Viel wird in dieser Stadt über frühkindliche Bildung gesprochen, erst heute haben uns die drängenden Probleme beim Ausbau der Kita-Infrastruktur und des Personals beschäftigt. Das ist wichtig und richtig. Unterbelichtet bleiben in der öffentlichen Debatte dagegen zumeist die übrigen Bereiche der Jugendhilfe …
Rede zu Vorlage DS 2242 „Fachplanung Kinder- und Jugendförderung“ in der Ratsversammlung am 20.9.2012
…– die Freizeittreffs, die Kultur- und Medienangebote, Straßen- oder Schulsozialarbeit oder die Jugendverbände. All diese Leistungsbereiche nach SGB VIII sind im heute vorliegenden Fachplan Kinder- und Jugendförderung versammelt. Es sind die Angebote, die neben den Bildungseinrichtungen eine zentrale Funktion für die Entwicklung, Begleitung und Förderung von jungen Menschen haben. Nach einer fast 2-jährigen Debatte befinden wir heute mit der Fortschreibung des Fachplanes über das zentrale Instrument für den öffentlichen und die zahlreichen freien Träger der Jugendhilfe in dieser Stadt.
Der Fachplan beschreibt, dass die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe nicht im luftleeren Raum existieren, sondern einerseits den Bedarfen Kinder und Jugendlicher entsprechen, weiterhin auf Basis von bestimmten gesellschaftlichen Herausforderungen und auf Grundlage jugendpolitischer Schwerpunktsetzungen arbeiten und andererseits weiterentwickelt werden sollen.
Eine der zentralen Herausforderungen, mit denen wir in dieser Stadt konfrontiert sind, ist und bleibt die soziale Situation von Kindern und Jugendlichen. Über 30 % der Kinder unter 15 Jahren sind arm (19.000), 20% der Jugendlichen zwischen 15 und 25 Jahren beziehen ALG II. Eng mit dieser oft verfestigten Lebenslage verknüpft ist Bildungsarmut. Auffällig ist, dass gerade in Ortsteilen, in denen überdurchschnittlich viele arme Familien leben, der Anteil der SchulabgängerInnen ohne Abschluss besonders groß ist. Eine weitere zentrale Herausforderung ist die gesundheitliche Situation von Kindern und Jugendlichen – Wir kennen die Befunde über sprach- und motorische Störungen bei einem erheblichen Anteil der Leipziger Kinder.
Die Jugendhilfe kann die grundlegenden gesellschaflichen Missstände und Ursachen von Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen nicht beheben. Doch sie kann bestärken und unterstützen einen richtigen Weg zu finden. Nicht zu vergessen ist auch, dass insbesondere offene Angebote, wie Freizeittreffs oder Kultur, Medien, Spielmobil- und Ferienangebote, jungen Menschen Räume bieten sollen, in denen sie dem Leistungs- und Erwartungsdruck entfliehen können, Räume in denen sie sich selbst erproben und soziale Kompetenzen aneignen können.
Insbesondere für benachteiligte Jugendliche sind laut der Leipziger Jugendbefragung, deren Ergebnisse auch in die Fachplanung eingeflossen sind, Jugendtreffs ein wichtiger Anlaufpunkt in der Freizeit. JedeR zweite FörderschülerIn nutzt diese Einrichtungen regelmäßig.
Neben prekären Lebenslagen, mit denen ein großer Teil der jungen Menschen in Leipzig zu kämpfen hat, ist perspektivisch mit dem Anwachsen der Zahl von Jugendlichen zu rechnen.
Dem stellt sich der Jugendhilfeplan, indem er eine Neuausrichtung in Sachen Steuerung und inhaltlicher Schwerpunktsetzung vornimmt.
Statt wie bisher auf Ortsteile zu fokussieren, werden mit dem fortgeschriebenen Fachplan sieben Planungsräume definiert, die als räumliche Bezugsgröße für Kinder, Jugendliche und Familien fungieren und die ein plurales, aufeinander abgestimmtes Leistungsangebot vorhalten.
Anfangs waren wir zugegebenermaßen skeptisch was diese neue räumliche Einteilung betrifft, zum einen erschienen uns manche Räume zu groß, zum anderen hatten wir Angst, dass es zur Ausdünnung undoder Zentralisierung von Strukturen kommen würde. Doch nach ausgiebigen Diskussionen mit Verwaltung und Trägern sind wir offen für diese Neuorientierung. Charme hat aus unserer Sicht die stärkere Vernetzung und Abstimmung zwischen öffentlichem und freien Trägern der Jugendhilfe in den Planungsräumen mit dem Ziel Problemlagen besser zu erkennen, Interventionen besser abzustimmen, Angebote stärker an Bedürfnisse der Zielgruppen anzupassen und eben jene auch mehr einzubinden. Um diesem Anspruch gerecht zu werden sollen einerseits die Anzahl der KoordinatorInnen des AfJfb von 3 auf 7 entsprechend der Planungsräume erhöht werden und andererseits soll in jedem Raum ein freier Träger ausgewählt werden, der eine Koordinations- und Managementfunktion übernimmt.
Meine Fraktion unterstützt den im Fachplan vorgenommenen Umsteuerungs-Prozess grundsätzlich,wie auch die Zusammenschlüsse von Trägern der Jugendhilfe in dieser Stadt.
Nichts desto trotz bleiben Fragen und Ängste. Bedeutet das proklamierte Aufbrechen der Versäulung der Leistungsbereiche das Ende der Professionalität –Wieviel Zeit mehr müssen Fachkräfte zukünftig in Vernetzungs-, Koordinations- oder fachpolitischen Beratungen verbringen anstatt ihrer eigentlichen Tätigkeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien nachzugehen? Wird es im Zuge der im Plan beschriebenen „Optimierung des Ressourceneinsatzes und Poolbildung“ nicht doch zum Wegfall von Angeboten kommen?
Wir werden ein waches Auge haben, dass der neue Fachplan nicht durch die Hintertür Raubbau an bestehenden Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe betreibt.
Leider bleibt genau die Frage, nach der adäquaten ressourcenmäßigen Ausstattung von bestehenden Angeboten oder nach Fachstandards mit diesem Plan unbeantwortet. Im Gegenteil, der Entwurf wie er vorliegt, schreibt de facto ein Ausdünnen der bestehenden, sowieso prekären Jugendhilfelandschaft in Leipzig fest. Weder die strukturelle noch die inhaltliche Umsteuerung ist finanziell unterlegt.
Liebe Verwaltung, so geht es nicht. Eine so wichtige Fachplanung muss von der gesamten Verwaltungsspitze getragen und damit auch finanziell auf stabile Füße gestellt werden.
Das wollen wir mit zwei Änderungsanträgen nachholen. Unser Änderungsantrag 1 geht im Grundsatz in die Richtung des Antrages des Jugendhilfeausschusses, der an dieser Stelle noch gesondert eingebracht werden wird. Wir tragen diesen weitergehenden Antrag mit.
Unser zweiter Änderungsantrag nimmt den Prozess der inhaltlichen Umsteuerung in den Blick,sprich den Ausbau der Schulsozialarbeit an allen Grundschulen der Kerngebiete in den Planungsräumen und die Verdoppelung des Budgets für die Familienbildung. Das ist gut und richtig, muss allerdings finanziell untersetzt werden und darf nicht auf Kosten des bestehenden, prekären Budgets der Kinder und Jugendhilfe gehen. Genau dies schlagen wir mit dem ÄA2 vor im Plan festzuschreiben.
Sehr geehrte KollegInnen, liebe Gäste, genau in den Ferienzeiten musste die VILLA ihren Offenen Treff schließen, weil die bewilligte Personalkapazität nicht zur Abdeckung von Öffnungszeiten ausreichte. Viele Angebote dieser Stadt arbeiten aufgrund der finanziellen Einschnitte der letzten Jahre und der mangelnde Dynamisierung der Finanzierung am Rande des Machbaren oder mussten Angebote für Kinder und Jugendliche schon einschränken. Die Landesregierung friert währenddessen im neuen Doppelhaushalt die Jugendpauschale auf niedrigem Niveau ein.
Lassen sie uns heute Verantwortung für die Kinder und Jugendlichen in dieser Stadt übernehmen, indem wir die gute und zukunftsweisende Jugendhilfeplanung für die kommenden 5 Jahre auf stabile Füße stellen. Stimmen sie unseren Anträgen zu.
Die beiden Anträge der LINKEN (175.000 Euro für regionale Netzwerkarbeit und Finanzierung der inhaltlichen Umsteuerung nicht aus dem bestehenden Budget für Kinder- und Jugendförderung bestreiten) wurden mit knapper Mehrheit angenommen.
Der Antrag des Jugendhilfeausschusses wurde abgelehnt.