Extremismusklausel und kein Ende – Bestandsaufnahme und Zwischenstand.

Im Sommer 2010 leitete CDU-Bundesfamilienministerin Kristina Schröder mit der Ankündigung über die Neuausrichtung der Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus einen wirkungsmächtigen Paradigmenwechsel in Sachen Demokratieförderung ein.

Die unter rot-grün um die Jahrtausendwende eingeführten Förderprogramme wurden nicht nur finanziell weiter abgespeckt sondern inhaltlich schwerwiegend verändert. Ging es noch bei den Vorgängerprogrammen „Kompetent für Demokratie“ und „Vielfalt tut gut“ um die Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, weitete Schröder den Fokus im neuen Förderprogramm „ Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ auf das Vorgehen auch „gegen Linksextremismus und islamistischen Extremismus“ aus. Und nicht nur das: ganz im Sinne der von ihr noch als MdB bereits 2006 vehement eingeforderten Einbürgerungstests inklusive Gesinnungscheck brachte Kristina Schröder im Herbst vergangenen Jahres die Extremismusklausel (die so genannte Demokratieerklärung) ins Spiel.

Mittlerweile steht fest: Vereine und Initiativen, die Fördermittel aus dem Programm des Familienministeriums beziehen wollen, müssen eine Erklärung unterschreiben, mit der sie sich zur Freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen, außerdem erklären, dass sie eine dem Grundgesetz förderliche Arbeit leisten und schließlich Sorge dafür tragen, dass auch ProjektpartnerInnen dies tun. Weder vehemente Kritik von renommierten Organisationen wie dem Zentralrat der Juden, aus der Zivilgesellschaft oder aus der Parteienlandschaft noch verfassungsrechtliche Zweifel von renommierten Juristen oder vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages selbst beeindruckten die Bundesministerin. Anträge der Linksfraktion sowie der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen die Klausel zurückzunehmen scheiterten im Februar im Bundestag. Auch die ach so liberale FDP wollte sich nicht gegen die in der Klausel verankerte Wegweisung zur Bespitzelung und erzwungenen Konformität wenden.

Sachsen ist bis dato das einzige Bundesland, das die Extremismusklausel von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder adaptiert und auf die Vergabe von landeseigenen Fördermitteln übertragen hat. Zwar hielt der sächsische Innenminister aufgrund der verfassungsmäßigen Bedenken um die Klausel kurz inne, die überarbeitete sächsische Klausel weist allerdings keine grundsätzliche Differenz zu der des Bundesfamilienministeriums auf. Die Träger, die Gelder bspw. aus dem Programm „Weltoffenes Sachsen“ beziehen wollen, müssen sich ebenso zur fdGo bekennen und Sorge dafür tragen, dass ihre PartnerInnen dies auch tun. Das bedeutet, dass ProjektpartnerInnen wie ReferentInnen, ModeratorInnen aber möglicherweise auch LayouterInnen die sächsische Extremismus-Klausel auch unterschreiben müssen.

Die Extremismusklausel ist nicht nur Bespitzelungsinstrument, das Misstrauen unter zivilgesellschaftlichen, antifaschistischen Akteuren säen und die Spaltung in „gute“ und „böse“ Arbeit gegen Nazis und Diskriminierung befördern wird. Die Klausel trägt eine zutiefst reaktionäre, autoritäre Idee von Staatlichkeit in sich. Die viel beschworene Zivilgesellschaft, deren natürlicher Auftrag die Aktivierung und Belebung der demokratischen Kultur ist, wird mit der Klausel versucht noch mehr mundtot und zahm zu machen als sie es sowieso schon ist. Die Abhängigkeit von staatlicher Förderung und die Umstrukturierung der Förderprogramme gegen rechts unter der schwarz-roten Bundesregierung (seit 2007 läuft die Beantragung der so genannten Lokalen Aktionspläne z.B. über die Kommunen und Kreise, wodurch die Einschätzung der Notwendigkeit einer Förderung von Arbeit gegen Nazis und Diskriminierung weg von den Basisinitiativen in die Hände der BürgermeisterInnen und LandrätInnen gegeben wurde, wodurch auch der Konformitätsdruck solcher Initiativen, die vielerorts als „Nestbeschmutzer“ wahrgenommen und delegitimiert wurden, wuchs) hat den kritischen Stachel zahlreicher, vor allem großer zivilgesellschaftlicher Träger schon längst getilgt.

Die Extremismusklausel hebt die Forderung nach Linientreue und Loyalität von zivilgesellschaftlichen Akteuren zum Staat allerdings auf eine neue Stufe, indem sie direkt in den Bereich der Meinungsfreiheit eingreift. Dazu wird in einem Rechtsgutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zum Thema ausgeführt:

„Die staatliche Forderung, ein Bekenntnis abzulegen [darf] nur ausnahmsweise zulässig sein, wo aufgrund einer besonderen Beziehung oder Rechtsstellung diese Grundrechtsbeschränkung unerlässlich ist. Durch Bundesgesetz wird einer Person ein solches Bekenntnis nur in zwei Konstellationen abverlangt. Nach § 60 Abs. 1 des Bundesbeamtengesetzes (BBG)58 bzw. nach § 33 Abs. 1 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG)59 müssen sich Beamtinnen und Beamte durch ihr gesamtes Verhalten „zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten“

[….] Die zweite Bekenntnispflicht ist im Einbürgerungsrecht normiert. Ob ein Ausländer einen Anspruch auf Einbürgerung hat, hängt nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) u.a. davon ab, dass er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennt.“

Dass gerade Sachsen in dieser Sache an einem Strang mit der ultrakonservativen Linie der Bundesfamilienministerin zieht, verwundert angesichts der Tatsache, dass hier die „intellektuellen Väter“ der Extremismusthese, Eckard Jesse und Uwe Backes, die insbesondere im Rahmen ihrer Tätigkeit im/ für das Hannah-Arendt-Institut in Dresden durch die Ausdehnung des Totalitarismusbegriffes auf die DDR zur Historisierung des Nationalsozialismus beitrugen, ihre Haupt-Wirkstätte nicht. Dass Sachsen gleichzeitig das Land ist, in dem die NPD den historisch einmaligen Wiedereinzug in ein Landesparlament schaffte, das Land, das bundesweit Spitzenreiter in Sachen rechts und rassistisch motivierter Gewalt ist, das Land, in dem jährlich der europaweit größte Naziaufmarsch stattfindet, gibt vor diesem Hintergrund zu denken.

Auf der anderen Seite machen zahlreiche Reaktionen auf die Extremismusklausel klar, dass man sich dem konservativen Rollback nicht fügen sollte. Angefangen mit der spektakulären Ablehnung des Sächsischen Demokratiepreises durch den Verein Akubiz im November 2010 über die breite Beteiligung am Aktionstag gegen die Extremismusklausel am 1.2.2011 gibt es auch auf der Ebene von institutionalisierter Landes- und Kommunalpolitik positive Beispiele.

So legte das Land Berlin Widerspruch gegen die Kopplung der Extremismus-Klausel an die Förderung der Träger ein, der Landtag Nordrhein-Westfalen folgte einem Antrag der LINKE-Landtagsfraktion, mit dem die Klausel abgelehnt wird, der Stadtrat im brandenburgischen Neuruppin befasst sich derzeit mit einem grünen Antrag auf Ablehnung der Klausel und im taufrischen rot-grünen Koalitionsvertrag in Rheinland-Pfalz schreiben SPD und Grüne die Ablehnung der Extremismusklausel fest. (siehe: http://www.netzpolitik.org/wp-upload/110506_RLP_Koalitionsvertrag_2011-2016.pdf, Seite 85).

Besonders die Debatten auf kommunaler Ebene sind voranzutreiben – auch in Sachsen.
Lokale und regionale Basisinitiativen, die über die Lokalen Aktionspläne als Bestandteil des Bundesprogramms „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ finanzielle Unterstützung beantragen, müssen die Klausel ebenso wie große Zivilgesellschafts-Akteure unterschreiben.

In Leipzig haben sich am 22.3.2011 zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen und Einzelpersonen zusammengefunden und die Stadt und den lokalen LAP-Begleitausschuss mit einem Schreiben aufgefordert, auf die Abforderung der Extremismusklausel zu verzichten und sich gegenüber der Bundesregierung und dem zuständigen Bundesministerium dafür einzusetzen, dass die Klausel zurückgenommen wird.

Letztendlich ist der Zwang zur Unterzeichnung der Klausel nur zu umgehen, wenn auf Fördergelder verzichtet wird (dies gilt sowohl für antragstellende Initiativen als auch für Kommunen und Bundesländer, über die Geldflüsse abgewickelt werden). Beispielhaft steht hier die konsequente Haltung des Fürther Bündnis gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Das Bündnis hat Gelder beim LAP für Fürth samt Landkreis beantragt, das Projekt wurde vom hiesigen Begleitausschuß positiv votiert. Da sich das Bündnis der Unterzeichnung des Extremismusklausel verweigert, wird faktisch aber kein Geld fließen.

Bleibt zu hoffen, dass weitere Projekte diesem Beispiel folgen und dass die kritische Debatte über die Klausel in Kommunen und Landkreisen weiter geführt wird.

Um eine solche Debatte zu unterbinden hat sich die sächsische Landesregierung allerdings eine weitere Zwangsmaßnahme einfallen lassen: die Vereine, die Gelder aus dem Bundes- und Landesprogramm für Demokratie beziehen, sollen in Zukunft ihre komplette Öffentlichkeitsarbeit mit der beim sächsischen Sozialministerium angesiedelten Landeskoordinierungsstelle abstimmen. Die erste Beanstandung einer Publikation der RAA Sachsen, die in Sachsen Beratung für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt macht, ist bereits bekannt geworden.
Diese autoritären Eingriffe konterkarieren jede Bemühung für eine demokratische Kultur.
Gerade darum gilt es widerspenstig zu bleiben und den staatlichen Kontrollphantasien Paroli zu bieten.

Juliane Nagel, April/ Mai 2011


Lesenswert:

* Die Extremismusklausel ist keine Demokratieklausel (aus „Leipziger Zustände NEWS“, Ausgabe 01/2011 der AG chronik.LE)

* http://linksextremismus.wordpress.com – informationen zu wahnsinn und wirkmächtigkeit der extremismusformel

Ein Gedanke zu „Extremismusklausel und kein Ende – Bestandsaufnahme und Zwischenstand.“

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