BürgerInnen und Nazis gegen Roma in Tschechien

Der 13. romafeindliche Hassmarsch seit September 2011 sollte am Samstag, 31.3.2012 in der tschechischen Grenzstadt Varnsdorf stattfinden. Statt einer Demonstration blieb es an diesem Samstag bei einer Kundgebung „anständiger Bürger“ auf dem Rathaus-Platz. Im Schüren von Ressentiments gegen die Minderheit der Roma stand diese den Aufmärschen allerdings in nichts nach. Im Zentrum der Veranstaltung stand ein offener Brief, mit dem die Regierung in Prag aufgefordert wird, etwas gegen die „Entstehung von Wohngettos“ zu unternehmen. Hintergrund ist die Auflösung eines der beiden Varnsdorfer Roma-Wohnheime, in dem diese über Jahre lang auf engstem Raum leben mussten. Der Auszug aus dieser eigentlich als Obdachlosenheim firmierenden Unterkunft wurde ihnen, u.a. durch das Vorenthalten von Wohngeldzahlungen für normale Wohnungen, systematisch verwehrt. Aufgrund öffentlichen Drucks hat die tschechische Regierung diese gesetzeswidrige Praxis nun offensichtlich unterbunden. Die zum Auszug angehaltenen über 100 Varnsdorfer Roma suchen und finden bezahlbaren Wohnraum nun vor allem in Neubaublöcken. Zahlreiche Familien bezogen in den letzten Wochen ihre neuen Domizile. Die Lebensbedingungen sind dort um einiges besser, auch wenn die Betroffenen nun mehr Geld drauf zahlen müssen. In der mehrheitstschechischen Bevölkerung allerdings wächst der Unmut gegen die entstehenden „Zigeuner-Siedlungen“, erste Familien verließen die Wohnblöcke bereits. Aus Sicht derer, die Stimmung gegen die Roma schüren und die am Samstag auf dem Rathausplatz demonstrierten, hat sich „das Problem“ nun verlagert.

Doch das tatsächliche Problem liegt woanders, nämlich in der krassen strukturellen sozialen Ausgrenzung und Benachteiligung von Roma. Rund 70 % der tschechischen Roma sind arbeitslos. „Das Image der Roma ist derart schlecht, dass es an ein Wunder grenzt, dass überhaupt noch 30 Prozent der Roma offiziell beschäftigt sind.“ kommentiert der Menschenrechtsaktivist und Journalist Markus Pape. Entsprechend schlecht ist ihre soziale Situation. Roma-Kinder werden zudem in unverhältnismäßig hoher Zahl in Sonderschulen für Kinder mit „leichter geistiger Behinderung“ eingeschult. In der Sonderschule in Varnsdorf macht der Anteil von Roma 95 % aus. Viele der Eltern arrangieren den Besuch der Sonderschule, weil die Kinder zumindest dort nicht diskriminiert werden und mehr individuelle Förderung erhalten als in der Regelschule. Ein weiteres tatsächliches Problem ist die Bildung von „Wohngettos“. Wer keiner Erwerbsarbeit nachgehen kann und oder kein oder nicht ausreichend Wohngeld bekommt, wird sich auch nicht frei und unbekümmert eine adäquate Wohnung leisten können. Die Mehrheit der tschechischen Roma findet sich also sich in einem Kreislauf wider, aus dem es kein Entrinnen gibt, solange die Regierung keine wirklich greifenden Maßnahmen ergreift oder die EU die Nicht-Umsetzung der 2011 beschlossenen Roma-Strategie zum Abbau von Benachteiligungen nicht mit Sanktionen belegt. Bis 2013 erhält die Tschechische Republik von der EU insgesamt 200 Millionen Euro zur Verbesserung der Wohnbedingungen von Roma. Laut einem Bericht der Nachrichtenmagazins „Tyden“ wurden diese Gelder bisher zweckentfremdet indem sie vorwiegend in Wohnviertel der Mehrheitsbevölkerung geflossen sind. Infrastruktur, von der Roma wiederum ausgeschlossen sind.

Die institutionelle Ausgrenzung geht Hand in Hand mit tief sitzenden Vorurteilen gegen die Minderheit der Roma. Eindimensionale Schulzuweisungen, Gewaltausbrüche und Hass-Märsche, wie sie in Nordtschechien seit mehreren Monaten gehäuft auftreten, sind die Spitze eines Eisberges antiziganistischen Denkens. Jeder kleinste Anlass wird benutzt um Ethnisierung zu betreiben, um gegen „schwarzen Rassismus“ zu hetzen. So gelten zwei von Roma-Jugendlichen angezettelte Kneipenschlägereien in den nordtschechischen Orten Rumburk und Novy bor als Auslöser der seit September 2011 anhaltenden Pogromstimmung gegen Roma. Nazis, wie Vertreter der Partei „DSSS“ (Partei der sozialen Gerechtigkeit“), heizen die Stimmung an, können dabei aber problemlos an Einstellungen der Mehrheitsbevölkerung anknüpfen. Bei den ersten Hassmärschen in Nový Bor und Varnsdorf verschwammen die Grenzen zwischen den politischen Spektren von Sozialdemokratie, Konservativen und Nazis. Sprüche wie „Zigeuner ins Gas“ und Steinwürfe gegen Roma-Unterkünfte prägten das Bild dieser Märsche.

Am 7.4.2012 ruft die DSSS in der Stadt Most zu einer Demonstration unter dem Motto „Gegen Kriminalität, gegen schwarzen Rassismus und das Aus-dem-Fenster-Schmeißen von Polizisten“ auf. Der Aufmarsch, zu dem bis zu 500 Teilnehmende erwartet werden, soll in die größte Roma-Siedlung Tschechiens, nach Chanov, führen. Dort wohnen um die 1300 Roma unter miesesten Bedingungen. Anlass der Nazidemo ist ein Vorfall, der sich Ende März zugetragen haben soll. Ein Polizist – angeblich in Zivil und außer Dienst – ist nach Polizeiangaben von einem erwachsenen Roma und einem Jugendlichen in einer abrissreifen Plattenbauruine angegriffen und aus dem Fenster im zweiten Stock gestoßen worden. Der Polizei ist schwer verletzt, aber auf dem Weg der Besserung, der erwachsene Verdächtige befindet sich in U-Haft. Was der Polizist außer Dienst in dem Abrisshaus wollte und wie sich der Sturz tatsächlich vollzogen hat, ist unklar. Die DSSS lädt den Vorfall rassistisch auf und nutzt die schwelende Hass-Stimmung gegen Roma. AktivistInnen der Initiative „Hass ist keine Lösung“, die sich aufgrund der antiziganistischen Mobilisierungen in Nordtschechien gegründet hat, schließen zum jetzigen Zeitpunkt nicht aus, dass die Demonstration verboten wird. Nichts desto trotz liegt auf der Hand, dass der Vorfall zum Ausbruch von schwelenden Ressentiments führt, die nach Entladung sucht.

Die Situation in Tschechien steht nicht allein. In zahlreichen europäischen Staaten entladen sich in den letzten Monaten romafeindliche Einstellungen in Gewaltausbrüchen. Die Öffentlichmachung der Situation, Solidarität mit den Betroffenen und ihren UnterstützerInnen sowie offensiver Widerstand gegen Romafeindlichkeit sind unabdingbar.

Kontakt zur Leipziger Initiative gegen die Diskriminierung von Roma, die sich u.a. in Tschechien engagiert: antiziganismus-leipzig at riseup net

Interview zu den Ereignissen in Tschechien (Radio Corax, 2.4.2012)

5 Gedanken zu „BürgerInnen und Nazis gegen Roma in Tschechien“

  1. Hallo,
    vielen Dank für diesen sehr notwendigen Artikel.
    Der Spuk in Chanov am 7.4.2012 ist nun vorbei- ausführlicher Bericht folgt.
    Kurz zusammengefasst:
    – ca. 150 Menschen aus verschiedenen Zusammenhängen haben gegen die ca. 50 Faschos demonstriert
    – die Demo der DSSS hat sich verspätet da alle am Bahnhof kontrolliert wurden, dabei wurde ein Fascho wegen einer nicht angetretenen Gerichtsvorladung einkassiert
    – Faschos sind durchs Viertel und wurden ausgelacht, an einem stillen Ort in Mitten von leer stehenden Häusern haben sie dann ca. 1,5 Stunden lang ihren Nonsens abgelassen (inkl. Gitarrenkonzert… gähn)
    – Petr Kotab und Lucie Slegrova (plus die Mutti von Parteichef Vandas) waren da und angeblich Leute aus Dresden (Tsch. Fernsehen) sollen anwesend gewesen sein
    – überwiegend peinliche Bohneheads kaum bis keine „anständigen Leute“ (slusny lide)
    – Marsch hat zwar stattgefunden aber hatte keine Außenwirkung sowie Beteiligung der „ganz normalen Rassist_innen“ – quasi ein Flop!

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