Weltnest fragt in dieser Woche was Leipziger Politiker*innen vom sächsischen Koalitionsvertrag halten
Martin fragt:
Nach langen Sitzungen in Dresden ist der Koalitionsvertrag zwischen CDU und SD endlich fertig. Auch wenn die Genossen noch darüber abstimmen, ob sie ihn annehmen wollen, möchte ich bereits jetzt von Ihnen wissen: Was bringt der Koalitionsvertrag für Leipzig?
Meine Antwort:
Zunächst muss Mensch eingestehen, dass der Koalitionsvertrag auf den ersten Blick einen passablen Eindruck macht. Gerade auch angesichts der Schwäche der SPD in Sachsen, scheint sie sich gegen den übergroßen Partner CDU gut durchgesetzt zu haben.
Bei genauerem Hinsehen allerdings, wirken die Ergebnisse allerdings zum großen Teil recht fundamentlos.
Vieles ist so schwammig – eben lyrisch – formuliert, so dass keinerlei konkreter Ansatz für gesetzliche Änderungen oder Finanzierungen erkennbar ist.
Beispiel gefällig?
„Durch eine Verringerung der Anzahl der Schüler ohne Abschluss stärken wir die Zukunftschancen unserer sächsischen Schüler. Nur so und durch eine gute Berufs- und Studienorientierung schaffen wir auch die besten Voraussetzungen für das Gelingen des Berufs- und Studienlebens junge Menschen und für einen starken sächsischen Wirtschaftsstandort.“
Wie dieses vor allem für Leipzig virulente Problem – hier gibt es 13 % SchulabbrecherInnen – angegangen werden soll, davon kein Wort. Dafür wird am dreigliedrigen Schulsystem festgehalten, das soziale Unterschiede zementiert und zur Elitenbildung beiträgt.
Und weiter:
Der Stellenabbau an der Leipziger Uni wird nur halb und unter Vorbehalt zurückgenommen. Die Kürzung von 72 Stellen an der Leipziger Uni bleibt bestehen und damit die Schließung der Institute für Pharmazie, klassische Archäologie und Theaterwissenschaft weiter im Raum. Die avisierte Senkung des Personalschlüssels in den Kindertagesstätten – ein großes Thema für Eltern, ErzieherInnen und Kinder in Leipzig – ist lächerlich. Von 1:13 im Kindergarten soll ab 1.9.2015 auf 12,5 und ein Jahr später auf 1:12 gesenkt werden, in der Krippe zunächst von 1:6 auf 1:5,5 und dann auf 1:5. ExpertInnen empfehlen einen Schlüssel von 1:3 in der Krippe und 1:7,5 im Kindergarten!
Soziale Wohnraumförderung für Dresden und Leipzig, die beiden Großstädte mit perspektivisch angespannten Wohnungsmärkten: Fehlanzeige. Förderung von ökologischer Mobilität: nebulös und unkonkret. Die Entlastung der Kommunen durch die Weiterleitung der Bundeszuschüsse für die Kosten der Unterkunft gemessen an der Zahl der Bedürftigen und nicht wie bisher an der Zahl der Einwohner*innen: kein Wort im Koalitionsvertrag, obwohl diese Regelung nicht nur gerecht, sondern auch für Leipzig eine erhebliche Entlastung darstellen würde. Allgemein bleibt die Frage des Soziallastenausgleichs, die für Leipzig als der sächsischen Stadt mit der höchsten Armutsquote und den höchsten Sozialausgaben zentral ist, ausgespart. Im Bereich der Asylpolitik zieht sich die potentielle schwarz-rote Landesregierung ebenfalls mehr oder weniger aus der Affäre. Die Kommunen sollen beraten werden, aber mit der Aufgabe von Unterbringung und sozialer Betreuung de facto allein gelassen werden. Dass Leipzig es in dem Bereich besser macht als sich die Landesebene nur erträumen kann, liegt auf der Hand, etwas mehr Ambition für ein landesweites konzertiertes Vorgehen im Sinne menschenwürdiger Lebensbedingungen von Flüchtlingen wäre allerdings angebracht gewesen.
Videoüberwachung öffentlicher Räume – Leipzig ist hier bundesweit Vorreiterin bei dieser freiheitseinschränkenden Kontrollpraxis: bleibt unangetastet.
Diese Reihe ließe sich fortführen. Und weil Opposition ja nicht nur Meckern kann, gibt es auch einige Dinge auf der Haben-Seite.
Da wäre zuerst die teilweise Rücknahme der Kürzung der Jugendpauschale. Unter schwarz-gelb wurde diese Landeszuweisung an die Kommunen pro Jugendlichem/r unter 27 im Jahr 2011 um ein Drittel gekürzt. Auch die hiesige Jugendhilfelandschaft wurde dadurch erschüttert. Die SPD hat hier einen halben Kompromiss rausgehandelt. Die Kürzung soll halb zurückgenommen werden. Das bringt der Stadt zirka eine Viertel Million. Der prekären Leipziger Jugendhilfe nutzt das allerdings nur, wenn diese Mehreinnahme auch auf den knapp bemessenen Etat 2015/16 drauf geschlagen wird.
Ebenfalls begrüßenswert: die Abschaffung der landeseigenen Extremismusklausel oder die in Aussicht gestellte Förderung der Verbreitungskosten für die drei Freien Radios in Sachsen. Das rettet das Leipziger Freie Radio blau, zumindest wenn der vagen Formulierung im Koalitionsvertrag eine Änderung des Privatrundfunkgesetzes folgt und dies auch mit finanziellen Mitteln untersetzt wird.
Gefreut hatte ich mich auch über die Einführung einer Beschwerdestelle für polizeiliches Fehlverhalten, was in einer Demonstrationshochburg wie Leipzig durchaus von Interesse sein kann. Doch die Ansiedlung dieser Stelle beim Innenministerium macht diesen Plan zum Treppenwitz: die Beklagten sollen über die Legitimität der Einwände der KlägerInnen richten? Diese Stelle müsste unabhängig beim Landtag angesiedelt werden!
Summa summarum: der Koalitionsvertrag passt zu schwarz-rot und vor allem zur ewigen Kompromisslerin SPD. Ein Politikwechsel für Leipzig und Sachsen sieht anders aus.