Im nordböhmischen Varnsdorf gehen seit Beginn des Jahres die antiziganistischen Ausschreitungen weiter. Nachdem die antiziganistischen Demonstrationen Ende Oktober 2011 mit Wintereinbruch zum Erliegen gekommen waren, gab es an den ersten beiden Wochenenden des neuen Jahres wieder Aufmärsche mit 50 bzw. 200 Teilnehmenden. Für den 29.1. hat die tschechische Nazipartei DSSS („Arbeiterpartei der sozialen Gerechtigkeit“) einen neuen Aufmarsch angemeldet.
Eine Weile war es ruhig geworden um das Dörfchen Varnsdorf, nur ein paar hundert Meter von der deutschen Grenze zu Seifhennersdorf entfernt. Letztes Jahr war die Ortschaft zeitweise jedes Wochenende Schauplatz rechter Aufmärsche mit mehreren hundert Teilnehmer_innen gewesen. Diese richteten sich gegen die ethnisierte Minderheit der dort lebenden Roma. Mehrfach wurde versucht, 2 Heime in denen eine Vielzahl von ihnen in ärmsten Verhältnissen wohnt, anzugreifen – es kam zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei. In den letzten 2 Monaten hatte es dann so ausgesehen, als wäre das schlimmste Überstanden. Die rechten Demonstrationen zogen immer weniger Teilnehmer_innen an und unterblieben schließlich ganz.
Nun hat die DSSS erneut eine Kundgebung für den 29.01.12 angemeldet. Diese soll ab 9 Uhr auf dem Varnsdorfer Busbahnhof, nur wenige hundert Meter von einer der Roma-Herbergen, stattfinden. Wie das Infoportal romea.cz berichtet, steht die Veranstaltung im Zusammenhang mit dem Tod einer älteren Varnsdorferin. Diese wurde nach Angaben ihrer Verwandten und der Polizei 14 Tage vorher in eine Auseinandersetzung mit einem Roma verwickelt und soll in Spätfolge an einer Herzattacke gestorben sein. Auch tschechische Medien zweifeln die Verbindung dieser beiden Ereignisse an, zumal es örtliche Zeugen geben soll, die behaupten die Frau wäre schon länger schwer krank gewesen.
Ein weiterer vermeintlicher Zwischenfall muss außerdem gegen die hasserfüllten antziganistischen Aktionen herhalten: In der Neujahrsnacht wurde eine dreiköpfige Familie aus Varnsdorf mit Verletzungen in Krankenhaus eingeliefert. Am 2. Januar erstatteten sie Anzeige, sie seien vor dem „Hotel Sport“ (einer der Sammelunterkünfte für Roma in Varnsdorf) von Roma angegriffen worden. Seit den Ausschreitungen im Herbst wird das Gebiet mit Videokameras überwacht. Von einem derartigen Angriff war auf dem Überwachungsvideo nichts zu sehen.
In der Neujahrsnacht kam es indessen zu tödlicher Gewalt, als ein Rentner im nordböhmischen Tanvald einen 22-jährigen Rom erschoss und dessen Bruder schwer verletzte. Zeugen gibt es keine, so steht Aussage gegen Aussage. Er habe in Notwehr gehandelt, da er mit einem Messer angegriffen worden sei, sagt der 63-Jährige, der nach seiner Vernehmung noch in der Neujahrsnacht wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Die Brüder seien außerdem auf Beutezug gewesen. Der jugendliche Überlebende fürchtet derweil um sein Leben. Nach seinen Aussagen sei unvermittelt und im Dunkeln auf ihn und seinen Bruder geschossen worden, er selbst wurde geschlagen und getreten. Bei den Ermittlungen werden antiziganistische Vorurteile offenbar, geglaubt wird dem Täter.
Vor dem Hintergrund dieser neuerlichen Entäußerung von Gewalt und Hass gegen Roma, vor dem Hintergrund der krassen Diskriminierung dieser Minderheit in zahlreichen europäischen Ländern und vor dem Hintergrund laufender Abschiebungen von Roma in den Kosovo ist Solidarität essentiell.
Die Leipziger Initiative gegen die Diskriminierung von Roma bereitet für Februar und März Soli- und Informationsveranstaltungen in Leipzig vor. Zum Auftakt findet am 7.2.12 im Haus der Demokratie in der Bernhard-Göring-Str. 152 eine Veranstaltung „Alle bleiben. Veranstaltung zur Situation von Roma in Europa und Widerstandsstrategien gegen Abschiebungen“ mit Kenan Emini vom Roma Center Göttingen e.V. statt (mehr Infos).
Textquellen: Antiziganismus-Watchblog und Einzelpersonen im Libertären Netzwerk Dresden
Hai,
zwar ein bißchen verspätet mein Kommentar hierzu aber ich möchte mal gerne folgendes in Frage stellen, da du Dich ja auch auf den Text von Lara Schultz als Quelle beziehst. Im letzten Abschnitt des Textes ist folgendes zu lesen:
„Wie bereits im Herbst wird ein angeblicher Rassismus der Roma gegenüber der Mehrheitsbevölkerung als Begründung herangezogen. Tatsächlich wurde eine dreiköpfige Familie in der Neujahrsnacht mit Verletzungen in Krankenhaus eingeliefert. Am 2. Januar erstatteten sie Anzeige, sie seien vor dem „Hotel Sport“ (einer der Sammelunterkünfte für Roma in Varnsdorf) von Roma angegriffen worden. Seit den Ausschreitungen im Herbst wird das Gebiet mit Videokameras überwacht.“
Die Verwendung des Wortes „tatsächlich“ stößt mir irgendwie auf. Hier wird reproduziert was die „weiße“ Mehrheit in CZ ohnehin schon weiß: „Roma sind kriminell“. Das es gerade darum geht das zu hintenfragen sollte mensch in Berichten doch dazu veranlassen eine differenziertere Sprache zu wählen anstatt in boulevardjournalistischer Manier noch zu erwähnen das „tatsächlich“ drei Weiße vor einer von Roma bewohnten Unterkunft überfielen wurden. Was hat hier die Zugehörigkeit der Bewohner_innen des Hauses mit dem kriminellen Handeln Einzelner zu tun? Wenn mensch meint das irgendwie erwähnen zu müssen weil es der Zug ist auf den die Rassist_innen sogleich aufspringen um ihren Hass zu verbreiten sollte mensch das meiner Einschätzung nach gesondert erwähnen.
Genauso die Unterstellung, dass die beiden Anschlagsopfer auf „Beutetour“ waren oder was „klauten“. Zu aller erst sollte den Opfern geglaubt werden- Täter_innen / Opfer_innenverdrehungen kennen wir ja auch von anderen Bereichen. Wenn ein garstiger Rentner auf zwei Leute ballert und in Kauf nimmt dass diese dabei schwer verletzt werden ist doch von null Interesse warum er/sie das macht! Wer Schusswaffen besitzt und sie benutzt ist sich doch darüber klar was er damit anstellen kann. Die Unverhältnismäßigkeit hat doch die Polizei indirekt schon eingestanden, oder? Das kann mensch doch in der Berichterstattung hervorheben anstatt in klassische Muster (warum und wie) zu verfallen und zu allererst dem Täter in seinen Ausführungen zu folgen. Das die Polypen darüber hinaus die Ortsbegehung allein mit dem Täter durchführten sagt doch schon sehr viel aus über die (rassistische) Praxis der Polizei der Tschechischen Republik.
MsG und trotzdem Danke für die Meldung ;-)
Maulwurf
Romea berichtet das der Mörder von Tanvald zwei Jahre Haft bekommt – eine Farce auch die Urteilsbegründung bzw. Beweisaufnahme der ermittelnden Behörden! Siehe hier: http://www.romea.cz/en/news/czech/czech-republic-romani-gunshot-victim-gets-two-years-for-rioting
Niemals vergeben, niemals vergessen!
Patrik Tatár – Todesopfer rassistischer Gewalt in Tschechien!