Zum Ende 2009 hatten die Gesellschafter des Mantelanbieters Apollo Radio die Kooperationsvereinbarung mit Radio blau, Coloradio und Radio T gekündigt. Damit entfiel die Übernahme der Sende- und Leitungskosten, was eigentlich einen Bruch der Vereinbarung zwischen Sächsischer Landesmedienanstalt und der Sächsischen Gemeinschaftsprogramm GmbH & Co. KG, dem Apollo-Betreiber, darstellte.
Eine Problemlösung blieb jedoch aus, Verhandlungen mit Apollo scheiterten und die Sächsische Landesmedienanstalt sah und sieht sich nicht in der Pflicht die Kosten zu übernehmen.
Die drei Radios mussten sich also selbst um die Sicherung der Finanzierung für 2010 kümmern, parallel forderten die Fraktionen SPD, DIE LINKE, und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN per Landtags-Antrag eine Festschreibung der Förderung Nicht-kommerzieller Lokalradios (NKL).
In Leipzig entschied der Stadtrat nach einigem Ringen für eine 1-jährige Förderung in Höhe von 20.000 Euro. Ähnlich lief es in Dresden mit Coloradio und in Chemnitz mit Radio T.
Ein Jahr ist nun vorbei. Und die selbstorganisierten Radioprojekte, die zur Erfüllung der wunderbaren Brechtschen Radiotheorie (1) beitragen , stehen de facto wieder vor dem Aus.
Trotz vielfältiger Bemühungen der Radio-AktivistInnen und -freundInnen sowie OppositionspolitikerInnen der Landesebene bewegte sich im vergangenen Jahr nichts. Die Sächsische Landesmedienanstalt meint, dass ihr die Rechtsgrundlage fehle, die Freien Radios finanziell zu unterstützten, doch die Veränderung der Rechtsgrundlage wird von der CDU-FDP-Landesregierung verhindert – der erwähnte Antrag der Landtags-Oppositionsparteien liegt derzeit auf Eis. Auch vom neu gewählten Medienrat, der bisher regelmäßig quartalsweise die Übernahme von 1/ 3 der Sende- und Leitungskosten für die drei NKL durch die SLM beschließt, kam bisher nicht das erwartete positives Signal.
16.000 Euro sind nötig um die Existenz zumindest von Radio blau im laufenden Jahr zu sichern, 15.000 Euro hat die Fraktion DIE LINKE im Stadtrat zu Leipzig zu eben diesem Zweck beantragt. Ein Kompromiss zwischen drei Stadtratsfraktionen sah vor, sich gemeinsam zumindest für 10.000 Euro einzusetzen. Doch diese Vereinbarung platzte in der Sitzung des erweiterten Finanzausschusses in Leipzig am 5.2.2011. Nun bleibt die Hoffnung, dass sich das Blatt in der Stadtratssitzung am 3.3.2011 wendet, wenn der Haushalt beschlossen werden soll. Zumindest in Leipzig. In Chemnitz bemüht sich Radio T um kommunale Ersatzfinanzierung, in Dresden fehlen Initiativen auf kommunalpolitischer Ebene.
Es ist also durchaus Ernst.
Dabei braucht es Projekte wie diese: mit ihrem nicht-kommerziellen und selbstorganiserten Anspruch bilden die Freien Radios jenseits von originär staatlichem und privatwirtschaftlich organisiertem Rundfunk die so genannte „dritte Säule“ der Rundfunklandschaft. Freie Radios entmonopolisieren die Produktion von Nachrichten, indem sie jede und jedem (2) den Zugang zu medialen Produktionsmitteln und Programmen gewähren, sprich Menschen egal welchen Alters, Geschlechts, sozialen Status oder Herkunft ermöglichen den direkten Umgang mit Medien zu erproben und nach außen zu wirken.
Über 150 Ehrenamtliche gestalten zum Beispiel bei Radio blau wöchentlich 49 Stunden Sendezeit und bringen nebenbei noch jährlich um die 20.000 Euro für Miete, Betriebsausgaben, Reparaturen und Technik-Anschaffungen auf.
In anderen Bundesländern werden Nicht-kommerzielle Lokalradios problemlos durch die jeweiligen Landesmedienanstalten aus den Anteilen an den Rundfunkgebühren finanziert. Der Bundesverband Freier Radios ist ganz zurecht der Auffassung, dass Freie Radios prinzipiell, da sie öffentliche Aufgaben erfüllen, einen Rechtsanspruch auf öffentliche Förderung haben, inklusive technischer Übertragungsmöglichkeiten.
Es ist derweil ein offenes Geheimnis, dass die schwarz-gelbe Landesregierung samt anhängenden Fraktionen politische Vorurteile gegen die Freien Radios pflegen. Aktive Einmischung in die Gestaltung von Gesellschaft und Kritik am herrschenden politischen und ökonomischen Mainstream, wie sie auch Platz in den Programmen der Freien Radios hat, gehen offensichtlich zu weit. Die Parallele zur Extremismusklausel, wie sie von allen Projekten, die sich für Demokratieförderung engagieren, unterzeichnet werden soll, wenn sie von staatlichen Fördermitteln partizipieren wollen, tut sich unwillkürlich auf.
Die Freien Radios in Sachsen brauchen also Unterstützung und Solidarität. Damit das kleine Stückchen partizipativer, pluraler und kritischer Medienpraxis erhalten bleibt und vielmehr noch – kritische Öffentlichkeit wachsen kann.
(1) „Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, d.h., er würde es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen. Der Rundfunk müßte demnach aus dem Lieferantentum herausgehen und den Hörer als Lieferanten organisieren.“ (Bertolt Brecht: Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die Funktion des Rundfunks; Vorschläge für den Intendanten des Rundfunks; Radio – eine vorsintflutliche Erfindung? Alle in: Werke, Bd. 21, Schriften I, Berlin u.a. 1989. – Der Flug der Lindberghs. Ein Radiolehrstück für Knaben und Mädchen, in: Werke, Bd.3, Stücke III, Berlin u.a. 1989)
(2) Freie Radios verstehen sich als basisdemokratische, kollektive Projekte. Das bedeutet nicht inhaltliche Beliebigkeit, sondern schließt bestimmte Denk- und Handlungsweisen prinzipiell aus. Beispielhaft ein entsprechender Passus aus dem Statut von Radio blau:
Sendungen, die auf Radio Blau laufen, dürfen nicht die Menschenrechte verletzen, den Krieg oder Gewalt verherrlichen, zum Rassenhass aufstacheln, pornographisch oder sexistisch sein. Im Programm von Radio Blau wird niemand wegen Geschlecht, Herkunft, Rasse oder Sexualität diskriminiert.