Weltoffen und tolerant, kein Platz für Nazis … mit derartigen Slogans wird sich auch in Leipzig zu gern geschmückt. Doch immer wieder ereignen sich Dinge, die an diesem proklamierten Selbstverständnis rütteln. So im Fall des jüngst medial reflektierten Falles rassistischer Behandlung von zwei Fahrgästen mit Migrationshintergrund durch KontrolleurInnen der LVB.
Auch der Blick in die Kommentarspalten der Leipziger Volkszeitung, die Rückschau auf die Proteste von BürgerInnen gegen die Etablierung von Unterkünften von Asylsuchenden in verschiedenen Leipziger Stadtteilen oder der Befund rassistischer Einlasskontrollen in zahlreichen Leipziger Clubs und Diskotheken dürfte schnell klar machen, dass rassistische Denkweisen ein Problem der Leipziger Stadtgesellschaft und nicht vermeintlicher Randgruppen sind. Auf die Verbreitung (alltags-)rassistischer Muster weisen regelmäßig sozialwissenschaftliche Studien wie die von Elmar Brähler/ Oliver Decker oder Wilhelm Heitmeyer hin. Die Befunde ändern sich seit Jahren nicht wesentlich. Noch in diesem Jahr wird durch die Stadt eine eigene Untersuchung beauftragt werden, die entsprechende Einstellungen für den lokalen Raum erfassen soll.
In die Tiefe…
Mark Terkessidis beschreibt Rassismus als Apparat, der durch Rassifizierung (die Konstruktion einer bestimmten Gruppe von Menschen auf bestimmte, „natürliche“ Eigenschaften und die Ableitung eines Gegensatzes zur eigenen Gruppe, der als Norm begriffen wird), Ausgrenzung (der Ausschluss von der Teilhabe an gesellschaftlichen Ressourcen) und differenzierende Macht (das Vermögen der dominierenden Gruppe eine andere sichtbar zu machen und zu unterdrücken) konstituiert wird. Die rassistische Durchdringung der Gesellschaft basiert auf einem hegemonialen „rassistischen Wissen“. Rassismus sei demnach kein „Irrtum“ oder „Vorurteil“, keine Abweichung, sondern Teil der Norm, sprich des gesellschaftlichen Wertesystems.
Es ist nur folgerichtig, dass dieses rassistische Wissen auch in Institutionen eingeschrieben ist. Es wird durch sie maßgeblich reproduziert, ob bewusst oder unbewusst.
… zur Oberfläche
Auch die LVB ist an bestimmte gesellschaftliche Standards gebunden, die im Grundgesetz festgeschrieben, vor allem aber durch das 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) institutionell verankert wurden.
Entsprechende Grundsätze werden den FahrausweisprüferInnen in einer Verfahrensanweisung auf den Weg gegeben: „Alle Gäste sind vorurteilsfrei und gleich zu behandeln. Unabhängig von Alter, Aussehen, Hautfarbe und Nationalität sind die Fahrgäste durch den FAP in Ton und Verhalten in gleicher Weise zu behandeln. Jeder Fahrgast ist mit „Sie“ anzusprechen (Kinder ausgenommen)! Mit Fahrgästen, die die deutsche Sprache nicht oder nicht korrekt beherrschen, ist weiterhin in langsamem und ruhigem Hochdeutsch zu sprechen …“
In der Antwort zur EinwohnerInnenanfrage wird zudem auf die „deutliche und öffentliche Ablehnung von Rassismus“ durch die LVB, z.B. mit der so genannten Courage-Bahn oder interkulturelle Weiterbildungen von FahrerInnen hingewiesen.
…zum Problem
Zwischen einem antirassistischen Außenbild und einer nicht-rassistischen Praxis besteht ein Unterschied. Unter diesem Blickwinkel habe ich die Antworten auf Einwohner- und Stadtratsanfragen bezüglich diskriminierenden bzw. gewalttätigen Agierens der KontrolleurInnen der LVB kritisch gelesen.
In meiner Stadtratsanfrage (download als pdf) wollte ich wissen, wie viele Beschwerden wegen rassistischen oder anderen herabwürdigenden Verhaltens durch FahrausweisprüferInnen bzw. wegen Benachteiligung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz es in den Jahren 2011, 2012 und im laufenden Jahr 2013 gab. „Bei weiter Auslegung“, so die Antwort, seien in den vergangenen anderthalb Jahren „zirka 100 Anmerkungen oder Beschwerden zum Verhalten von Fahrausweisprüfpersonal der mit der Fahrausweisprüfung beauftragten LVB-Tochtergesellschaft LSB registriert, die … ein Diskriminierungsmerkmal nach dem AGG betreffen oder tangieren könnten. “ Lediglich fünf davon würden rassistische Diskriminierung betreffen.
Bei drei Fällen davon sei – so der Tenor der Antwort auf die EinwohnerInnenanfrage (download als pdf) – die Anzeige rassistischer Diskriminierung vorgeschoben gewesen, da eigentlich der fehlende Fahrschein der Anzeigenden das Motiv für die Beschwerde gewesen sei. Ein weiterer Fall wäre ein „unspezifischer Facebook-Eintrag“ gewesen und der fünfte der aktuelle Fall des Herrn Begand. Jener hatte interveniert als zwei Fahrgäste mit Migrationshintergrund durch zwei KontrolleurInnen rassistisch behandelt wurden und war dann selbst in eine Auseinandersetzung mit den FahrausweisprüferInnen geraten. Die LVB weist entschieden zurück, dass es zu Gewalt durch die KontrolleurInnen gekommen wäre und ebenso dass rassistische Behandlung ein wiederholtes Problem darstelle. Die Auseinandersetzung mit dem Vorwurf rassistischen Verhaltens durch die FahrausweisprüferInnen kommt dabei seitens der LVB unter die Räder.
Nur fünf Beschwerden in zweieinhalb Jahren und eigentlich keine davon berechtigt?
Es stellt sich die Frage wie und durch wen bei der LVB darüber gerichtet wird ob eine Beschwerde wegen rassistischer Behandlung berechtigt ist oder nicht?
Theorie und Praxis
Mit der Rassismus-Definition von Mark Terkessidis lässt sich herausarbeiten, dass wir als Weiße Rassismus selbst reproduzieren. Dies gilt für mich genauso wie für FahrausweisprüferInnen oder die Führungsetage der LVB.
Ein wichtiger Schritt um sich der eigenen weißen Privilegien bewusst zu werden, zu reflektieren und kleine Veränderungen herbeizuführen sind beispielsweise Fortbildungen für nicht-rassistisches und -diskriminierendes Verhalten. Hier allerdings tut sich bei der LVB eine Leerstelle auf (siehe Antwort auf die Stadtratsanfrage). Damit ist das Unternehmen kein Einzelfall. Ich hatte an anderer Stelle bereits darauf hingewiesen, dass z.B. auch in der Leipziger Stadtverwaltung entsprechende Fortbildungen mangels Teilnahme eingestellt wurden.
Nachdem Antidiskriminierungsbüro und StudentInnenrat der Uni Leipzig zuletzt im Jahr 2011 sechs von elf getesteten Leipziger Clubs und Diskotheken rassistische Einlaßkontrollen bescheinigten, wurden Vorschläge zur Veränderung dieser Praxis gemacht, die zum Teil auch im hier reflektierten Fall (LVB) oder bei anderen Institutionen und Unternehmen gangbar wären: ein geregeltes Verfahren für Beschwerden wegen Diskriminierung, Weiterbildungen um einen sensiblen Umgang mit Rassismus und Diskriminierung zu befördern und möglicherweise auch die Zusammenarbeit mit einer unabhängigen Beratungsstelle, die bei konkreten Beschwerden vermittelnd wirkt. (siehe Aufruf „Eintritt für alle – 5 Schritte“ download als pdf)
Wohlgemerkt bedarf es keiner krassen, möglicherweise gewaltvollen, diskriminierenden Vorfälle um einen solchen Weg zu beschreiten. Ein (kommunales) Unternehmen sollte negativ von Rassismus Betroffene ermutigen, ihre Erfahrungen aufzuzeigen und diese dann auch ernst nehmen und bearbeiten. Voraussetzung dafür ist – mit Mark Terkessidis gesprochen – sich bewusst zu machen, selbst Bestandteil des „rassistischen Apparates“ zu sein. Dabei geht es nicht darum, die nicht-weißen als per se „gute“ und die Mehrheitsgruppe als „böse“ zu stilisieren, sondern darum die die institutionellen Mechanismen und Wissensbestände zu thematisieren, die rassistische Diskriminierung hervorbringen.
Also da darf ich energisch widersprechen. Am 10.05.12 beschwerte ich mich bei den LVB über einen Fahrer, der mich mit voller Absicht zur Bahn rennen sah und mich dann mit voller Absicht stehen ließ. Ich habe natürlich nicht erahnen können, ob der Fahrer grundsätzlich ein Arschloch ist, oder ob er seine Macht aus rassistischen Motiven hat spielen lassen, weil er Rassist ist. Ich habe die Frage, selbstverständlich netter, den LVB gestellt. In der Antwort, die wie bei den LVB üblich 14 Tage auf sich warten ließ, war von meinem Verdacht keine Rede mehr. Meine Anfrage hätte aber mitgezählt werden müssen.
Grundsätzlich habe ich die Erfahrung gemacht, dass Unternehmen, die mit Rassismus konfrontiert werden, eben jenen grundsätzlich abstreiten. Ich habe daher aufgehört, mich zu beschweren, wenn z.B. Fahrkartenkontrolleure oder Fahrer die Ausweise von Nichtweißen ganz genau kontrollieren, die von Durchschnittsweißen aber nicht; oder wenn ein LVB-Fahrer, kaum dass er sieht, dass ich als Schwarzer ebenfalls Schutz im Unterstand einer Haltestelle suche, sich dafür entscheidet, sich lieber in den Regen zu stellen.
Der Bahn ohne Erfolg hinterher rennen zu dürfen ist kein Privileg der „nicht-weißen“. Mein Sohn hat bereits mehrfach versucht der Bahn hinterher zu rennen, und ist gescheitert. Vermutlich hatte der Fahrer einen schweeren Hass auf kleine Menschen, oder er musste seinen Fahrplan einhalten… Ich bin mir nicht sicher.