Seit April läuft in Sachsen die LINKE Willkommenstour. Auf der Tagesordnung stehen sowohl der Besuch von Asylunterkünften, Treffen mit Willkommens- und Unterstützungsinitiativen, Verwaltungsvertreter*innen und Geflüchteten. Hintergrün
de & erste Eindrücke nach dem Besuch von fünf Landkreisen
Bis Oktober sollen im Rahmen der Tour alle sächsischen Landkreisen besucht worden sein. Marko Forberger sprach über die Tour mit der flüchtlings- und migrationspolitischen Sprecherin der Landtagsfraktion, Juliane Nagel.
Wie kam es zum Titel Willkommenstour und zur Kooperation zwischen den verschieden parlamentarischen Ebenen?
Dieser Titel bezieht sich auf die Bezeichnung „Willkommenskultur“, die laut Definition eine positive und diskriminierungsfreie Einstellung von Gesellschaft, also Zivilgesellschaft, Politik, Unternehmen, Bildungseinrichtungen, Sportvereinen etc. gegenüber MigrantInnen beschreibt. Dieser Titel ist auch als Kontrast zum Verständnis insbesondere der verantwortlichen CDU-PolitikerInnen gedacht. In seiner Pressekonferenz zu 100 Tagen im Amt sagte der neue Sächsische Ausländerbeauftragte Geert Mackenroth, dass ihm dieser Begriff zu „emotional“ sei.
In meinen Augen muss Willkommenheißen Normalität werden. Erst auf dieser Basis, wenn Menschen nicht als lästige Eindringlinge verstanden werden, lässt sich ein konfliktfreies und respektvolles Zusammenleben gestalten. Das Thema Flucht und Asyl kann nicht eindimensional und nur aus Sicht der Landesebene betrachtet werden. Wir müssen über Fluchtursachen, über Fluchtwege, Abschottungspolitik der Europäischen Union und explizit Deutschlands und über die Situation vor Ort sprechen, deswegen war uns die Verbindung der verschiedenen parlamentarischen Ebenen wichtig.
Das Thema Flucht- und Asyl findet aktuell große Beachtung in der Öffentlichkeit und es liegt nahe, dass sich auch Politik damit intensiv befasst. Kannst du trotzdem etwas zum Hintergrund der Tour sagen?
Mit der Tour wollen wir in die Kommunen gehen, dort wo geflüchtete Menschen nach einer oft langen und lebensgefährlichen Flucht und einem unsäglichen Aufnahmeverfahren, zumindest in Sachsen, an- und zur Ruhe kommen. In den Städten und Gemeinden leben die Menschen solange sie auf eine Entscheidung über den Asylantrag warten, hier beziehen sie Wohnraum, hier gegen Kinder in Kita oder Schule, hier kommen die Menschen in Kontakt mit der Bevölkerung. Wir konnten in den vergangenen Monaten beobachten, dass dies keineswegs reibungslos von statten geht. Die schwarze sächsische Landespolitik hat das Thema Asyl in den vergangenen Jahren stiefmütterlich behandelt. Davon zeugen marode Unterkünfte, eine nicht dem Platzbedarf entsprechende Erstaufnahme, fehlende Angebote zur Inklusion bzw. Integration und nicht vorhandene Kommunikationsstrukturen zwischen Landes- und kommunaler Ebene. Vor dem Hintergrund dieser verfehlten Politik konnten sich tiefe Ressentiments bis hin zu Hass in der Bevölkerung ausbilden. Wir wissen ja, dass dort wo besonders wenige MigrantInnen leben, die Ablehnung oft am größten ist.
Welche konkreten Ziele verfolgt ihr mit dieser Tour?
Mit der Tour wollen wir uns die Entwicklungen vor Ort anschauen: wie leben die Asylsuchenden, entsprechen eilig geschaffenen Unterkünfte qualitativen Standards, gibt es Angebote, die den Betroffenen das Leben erleichtern? Ausserdem führen wir Gespräche mit UnterstützerInnenstrukturen. Wir finden landesweit ein beeindruckendes ehrenamtliches Engagement für die Belange von Geflüchteten vor. Wir wollen schauen wo diesen der Schuh drückt, wie ihre Arbeit von Verwaltungen und den Stadtgesellschaften anerkannt wird. Wir streben an mit der Tour zumindest einen groben Überblick über die Situation im Freistaat zu bekommen. Eine entsprechende Ausstellung zum Thema Flucht- und Asyl, konzipiert für öffentliche Plätze und die Fußgängerzonen, begleitet unsere Tour durch die Landkreise. Die Ausstellung soll Raum und einen Ort für den unmittelbaren Dialog mit BürgerInnen bieten. Die Ergebnisse und Erfahrungen werden letztlich auch das unmittelbare parlamentarische Handeln auf Landesebene befruchten. Wir haben zum Beispiel ein Gesetz in der Pipeline, das wir noch im Verlauf der Tour präsentieren und dann breit diskutieren wollen.
Geht nicht der politische Blick für das Große Ganze für das Thema „Asyl- und Flucht“ verloren, wenn ihr die konkreten Probleme vor Ort in den Kommunen in den Fokus nehmt?
Natürlich müssen wir darüber sprechen, dass Syrien im Chaos versinkt, der Krieg und die Effekte werden auch als „größte humanitäre Krise“ unserer Zeit bezeichnet. Noch nie seit Ende des 2. Weltkrieges waren so viele Menschen auf der Flucht, es sind beinah 57 Millionen weltweit. Der absolut überwiegende Teil davon flieht innerhalb der Heimat- oder in Nachbarländer. Auch die tödliche Abschottungspolitik der EU haben wir im Auge. Nicht zuletzt plant die schwarz-rote Koalition auf Bundesebene mit dem Gesetz zur Neuregelung des Bleiberechtes und der Aufenthaltsbeendigung eine krasse Verschärfung des Asylrechts. All das müssen wir zusammen denken und unsere Position klar formulieren: Offene Grenzen und sichere Fluchtwege für Menschen in Not. Einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der deutschen Asylpolitik durch die Wiederherstellung des Grundrechtes auf Asyl. Und schließlich: gleiche Rechte und Bleiberechtsperspektiven für Geflüchtete.
>>> Detaillierte Infos, Bilder und Berichte auf der Facebookseite Willkommenstour
Tourdaten:
13. bis 15. April 2015:
ihren Auftakt nahm die Willkommenstour von sächsischen Bundestagsabgeordneten und Landtagsfraktion im Landkreis Görlitz. Besucht wurden die Unterkünfte in Löbau, Zittau und Boxberg sowie eine dezentrale Wohnung in Weißwasser. An einem Treffen mit Willkommeninitiativen nahmen Engagierte aus Rothenburg und Görlitz teil, an einer Auswertungsveranstaltung auch VertreterInnen der Kreis- bzw. Stadtverwaltung. Die Ergebnisse der Tour im LK Görlitz finden sich hier.
18. Mai 2015, Böhlen und Oschatz
Am Anfang stand ein Besuch des Apart Hotels in Böhlen (Landkreis Leipzig). Hier hat die Landesdirektion seit Februar Zimmer für insgesamt 106 Flüchtlinge angemietet. Böhlen fungiert als Entlastung für die überfüllte Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz. Auf Kritik stieß die Informationspolitik des Freistaates. So waren Landrat und Bürgermeisterin der Stadt Böhlen erst wenige Stunden vor Inbetriebnahme über das Vorhaben informiert worden. Auch eine Verlängerung des Vertrages mit dem Betreiber, der „nebenbei“ noch Mitglied der rechtsaußen-Partei DIE REPUBLIKANER ist, über den 30. April 2015 hinaus, erfuhr die Bürgermeisterin Maria Gangloff eher zufällig. Die soziale Betreuung in der Unterkunft wird kompetent über die Volkssolidarität Chemnitz gewährleistet. Aus der Stadtgesellschaft gibt es eine hohe Unterstützungsbereitschaft. Leider konnten wir uns die Unterkunft nicht ansehen, da dies in die „Privatsphäre“ der übrigen Hotelgäste verstoßen würde. [Artikel in der LVZ hier]
In Oschatz (Landkreis Nordsachsen) folgte nach Zeigen unserer Ausstellung im öffentlichen Raum der Besuch der Asylunterkunft. Diese wird von 60 alleinstehenden Männern bewohnt. Das Gebäude ist in einem guten Zustand, es fehlen allerdings Gemeinschaftsräume. Die Bewohner können gegen einen geringen Betrag Wlan nutzen.
Der Landkreis setzt auf diese Unterkunfts-Größe. Familien können sofort in Wohnungen ziehen, alleinstehende Männer müssen sich zunächst „bewähren“ (ein paternalistischer Ansatz, der den Umgang mit Asylsuchenden fast? überall durchzieht). Der Landkreis scheint auf einem guten Weg. Der Schlüssel für soziale Betreuung liegt mit 1:100 noch unter dem vom Freistaat empfohlenen von 1:150, damit aber noch immer zu niedrig.
Es gibt für Asylsuchende die Möglichkeit kostenfrei A1-Sprachkurse zu machen, was rege in Anspruch genommen wird. Zudem plant der LK ein Modellprojekt für einen besseren Zugang zu Ausbildung/ Arbeit. Nach anfänglicher Skepsis erfahren die Asylsuchenden in Oschatz große Unterstützung aus der Stadtgesellschaft. Dies wird durch das Bündnis „Willkommen in Oschatz“ organisiert und koordiniert. [Artikel in der Oschatzer Zeitung & Bericht der Linksfraktion im Kreistag Nordsachsen]
26. Mai 2015, Stadt Zwickau & Glauchau
Unsere Ausstellung auf dem Zwickauer Markt war gut besucht und diskutiert. Es folgte ein Besuch der Asylunterkunft in Glauchau. Dort wohnen derzeit 95 Personen, darunter Familien. Das Haus ist in einem akzeptablen Zustand, der Heimleiter, mehrsprachig und über eigene Fluchterfahrung verfügend, sehr kompetent. In der Unterkunft findet wöchentlich ein Sprachkurs statt. Das von BewohnerInnen selbst angesprochene Problem besteht im fehlenden Zugang zum Arbeitsmarkt. Die abgesenkten Zeiten bis zur erlaubten Aufnahme einer Beschäftigung (3 Monate mit und 15 Monate ohne Vorrangprüfung) nutzen nichts, wenn ArbeitgeberInnen nicht offen sind, die Sprachkenntnisse aufgrund mangelnder Angebote zu schlecht oder das Jobcenter nicht unterstützt.
Beim anschließenden Gespräch mit dem Landrat Scheurer und dem Glauchauer OBM Dresler ging es um viele Fragen, auch um die der Landkreisinternen Verteilung der Asylsuchenden. So gibt es bisher erst sechs von 36 Städten im Landkreis, die Geflüchtete aufnehmen. Die Quote der in eigenen Wohnungen lebenden Asylsuchenden ist im Landkreis Zwickau sowie der Schlüssel für soziale Betreuung recht schlecht. [Artikel Freie Presse und Beitrag Radio Zwickau]
26. Mai 2015 bis 29. Mai 2015, Landkreis Mittelsachsen
Insgesamt haben wir uns vier Unterkünfte angeschaut, die unterschiedlicher nicht sein können. Die GU in der Friedrichstraße in Döbeln und die GU in der Chemnitzer Str. 50 sind in einem äußerst schlechten Zustand. Erstere ist eine ehemalige Kaserne, der bauliche Zustand gelinde gesagt marode. Immerhin gibt es Bewegung: zum Jahresende hat der Betreiber, die Human care GmbH den Vertrag mit dem Landkreis gekündigt, ohne die dringend notwendigen Investitionen wird es hier nicht weitergehen. In der Unterkunft leben 170 Personen, manche von ihnen bereits seit 1998! Die Heimleitung leistet engagierte Arbeit, Fachlichkeit in der Arbeit zieht allerdings erst mit der neuen Sozialarbeiterin ein, die für die 170 Person sowie weitere sieben Familien, die in einem neuen Wohnprojekt um die Ecke leben, zuständig ist. Der Betreuungsschlüssel ist also in keiner Weise annehmbar.
Sowohl eine angemessene soziale Betreuung als auch kostenfreie Sprachkurse sind in Mittelsachsen Mangelware. Der Kreis hat mit unter 10 % die niedrigste Quote dezentraler Unterbringung sachsenweit.
Auch die Unterkunft in Freiberg – von ingesamt dreien haben wir eine gesehen, die relativ neue in der Chemnitzer Straße 44 – atmen den Geist alter Tage. Auf einem Gelände sind in zwei Häusern 500 Personen untergebracht, an anderer Stelle in Freiberg nochmal 200. Die Konzentration so vieler Asylsuchender in einer Stadt hat nicht nur Nachteile. In zahlreichen Städten in den Flächenlandkreise fehlt es in den Orten an Infrastruktur (Behörden, Schulen, Kita, Sprachkursträger und Beratungsstellen). Aus Döbeln beispielsweise müssen die Asylsuchenden für 15 Euro nach Freiberg zur Ausländerbehörde fahren.
Vom Landkreis bezahlte Sprachkurse gibt es in Mittelsachsen nicht. Zudem mangelt es an einem Konzept für die Unterbringung von Asylsuchenden im Landkreis, das auch qualitative Standards umfasst. Dies sei auf dem Weg, so ein Mitarbeiter der Landkreisverwaltung beim Besuch der neuen Unterkunft in Rosswein.
Rosswein kann als durchaus positives Beispiel im Landkreis benannt werden. Seit April leben 50 Personen in einem Gebäudeteil der ehemaligen Fachhochschule. 50 weitere werden in den kommenden Tagen folgen. Das ehemalige Wohnheim ist in einem guten Zustand, es gibt Gemeinschaftsräume und eine große Freifläche. Vor allem aber hat sich in kürzester Zeit aus dem Umfeld des Jugendhaus Rosswein ein Willkommensbündnis gegründet, das regelmässige Begegnungstreffen, Freizeitangebote und Srachkurse anbietet. Wenn Mittwochs der Pegida-Ableger „Rosswein wehrt sich“ in Sichtweite des Heims vorbeimarschiert, ist das Bündnis vor Ort. Auch die soziale Betreuung, die von der Diakonie angeboten wird, ist überaus engagiert, allerdings nur für 25 Stunden eingestellt, was für 50 und zukünftig 100 Personen viel zu wenig ist.
Der letzte Tourtag durch Mittelsachsen wurde durch ein Willkommensfest im Jugendhaus Rosswein abgerundet. Neben dem Bürgermeister der Stadt, Veit Lindner, waren zahlreiche BewohnerInnen der Unterkunft gekommen. Klar formulierter Wunsch: sie wollen hierbleiben und eine Perspektive für eine neues Leben bekommen. Ein Gros der Anwesenden kam aus Albanien, eines der momentanen Hauptfluchtänder und nach Aussagen der Leute eine Art „failed state“: Akute Armut, Arbeitslosigkeit, Diskriminierung und Korruption sind an der Tagesordnung.
Die Anerkennungsquoten für aus Albanien Geflüchtete liegen bei 0. Immerhin scheiterte die Erklärung des Landes zum sicheren Herkunfsstaat wie die vom Kosovo und Montenegro im März im Bundesrat.
Auch der Landkreis Mittelsachsen will sich nach eigenem Bekunden auf den Weg machen die Unterbringung und Integration von Asylsuchenden planmässiger und menschenwürdiger zu gestalten. Dass in Mittweida die Errichtung von Container geplant ist, spricht allerdings nicht diese Sprache.
[Artikel zum Besuch in Döbeln in der SäZ sowie Freie Presse und nochmal SäZ]
3. Juni bis 4. Juni 2015, Landkreis Vogtland
23. Juni 2015 bis 25. Juni 2015, Landkreis Bautzen
11./17./18. Juli 2015, Landkreis Sächsische Schweiz Osterzgebirge
19. August 2015 bis 25. August 2015, Landkreis Erzgebirge
26. August 2015 bis 29. August 2015, Landkreis Meißen
2. September 2015 bis 4. September 2015, Stadt Chemnitz
Oktober 2015, Landkreis Nordsachsen/ Landkreis Leipzig