„Wohnungen statt Heime für Flüchtlinge“ – Demonstration am 21.6. in Dresden

Am 21. Juni wird es in Dresden eine Demonstration für die Unterbringung von Asylsuchenden in Wohnungen statt Heimen, für die Abschaffung der Residenzpflicht und weiterer diskriminierender Gesetze (Asylbewerberleistungsgesetz) sowie für einen generellen Abschiebestopp geben. Die Demo beginnt 15:30 auf dem Jorge-Gomondai-Platz

Aufruf des Netzwerks Asyl, Flucht, Migration Dresden

Seit mehr als zwei Monaten ist das sechste Dresdner Heim für Asylsuchende (treffender als Lager zu bezeichnen[1]) in Betrieb. Nachdem die Forderungen zahlreicher Initiativen nach dezentraler Unterbringung der in Dresden lebenden Flüchtlinge sowohl in den Jahren 2009 als auch 2010 im Dresdner Stadtrat abgelehnt wurden, ist die Zahl der Heime nun sogar noch erweitert worden.

Durch diesen Schritt gibt die Stadtverwaltung erneut zu erkennen, dass es ihr nicht um eine würdige Unterbringung von Menschen geht, die zum Teil vor Krieg, Verfolgung, Folter und vielen weiteren unmenschlichen Lebensbedingungen geflohen sind.

Ganz im Gegenteil: Die Politik der Stadtverwaltung trägt zur weiteren Verschlechterung der Situation der betroffenen Menschen bei:
Die Betroffenen bekommen keine Möglichkeit, die Flucht und Erlebnisse aus ihrem Herkunftsland zu verarbeiten. Stattdessen werden sie Lebensbedingungen ausgesetzt, die erhebliche psychische Belastungen bedeuten. Im neuen Heim sind sie gezwungen, mit bis zu sieben weiteren Personen in einem Raum zu leben. Sie müssen sich den Schlaf- und Lebensraum, die Dusche und Toilette mit mehreren Personen teilen, mit denen sie sich oft nur schwer verständigen können. Nicht selten werden Bezugspersonen voneinander getrennt. Probleme entstehen auch dadurch, dass keinerlei Rücksicht auf unterschiedliche persönliche Lebenseinstellungen, kulturelle oder religiöse Hintergründe der Bewohner_innen genommen wird. Diese Form der Unterbringung führt unter anderem zu Depressionen, Apathie oder Retraumatisierung. 400 Menschen müssen momentan in dieser Stadt unter diesen Bedingungen leben – und das teils schon jahrelang, ohne Perspektive auf Verbesserung.

Zusätzlich zu dieser Politik leiden Heimbewohner_innen unter den Ressentiments und Vorurteilen eines großen Teils der Bevölkerung – bzw. ganz konkret der Anwohner_innen. Angebliche Sicherheitsbedenken, Lärmbelästigung oder die Kriminalisierung der Bewohner_innen sind aus Protesten gegen die Eröffnung von Heimen bekannt [2] und eine direkte Folge der jahrzehntelangen Stigmatisierung der Betroffenen.

Wir fordern eine Unterbringung in eigenen Wohnungen, die sich nach den individuellen Bedürfnissen der Menschen richtet. Wir fordern konkrete Maßnahmen zum Abbau der vorhandenen Ressentiments und Vorurteile. Dazu würde nicht nur nicht nur rassismuskritische Aufklärung der Anwohner_innen zählen, sondern ebenso die Auseinandersetzung mit Rassismus in den Behörden selbst.

Die Heimunterbringung stellt aber nur einen Punkt der vielfältigen diskriminierenden Maßnahmen dar, die Asylsuchenden auferlegt werden:
Die zur Flucht gezwungenen Menschen unterliegen Arbeitsverboten [3]. Sie werden durch die Residenzpflicht [4] in ihrem Recht auf Bewegungsfreiheit eingeschränkt, was es so in keinem anderen europäischen Staat gibt. Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) schreibt unter anderem die Sozialleistungen für Asylbewerber_innen und Geduldete vor. Diese, seit 1993 nicht mehr erhöhten Leistungssätze, liegen um 35 % unter dem gesetzlichen „Existenzminimum“. Sie sind daher nicht mit dem Grundgesetz vereinbar [5]. Im AsylbLG sind zudem das Sachleistungsprinzip und das Gutscheinsystem festgeschrieben. Das Sachleistungsprinzip bedeutet, dass den Asylsuchenden Lebensmittelpakete zugeteilt werden, von denen sie sich ernähren müssen. Sie bekommen Gutscheine, welche sie nur in vorher festgelegten Geschäften einlösen können. Zusätzlich wird Flüchtlingen nur eingeschränkter Zugang zu medizinischer Versorgung gewährt. Traumata, Depressionen oder auch physische, z.B. innere Verletzungen, die Langzeitschäden verursachen und tödlich sein können, werden nicht oder viel zu spät behandelt, weil über Anträge auf Behandlung, die vor jedem Ärzt_innenbesuch verpflichtend gestellt werden müssen, Sachbearbeiter_innen entscheiden, die meistens keine medizinischen Kenntnisse haben.

Wir fordern die bundesweite Aufhebung der Residenzpflicht für Asylsuchende.
Wir fordern die Abschaffung des Gutscheinsystems und des Asylbewerberleistungsgesetzes. Medizinische Versorgung und soziale Betreuung nach den individuellen Bedürfnissen der Menschen müssen gewährleistet werden und dürfen nicht von der Willkür einzelner Sachbearbeiter_innen abhängen.

Wir demonstrieren heute aber auch gegen das deutsche Abschiebesystem. In Sachsen trifft dies insbesondere Sinti und Roma, die in Länder abgeschoben werden, in denen sie verfolgt werden und keinen Minderheitenschutz genießen. Sie haben dort nicht nur einen eingeschränkten Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung, sondern sind auch Obdachlosigkeit ausgesetzt und werden von den staatlichen Behörden nur unzureichend vor den alltäglichen rassistischen Übergriffen geschützt [6].

Wir fordern von der sächsischen Regierung, die menschenverachtende Abschiebepraxis endlich zu stoppen.

Uns ist bewusst, dass die Ursachen für Diskriminierung, Flucht und Vertreibung weltweit letzten Endes systembedingt sind. Die Forderung nach Bewegungsfreiheit und Gleichbehandlung aller Menschen schließt für uns somit die generelle Forderung nach einer anderen Grundlage des Zusammenlebens mit ein. Damit Menschen sich frei in der Welt bewegen können, müssen die kapitalistischen Verhältnisse emanzipatorisch
überwunden werden.

Konkrete Verbesserungen der Lebenssituation von Asylsuchenden sind allerdings sofort nötig – und sofort möglich. Ein Anfang könnte sein, sie in Wohnungen statt Heimen unterzubringen; ein nächster Schritt, Asylsuchende nicht als störende Verwaltungsvorgänge, sondern als Menschen zu betrachten, die Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben haben.

Ein Leben in Würde ist Menschenrecht. Kein Mensch ist illegal.

Fußnoten:

[1] „Merkmale [eines] Lagers sind Enge und fehlende Privatsphäre im Innern, räumliche und soziale Isolation nach außen, mehr oder weniger strenge Kontrollen, fehlende Selbstbestimmung und Entmündigung im Alltag, ein Mangel
an sinnvollen Betätigungsmöglichkeiten vor dem Hintergrung einer fehlenden Integrationsperspektiven.“ (aus: ausgeLAGERt – Zur Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland, 2011, S. 4, abrufbar: http://www.proasyl.de/fileadmin/proasyl/fm_redakteure/Broschueren_pdf/AusgeLAGERt.pdf)
[2] Jüngste Beispiele aus Sachsen sind aktuell Leipzig, Pirna (2011) und Kamenz (2010)
[3] Gemäßt Art 4 Abs. 2 AufenthG bedarf es zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit eines Aufenthaltstitels. Zuständig für die Entscheidung über die Erteilung eines Aufenthaltstitels sind die Ausländerbehörden und die deutschen Auslandsvertretungen. Das seit 1997 bestehende Arbeitsverbot für Asylsuchende wurde von der damaligen christlich-liberalen Regierung eingeführt. Begründet wurde dieser Schritt mit der hohen Arbeitslosigkeitsrate und verminderten Zumutbarkeitskriterien für die Annahme von Hilfsarbeiten.
[4] §§ 56, 85 AsylVerfG
[5] Stellungnahme des Berliner Flüchtlingsrates zur Verfassungsmäßigkeit des AsylbLG im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages am 07.02.2011, abrufbar unter http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/asylblg/Classen_AsylbLG_Verfassung.pdf; Anhörung zum AsylbLG im Bundestag am 07.02.2011, abrufbar unter http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_neue_meldungen.php?sid=521
[6] Rein rechtlich gäbe es mit § 60a AufenthG durchaus die Möglichkeit, in diesen Fällen einen Abschiebestopp zu beschließen. Und das Land NRW hat es vorgemacht: http://www.derwesten.de/politik/nrw-innenminister-stoppt-roma-abschiebung-in-den-kosovo-id6142234.html

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