Seit geraumer Zeit fährt der Leipziger Polizeipräsident eine regelrechte Kampagne gegen die Suchtpolitik der Stadt Leipzig. Im Januar bezeichnete er diese gegenüber der Chemnitzer Morgenpost als „Wohlfühl-Drogenpolitik“ und kritisiert nun in zahlreichen Medien (u.a. LVZ und MDR), dass die Stadt Leipzig zu viel Geld für entsprechende Beratungsangebote ausgeben und damit Süchtige erst in die Stadt locken würde. Die Zunahme von Raub- und Einbruchsdelikten in Leipzig führt er auf den Anstieg von Beschaffungskriminalität zurück.
Juliane Nagel, Stadträtin in Leipzig und Mitglied des Landesvorstandes der LINKEN Sachsen entgegnet:
> Ausgaben für Suchthilfe/ Zahl der hilfesuchenden KonsumentInnen
„Herr Wawrzynski sollte sich in seiner Argumentation zuerst einmal auf richtige Zahlen beziehen. Die Stadt Leipzig gibt nicht 2,3 Millionen, sondern etwa 1,8 Millionen Euro für Suchthilfe aus, dazu zählen sowohl Beratungs- als auch Betreuungsangebote.
Auch der vom Polizeipräsidenten gezogene Vergleich zu den entsprechenden Ausgaben der Stadt Nürnberg ist falsch. Nürnberg, wo eine vergleichbar große Drogen-Szene existiert, gibt sogar über 2,5 Millionen Euro für Suchtberatung und -hilfe aus.
Die Zahl der Suchtkranken, die in Leipzig Hilfe suchen, ist zudem in den letzten Jahren etwa gleichbleibend bzw. sogar leicht rückläufig (im Jahr 2007: 4236, davon 1134 mit illegalisiertem Drogenkonsum, 2008: 4252, davon 1202 mit illegalisiertem Drogenkonsum und 2009: 4010, davon 1206 mit illegalisiertem Drogenkonsum). Von einem boomenden Zuzug von auswärtigen DrogenkonsumentInnen aufgrund der – übrigens durch aktuelle Kürzungen der Landesmittel eingeschränkten (1) – Suchthilfestrukturen kann also ganz und gar nicht die Rede sein.“
> Kein belastbarer Zusammenhang zwischen Straftaten und Drogen-Kontext
„Generell wirkt der von Horst Wawrzynski aufgemachte Zusammenhang zwischen qualifizierter Suchthilfepolitik, wie sie die Stadt Leipzig leistet, und den aktuell gestiegenen Einbruchs- und Raubstraftat-Zahlen hemdsärmlig. Dass 17 von 22 gefassten Einbrechern drogenabhängig sind, ist einerseits kein unbedingter Beleg dafür, dass sie aus einem Drogen-Kontext kommen und es sich um drogenbezogene Beschaffungskriminalität handelt. Vielleicht sollte sich die Polizei lieber über die Entwicklung der sozialen Situation von Menschen in Leipzig Gedanken machen und im Problem wachsender Armut eine Ursache für Einbrüche und Raub ausmachen?
Im Jahr 2009 waren die Fälle direkter Beschaffungskriminalität stark rückläufig (von 42 im Jahr 2008 auf 12 im Jahr 2009), Fälle der indirekten Beschaffungskriminalität, wie sie Einbrüche, Ladendiebstähle, Raubstraftaten oder auch Prostitution darstellen, werden von der Polizei dagegen nicht explizit erfasst. Es existiert keine transparente und belastbare Statistik. Auch vor diesem Hintergrund sind die jüngsten Äußerungen des Polizeipräsidenten in Zweifel zu ziehen.
Es scheint vielmehr als wolle er sich gegenüber der Stadt Leipzig als starken Mann inszenieren und die öffentliche Meinung gegen Suchtkranke aufheizen, um damit vom Versagen seiner BeamtInnen in Sachen Verhinderung und Aufklärung der aktuell ansteigenden Einbruchs- und Raubstraftaten abzulenken.“
> Ausspielen von Repression gegen Suchthilfe
„DIE LINKE ist der Auffassung, dass eine qualifizierte Beratungs- und Hilfe-Palette das A und O für eine verantwortungsvolle Drogenpolitik ist.
Niederschwellige Angebote zur Überlebenshilfe für Süchtige helfen gesundheitliche Risiken zu minimieren, verhindern so steigende Zahlen von Drogentoten und sind aus ethischen und sozialen Gründen zwingend geboten. Die Stadt Leipzig ist hier auf dem richtigen Weg.
Diese Ansicht vertritt auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung. In einer ihrer aktuellen Broschüren „Moderne Drogenpolitik – Der Mensch in der Mitte“ (2) wird das Hauptaugenmerk auf präventive, beratende und unterstützende Angebote gelegt. Die Bundesregierung bekennt sich auch klar zu „Schadensreduzierung wie z. B. die Drogenkonsumräume mit Angeboten zum Spritzentausch“, denn diese „stabilisieren die gesundheitliche und soziale Situation des Suchtkranken als notwendige Voraussetzung für einen späteren Ausstieg aus der Sucht.“
Law and Order-Maßnahmen, wie sie Horst Wawrzynski massivst in die Debatte wirft, gehören längst in die Mottenkiste. Es ist wissenschaftlich und praktisch erwiesen, dass eine einseitige Repressionspolitik gegenüber Süchtigen die Probleme keinesfalls löst, sondern im Gegenteil riskante Konsumformen fördert und die Betroffenen stärker in Beschaffungskriminalität und Untergrund zwingt, wo soziale und therapeutische Maßnahmen kaum noch greifen. Die gesellschaftlichen Folgekosten von Herrn Wawrzynskis repressiver Drogenbekämpfungspolitik wären in jedem Fall höher als die einer adäquaten Suchtkrankenhilfe: so summiert beispielsweise die Sächsische Landesstelle gegen die Suchtgefahren die jährlichen Folgekosten durch das Fehlen nur einer Fachkraft auf über 300.000 Euro.
Polizeipräsident Horst Wawrzynski muss aufhören, repressive Maßnahmen gegen Betreuungs- und Hilfeangebote auszuspielen! Im Suchtbericht der Stadt Leipzig aus 2010 bekennt sich die Polizeidirektion Leipzig selbst zu einer stärkeren Kooperation und Vernetzung beider Ansätze. Dieser Weg muss weiter beschritten werden.
Ein Polizeipräsident hat die Aufgabe das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu stärken, in Wort und Tat. Momentan macht Herr Wawrzynski das Gegenteil – er verunsichert die Öffentlichkeit in höchstem Maße. Ich fordere Herrn Wawrzynski auf, zurück auf den Boden sachlicher Debatten zu kommen und lade ihn daher zu einer öffentlichen Diskussion mit drogenpolitischen ExpertInnen und PraktikerInnen ein.“
(1) Seit Jahren haben die sächsischen Suchthilfeeinrichtungen, vor allem die Suchtberatungs- und Behandlungsstellen (SBB) mit drastischen Kürzungen zu kämpfen. Im aktuellen Haushalt wurden den Beratungsstellen, die z. T. weit unter dem bundesweit geforderten Personalschlüssel arbeiten, die staatlichen Zuschüsse um mehr als 20 % gekürzt. Dies wird auch Auswirkungen auf die Suchthilfelandschaft in Leipzig haben.
Pressemitteilung, 5.3.2011
Das ist schon unglaublich, obwohl alle Statistiken belegen, dass 40 Jahre repressive Drogenbekämpfungspolitik versagt haben (s. auch USA), muss sich eine Stadt wie Leipzig – wenn sie sinnvolle Maßnahmen ergreift – mit einem Polizeipräsidenten wie Wawrzynskis herumärgern…
Ich frage mich aber: wenn diese „unseriöse Stimmungsmache“ in der Bevölkerung auf Zustimmung stößt, wie groß müssen dann die Vorbehalte gegen Suchtkranke in unserer Gesellschaft – trotz aller Aufklärung – noch immer sein??