Roter Stern Leipzig und kein Ende oder: Rechte Zustände im sächsischen Fussball

Die Spielsaison 2009/ 2010 ist zu Ende. Und damit eine bewegte Zeit für den sich als antirassistisch verstehenden Fussball-Verein Roter Stern Leipzig und insbesondere die erste Mannschaft, die zum ersten Mal in der Bezirksklasse spielte. Brandis im Oktober 2009 – als es zu gewaltsamen Übergriffen auf Fans und Spieler des RSL kam – ist dabei „nur“ die Spitze eines Eisberges. In zahlreichen Orten – Oschatz, Delitzsch, Süptitz, Schildau und insbesondere Mügeln – schlug dem Verein eine feindliche Stimmung entgegen, die sich in neonazistischen Sprüchen – auf dem Sportplatz oder durch Plakate, Aufkleber und Schmierereien im Stadion-Umfeld – ausdrückte Die so genannten Brandis-Prozesse gehen währenddessen auch in der wohlverdienten Spielpause weiter. Bereits im März wurden zwei der Angreifer zu 2 Jahren und zwei Monaten bzw. 3 Jahren Haft verurteilt, ein weiteres Urteil wurde Ende Mai gefällt – Robert I. bekam nach 4 Prozesstagen 2 Jahre und 10 Monate Freiheitsstrafe aufgebrummt. Mitte Juni folgte ein weiteres hartes Urteil – der nicht vorbestrafte Alexander L. wurde zu zwei Jahren und vier Monaten verknackt. Im Juli folgen weitere Gerichtsprozesse gegen noch mindestens sechs Beschuldigte.

Und auch vor dem Sportgericht war der Rote Stern Leipzig des Öfteren präsent. Da war zu einem das Sportgerichtsurteil zur Frage des Spielabbruches in Brandis, wonach das Spiel wiederholt werden müsse, das berechtigterweise Empörung auslöste. Das Spiel musste in der 2. Spielminute abgebrochen werden, weil 50 mit Knüppeln und Zaunslatten bewaffnete Nazis den Sportplatz betraten und Spieler und Fans des Roten Stern Leipzig attackierten. Der RSL verwies in seiner Berufung auf die Mitschuld des gastgebenden Vereins. So hätten dessen Ordner nicht eingegriffen, auf dem Sportplatz sei Material gelagert gewesen, das den Angreifern als Waffen diente und schließlich seien Hinweise im Vorfeld, dass es zu einem Angriff kommen könnte nicht ausreichend ernst genommen worden. Das Verbandsgericht des Leipziger Fußballverbands sah das anders, verwarf die Berufung des Roten Stern Leipzig, so dass die Partie im April 2010 wiederholt werden musste.
Auch im Mai tagte des Sportgericht des Leipziger Fussballverbandes. Zum einen ging des um den Spielabbruch beim Spiel SVMügeln-Ablass gegen Roter Stern Leipzig am 24.4.2010 aufgrund nicht enden wollender antisemitistischer Gesänge aus dem Mügelner Fanblock. Das Gericht wertete das Spiel im Ergebnis der Verhandlung 0:2 für den Leipziger Verein, weiterhin muss der SV Mügeln 250 Euro Strafe zahlen.
Am selben Tag wurde auch über die Partie Roter Stern Leipzig gegen FSV Oschatz befunden. Das für den 26.5. angesetzte Spiel hatte nicht stattgefunden. Der Rote Stern Leipzig e.V. verweigerte dem Oschatzer Spieler Tom W. wegen Verbindungen zur Neonaziszene den Zutritt zum Sportgelände. Der Gast-Verein aus Oschatz trat daraufhin nicht an und reiste ab. Das Sportgericht betrachtete das Verhalten beider Vereine als nicht als rechtens, wertete das Spiel für beide Vereine als verloren, darüber hinaus müssen beide eine Geldstrafe von 200 Euro zahlen.
Ein zentrale Frage in der Debatte ist, wer überhaupt von Spielen ausgeschlossen werden darf. Der Präsident des Leipziger Fussball-Verbandes meint, dass dies nur auf Zuschauer von Spielen zutrifft, der Rote Stern sieht das in Berufung auf seine Hausordnung und auf die für alle Vereine gültige Spielordnung anders. Die Spielordnung verpflichte den gastgebenden Verein, gegen „alle Erscheinungen von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Gewalt und andere Störungen aktiv vorzugehen.“, damit sei ein Ausschluss eines Neonazis, der sich beispielsweise auch im rechte Parolen skandierenden Fan-Block beim Spiel in Mügeln befand, legitim. An dieser Stelle offenbaren sich Unklarheiten in fixierten Regularien des sächsischen Fussball-Verbandes. Sind auszuschließende „Personen“, wie es dort geschrieben steht, nur Zuschauer? Sind Spieler keine „Personen“? War der Rote Stern berechtigt über einen Ausschluss zu entscheiden und diesen auch durchzusetzen, wenn der Veranstalter des Spiels der Sächsische Fussball-Verband ist? Beachtung verdienen neben diesen formalen Fragen vor allem aber die Aussagen des Oschatzer Vereines. Den Verweis auf die Verbindungen ihres Spielers und dem „Stein des Anstoßes“ Tom W. zur Naziszene hatte ein FSV Oschatz-Vorstandsmitglied nichts anderes zu sagen als „Tom spielt seit dem Kindesalter in unserem Verein, ist sozusagen ein Urgestein und wir haben mit dem Jungen nie schlechte Erfahrungen gemacht. Er trainiert regelmäßig und ordentlich.“ Politik gehöre nicht ins Stadion. Wo wir bei der alten Frage wären, ob Antirassismus und Antifaschismus nicht zum humanistischen Grundkonsens gehören müssten, den vor allem Fussball-Vereine als einflussreiche gesellschaftliche Akteure vertreten müssten! Ist der 10-Punkte-Plan des europäischen Fussballverbandes UEFA gegen Rassismus im Fussball „zu politisch“?

Resümierend ist zu konstatieren, dass der Roter Stern mit seinen Auswärtsfahrten in sächsische Kleinstädte das ans Tageslicht gebracht hat, was dort vielerorts zum Alltag gehört: rassistische, antidemokratische Einstellungen und eine gewaltaffine neonazistische Jugendkultur. Es ist Verdienst und Bürde des Vereins zugleich, diese hegemonialen Zustände vor allem im ländlichen Raum in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt zu haben. Anstelle der gängigen Abwehrreflexe ist von den politischen und gesellschaftlichen Akteure in den betreffenden Orten eigentlich die kritische Reflexion und ein Gegensteuern zu erwarten. Die nächste Saison steht vor der Tür und wird allen Beteiligten die Auseinandersetzung abverlangen.

erschienen in Sachsens Linke Juli 2010

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