Am 26.5.2013 jährt sich die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl zum 20. Mal. Doch die Demontage des Asylrechtes begann weit vor 1993.
Der Grundgesetz-Änderung ging eine Welle von rassistischen Übergriffen und Anschlägen voraus, die in dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen im August 1992 und dem tödlichen Brandanschlag von Mölln im November 1992 gipfelten. Die durch Medien und politische StichwortgeberInnen aufgeheizte gesellschaftlichen Stimmung machte schließlich den Weg für den tiefgreifendsten Einschnitt in die deutsche Asylgesetzgebung frei. Die notwendige 2/3 Mehrheit zur Änderung des Grundgesetzes gewährleisteten die Stimmen der Regierungsfraktionen von CDU/ CSU, des kleinen Koalitionspartners FDP und der sich in der Opposition befindenden SPD, die sich damit von eigenen Grundsätzen verabschiedete.
Es wäre allerdings ein Trugschluss zu glauben, dass die Abschaffung des Artikels Artikel 16 Abs. 2 GG („Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“) eine Notmaßnahme war, um „Wirtschaftsflüchtlingen“ Einhalt zu gebieten oder die Bevölkerung, die den brandschatzenden Nazis zum Teil zujubelte oder sich wie in Rostock oder Hoyerswerda auch an Angriffen beteiligte, zu beruhigen. Tatsächlich hatten CDU/ CSU und SPD schon weit vor 1993 systematisch an der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl gearbeitet und damit tatkräftig an der Aufheizung der gesellschaftlichen Stimmung mitgewirkt.
In den 1980er Jahren wurden die wesentlichen Grundlagen einer restriktiv-inhumanen Asylpolitik gelegt und damit das eigentlich schrankenlose Grundrecht auf Asyl sukzessive ausgehöhlt. Ein wesentliches Instrument dafür war das Asylverfahrensgesetz, das den entsprechenden Grundgesetz-Artikel konkretisiert. Dessen Einführung 1982 durch die damalige SPD-geführte Bundesregierung brachte neben Erschwernissen beim Zugang zum Asylrecht auch erhebliche Verschlechterungen der Lebenssituation von Asylsuchenden mit sich. Bestandteil des Asylverfahrensgesetzes waren Residenzpflicht und Regel-Unterbringung in Sammelunterkünften. Auch wurde den Bundesländern schon damals die Option eingeräumt die Sozialleistungen für Asylsuchende auch als Sachleistungen auszugeben. Auf diese klar auf Abschreckung von Asylsuchenden orientierten Maßnahmen konnte die CDU, die die SPD-Bundesregierung 1983 ablöste, gut aufbauen. 1986 legten sie u.a. mit der Einführung eines fünfjährigen Arbeitsverbotes für die unerwünschten Flüchtlinge nach.
Bereits ab Ende der 1970er Jahre wurde der Begriff der politischen Verfolgung in der institutionellen Praxis sukzessive umgedeutet – weg von der durch die Betroffenen erlittene oder befürchtete Bedrohung hin zu den Gründen aus denen heraus das Herkunftsland die Verfolgung betreibt. So konnten beispielsweise Folterpraxen als Strafe für die gewaltlose Inanspruchnahme verbotener demokratischer Grundrechte in einem Verfolgerstaat als „ortsübliche Straf-Praxis“ legitimiert und aus dem Kanon zureichender Asylgründe in der BRD herausgenommen werden.
Nicht zuletzt fungierte auch das heute noch beliebte Abwehrinstrument der Visumspflicht als restriktives Mittel gegen steigende Asylzahlen.
Nicht nur Abschottung gegen und die sich verschärfende staatliche Diskriminierung von Asylsuchenden zeitigte Wechselwirkungen mit der gesellschaftlichen Stimmung. Der Paradigmenwechsel im Bereich der Arbeitsmigration – weg von der gezielten Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland hin zum Anwerbestopp und „Rückführmaßnahmen“ heizte schwelende rassistische Einstellungen ebenso an. ArbeitsmigrantInnen aus Südeuropa und Nordafrika waren nun nicht mehr geduldete UnterstützerInnen beim Vorantreiben des „Deutschen Wirtschaftswunders“, sondern lästige KonkurrentInnen. So richtig willkommen waren sie jenseits ihres temporären Beitrages zum Wirtschaftswachstum sowieso niemals, was sich unter anderem im Fehlen von Maßnahmen für ein gutes und konfliktfreies Zusammenleben zeigt.
In den 1980er Jahre entdeckten vor diesem Hintergrund auch extrem rechte Parteien das Thema Asyl als Schwerpunkt für politische Kampagnen. Die Union stimmte schnell in diese Hetzjagd ein und startete 1986 eine demagogische Kampagne gegen die vermeintliche „Asylantenflut“.
Spätestens in diesem Kontext war der Ruf nach einem grundlegenden Schlag gegen das Grundrecht auf Asyl folgerichtig und gerann ab Ende der 1980er Jahre zur politischen Forderung der Konservativen. 1993 folgten dem auch FPD und SPD und gingen den so genannten Asylkompromiss ein.
Dieser beinhaltet eine massive Einschränkung des vormaligen Asylrechts-Paragraphen des Grundgesetzes. „Politisch Verfolgte genießen“ damit nur noch „Asylrecht“, wenn sie nicht über einen sicherer Drittstaat einreisen (Drittstaatenregelung). Bekanntlich ist Deutschland von sicheren Drittstaaten umgeben, was eine legitime Einreise für Schutzsuchende de facto nur mit dem Flugzeug ermöglicht. Um auch diese Flanke zu schließen wurde die so genannte Flughafenregelung als Bestandteil des Asylkompromisses aufgenommen: an Flughäfen erwarten Asylsuchende rechtsstaatlich bedenkliche Schnellverfahren und damit beschleunigte Abschiebungen. Hinzu kommt das Prinzip der sicheren Herkunftsstaaten, die von der Bundesebene per Gesetz definiert werden.
Derzeit will Bundesinnenminister Friedrich unter Berufung auf diese Regelung Mazedonien und Serbien als sichere Herkunftsstaaten definieren und damit Schutzsuchenden, insbesondere Roma, den Zugang zum Asylrecht in der BRD verwehren.
Als weiteren Schlag gegen das Asylrecht als humanitäres Prinzip und Lehre aus dem Nationalsozialismus umfasst der Asylkompromiss die Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes, das die bereits in den 1980er Jahren eingeführten Einzelmaßnahmen und zusätzliche Einschränkungen in einem Gesetzestext vereint.
Im vergangenen Jahr wurden die im Asylbewerberleistungsgesetz festgeschriebenen Sonderleistungen für Asylsuchende als verfassungswidrig erklärt, weil sie gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoßen. Die Bundesregierung reagierte im Dezember 2012 mit einem Referenten-Entwurf zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Mit diesem werden abgesenkte Sonderleistungen für bestimmte Gruppen von Asylsuchenden, die Beibehaltung des Sachleistungsprinzip oder aber die unzureichende gesundheitliche Versorgung fortgeschrieben.
Ein eisiger Wind weht für Asylsuchende auch heute noch, sowohl auf institutioneller Ebene als auch im Alltag. Das rassistische Gerede von vermeintlichem „Asylbetrug“ oder „Wirtschaftsflüchtlingen“, die „abgewehrt“ werden müssen, ist wie vor 20 Jahren hoch im Kurs.
Auf der anderen Seite ist seit dem vergangenen Jahr eine neue antirassistische Offensive in Gange, die zum großen Teil von Geflüchteten selbst getragen wird und sich gegen alle Facetten der rassistischen Realität wendet. Diese Kämpfe sollen verknüpft mit der Erinnerung an die faktische Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl am 25.5.2013 in zwei Großdemonstrationen in Berlin und Solingen, wo drei Tage nach dem 1993er Grundgesetzänderung fünf Menschen einem rassistischen Brandanschlag zum Opfer fielen, münden.
Unterstützt antirassistischem Protest und (Selbst)organisation – es ist Zeit die Fortschreibung staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus´ endgültig zu unterbrechen.
*Antirassistische Aktionswoche 11. bis 18. Mai 2013 >>> | Termine für Leipzig >>>
* 25. Mai: Demo in Solingen „Auch 20 Jahre nach dem Brandanschlag von Solingen: Das Problem heisst Rassismus!“ >>>
* 25. Mai: Demo in Berlin „FIGHT RACISM NOW!“ >>>