Nachdem zivilgesellschaftliche Initiativen in der ersten Jahreshälfte bundesweit gegen die Extremismusklausel protestiert hatten, ist es ruhig geworden. Viele Vereine haben die Klausel trotzdem unterschrieben. In Leipzig wurde auf Initiative des Begleitausschuß für den Lokalen Aktionsplan städtisches Geld für die Projekte bewilligt, die die Unterzeichnung der Klausel abgelehnt hatten. Außerdem steht ein klauselfreier Aktionsfonds zur Verfügung Im März diesen Jahres sprachen sich über 60 zivilgesellschaftliche und antifaschistische Vereine, Initiativen und Einzelpersonen in Leipzig mit einem Offenen Brief gegen die Extremismusklausel aus. Die Unterzeichnung des Bekenntnisses zur Freiheitlich demokratischen Grundordnung wird auch im Rahmen des Bundesprogramms „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ abgefordert. Aus diesem Programm erhalten Kommunen und Landkreise auf Antrag Mittel für die so genannten Lokalen Aktionspläne. Auch in Leipzig stehen in diesem Jahr 65.000 Euro aus diesem Bundestopf zur Verfügung.
Der Kritik an der Extremismusklausel schloss sich im Mai 2011 auch der Begleitausschuss für den Lokalen Aktionsplan (LAP) der Stadt Leipzig an und richtete sich per Brief an das Bundesfamilienministerium, das in seiner Antwort selbstverständlich bekundete an der Klausel festzuhalten.
Währenddessen hatten auch drei Vereine, die Mittel aus dem LAP Leipzig bekommen sollten, die Unterzeichnung der Klausel abgelehnt. Der Projekt Verein, VILLA und Frauenkultur wiesen die Unterzeichnung mit Verweis auf das damit verbundene zweifelhafte Verständnis von Demokratie, den Zwang zum Bekenntnis und zur Bespitzelung von ProjektpartnerInnen, zurück.
Die gute Nachricht ist: Im Juni votierte der Begleitausschuss für den Lokalen Aktionsplan der Stadt Leipzig dafür, dass den drei Projekten, die die Unterzeichnung der Extremismusklausel verweigert hatten, Geld aus kommunalen Mitteln, die zur Umsetzung zur Lokalen Gesamtstrategie „Leipzig. Ort der Vielfalt“ zur Verfügung stehen, erhalten sollen. 35.000 Euro ohne Klauselunterzeichnungspflicht stehen dafür im Haushalt der Stadt Leipzig zur Verfügung. Außerdem steht nun neben dem Aktionsfonds mit Extremismusklausel, der sich aus Bundesgeldern speist, ein kommunaler Aktionsfonds ohne Klausel zur Verfügung. Bei den Aktionsfonds können Vereine kurzfristig und unbürokratisch Förderung für kleine, aktionsorientierte Projekte im Wert von maximal 700,00 Euro beantragen (-> siehe Hinweise zur Antragsstellung, beide Aktionsfonds werden vom nato e.V. verwaltet, wenn Geld aus dem Klausel-freien Fonds beantragt wird, sollte dies explizit im Anschreiben/ Antrag verzeichnet werden)
Teile der Leipziger Stadtverwaltung zeigt sich auf Druck der Zivilgesellschaft hin also offen für die Kritik an der Extremismusklausel und der damit verbundenen autoritären Idee von Staatlichkeit und Demokratie.
Auch in anderen Kommunen und Bundesländern gibt es Kritik, die nur in wenigen Fällen auch von Verwaltungen/ Parlamenten/ Kommunalvertretungen getragen wird:
Im Juni forderte der Kreistag des Landkreises Ostprignitz-Ruppin die Bundesregierung per Beschluss auf, „umgehend auf die „Erklärung zur Sicherung demokratischer Praxis bei der Projektdurchführung“ (Bestätigungserklärung, Demokratieerklärung) als Fördervoraussetzung für Projekte zur Demokratiestärkung zu verzichten.“. Das Land Berlin brachte im September eine Entschließung in den Bundesrat ein die Dmokratieerklärung zu überarbeiten und den Auftrag der Überprüfung von ProjektpartnerInnen zu streichen. Der Bundesrat folgte dem Antrag nicht.
Bereits im März hatte sich der Landtag von Nordrhein-Westfalen für die Streichung der Klausel ausgesprochen und die rot-grüne Regierung in Rheinland-Pfalz die Kritik an der Klausel in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben.
Der messbare Protest, der sich durch offizielle Schreiben oder gar Ablehnung von Geldern belegen lässt, hält sich jedoch offenbar in Grenzen. In den Antworten auf Kleine Anfragen von LINKER (download als pdf) und SPD (download als pdf) legte die Bundesregierung offen, dass beim Bundesfamilienministerium bis Juli insgesamt 14 kritische Begleitschreiben aus Berlin, Brandenburg, Hamburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen eingegangen seien. Bis Ende Juni waren zudem 19 von insgesamt 24 Millionen Euro aus dem Programm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ bewilligt. Auch in Sachsen, das einzige Bundesland das die Extremismusklausel in abgewandelter Form für das landeseigene Demokratie-Förderprogramm („Weltoffenes Sachsen“), wurde im August auf Nachfrage des Uni-Radios Mephisto 97,6 verkündet, dass so viele Träger wie noch nie Gelder beantragt hätten und nur eine Ablehnung von Geldern bekannt geworden sei. Anzumerken ist hierzu, dass die Initiativen und Projekte, die aufgrund des Zwangs zur Unterzeichnung der Extremismus-Klausel Abstand von Antragsstellungen nehmen, eben gar nicht erfasst wurden und werden können.
Und trotzdem: Kritik an und Protest gegen die Extremismusklausel wird in den meisten Fällen durch Pragmatismus abgelöst, der dann zur Unterzeichnung führt. Finanzieller Druck und das Bewusstsein über die Wichtigkeit der eigenen Arbeit für Demokratieentwicklung, Auseinandersetzung und Bekämpfung von Neonazismus und Diskriminierung sowie Unterstützung von Betroffenen rechter Gewalt mögen diese Entscheidungen erklärbar machen. Im Endeffekt werden sie dem Staat allerdings zum Argumentationsstoff pro Extremismusbegriff, Kontroll- und Bespitzelungsauftrag und einem beschränkt-formalistischen Begriff von demokratischer Kultur.