Nur um die 5000 BesucherInnen, schlechte Organistion (Übersetzungen, räumliche Orientierung, Informationen zu
Veranstaltungen) und mangelnde Aussenwirkung – dies ist die Bilanz des sechsten Europäischen Sozialforums 2010. Alles in allem steht nach Istanbul die Frage der Zukunft der Europäischen Sozialforumsbewegung in noch grösserem Maße.
Zum jetzigen Zeitpunkt scheint das ESF kein Referenzpunkt sozialer und politischer Bewegungen mehr zu sein. Und auch zahlreiche politische und gewerkschaftliche Akteure in der Türkei selbst haben das ESF nicht wahrgenommen, sogar boykottiert.
Ich persönlich habe kleine, aber spannende Veranstaltungen zum Thema „Antisemitismus, Israel und die Linke“, „Kampf gegen rechts in Russland“ und „Ökosozialismus vs. grüner Kapitalismus“ mitgenommen, die Demonstration zum Ende des ESF war trotz geringer TeilnehmerInnenzahl (5000) bewegend und anders als das langweilige Demo-Gelatsche in Deutschland und schließlich gibt´s auch eine Abschlusserklärung. Eine längere Auswertung folgt, interessante Beiträge gibt es bereits bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Bilder auf dem Blog der sächsischen LINKEN.
An dieser Stelle erstmal die verschriftliche Erwartung an das 6. ESF, die ich für den Prager Frühling niedergeschrieben habe, die aber – rückblickend – unerfüllt bleibt.
Change it. Das Europäische Sozialforum in Istanbul wird in vielerlei Hinsicht anders werden
Juni 20100, Prager Frühling
Immer wieder tot gesagt ist die Sozialforumsbewegung doch verlässlich. Denn entsprechend der Verabredung beim letzten Sozialforum in Malmö wird in Istanbul Anfang Juli das nunmehr sechste Europäische Sozialforum stattfinden
So positiv wie sich das Sozialforum in Malmö von seinen unmittelbaren VorgängerInnen abhob, so spannend dürfte die nächste Runde werden. Istanbul ist nicht nur fünfzig mal so groß wie Malmö, die türkische Stadt ist auch ein Kulmunationspunkt verschiedener kultureller und religiöser Hintergründe. Dieses Gemisch hat gleichzeitig politische Brisanz: Die Debatte um den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union ist – gerade in Deutschland – kultur-rassistisch und islamophob geprägt. Linke Kräfte zeigen sich einem Beitritt der Türkei zur EU grundsätzlich aufgeschlossen, nichts desto trotz gibt man sich nicht unkritisch. Gerade die Missachtung von BürgerInnen- und Menschenrechten, der repressive Umgang mit der größten Minderheit der Kurden und die außerordentliche Machtstellung des Militärs sind berechtigte Gründe für Skepsis.
Auch wenn die Orte und gesellschaftlichen Kontexte sich ändern: Die Debatten um ein „anderes Europa“ sind weitestgehend die Gleichen geblieben. Auch 2010 werden die Themen Krieg & Frieden, soziale Ungerechtigkeit, Diskriminierung, Rassismus, Unterdrückung und Umweltzerstörung auf der Agenda stehen. Eine grundlegende Veränderung ist allerdings eingetreten: Mehr oder weniger sang- und klanglos trat der Lissabonvertrag in Kraft, gegen den die Europäische Sozialforumsbewegung mit aller Wehr kämpfte. Das ESF in Istanbul bietet für die verschiedenen Bewegungs-Akteure die Gelegenheit zu einer Verständigung zu kommen, wie sie mit dieser für die Europäische Union nun konstitutive Grundlagen umgehen. Es ist höchste Zeit der Kritik eigene Vorschläge für dieses „andere“ Europa anzuschließen: Welche alternativen Vorstellungen können die Bewegungen als Klammer für ein vereintes Europa, das durch sozialen und ökologischen Fortschritt, transnationale demokratische Prozesse und eine friedliche europäische Außenpolitik geprägt ist, aufbieten?
Trotz der seit 2002 fast jährlichen stattgefundenen Europäischen Sozialforen bleibt die Praxis der Bewegungen, Gewerkschaften und anderer Netzwerke eher nationalstaatlich fixiert. Die globalisierungskritische Bewegung hat erheblich an Fahrtwasser verloren und stagniert in der Romantisierung festivalisierter Protestkultur. Die auf dem Malmöer ESF beschlossene europaweite Mobilisierung gegen den NATO-Gipfel in Strassburg/ Kehl kann gut und gerne als Mobilisierungstiefpunkt bezeichnet werden. Die Konsequenz aus solchen Niederlagen könnte bedeuten, das gewohnt bunte Patchwork des ESF durch verbindlichere, langfristige und breit aufgestellte Arbeitsstrukturen abzulösen. Beispielhaft dafür stehen die klimapolitischen Netzwerke. Von den Protesten zur 14. Weltklimakonferenz in Poznan über die Mobilisierung zum COP 15 nach Kopenhagen im Dezember 2009 bis hin zur Klimakonferenz im kommenden Sommer in Bonn, ist es diesen gelungen einen weiten Bogen von Debatten, Aktionen und Vernetzungen zu spannen, der von der lokalen bis zur globalen Ebene reicht und dabei Wirkungen zeitigt.
Die Forderung nach einer „anderen Welt“, wie sie die Sozialforen aller Ebenen erheben, ist nicht überholt oder gar überflüssig. Ob allerdings das ESF in aktuellen sozialen und politischen Kämpfen und bei der Suche nach Alternativen zum Kapitalismus tatsächlich eine Rolle spielt und spielen wird, ist offen und die Debatte darüber existenziell.
Hallo Jule,
Wo steht das ESF heute? Was sind die Lehren der letzten Jahre?
Mir scheint, dass Ressourcen immer ein Problem sind um Teilhabe zu sichern und die Organisation des ESF holistisch und nachhaltig zu sichern.
Schreib mir mal deine Gedanken…
Liebe Grüsse
Thomas