitz „gewalttätigen Protest gegen vornehmliche Gentrifizierungsprozesse“ gibt? Was sind „vornehmliche Gentrifizierungsprozesse“? Teilt die Stadt Leipzig den Befund, dass es in Leipzig-Connewitz Gentrifizierungsprozesse gibt?
3. Sind Akteure aus dem fokussierten Stadtteil in die Arbeit der AG involviert? Wenn ja, wer?
4. Mit welchen Arbeitsschritten hat sich die AG befasst? Wie wurden welche Akteure aus dem benannten Stadtteil daran beteiligt?
5. Was ist der aktuelle Arbeitsstand bzw. das Ergebnis der Arbeit der AG?
6. Wird die Arbeit der AG auch für andere Ortsteile/Stadtbezirke in Leipzig fortgeführt?

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