Soli-Besetzung in Ústí nad Labem (CZ) – Diskriminierung von Roma auf allen Ebenen abschaffen!

Am 31.1.2013 haben etwa Hundert Leute im Zuge einer Solidaritätsaktion ein Wohnheim in Ústí nad Labem besetzt. Hintergrund ist die Kündigung der MieterInnen durch die private Eigentümerin, der Firma CPI. Das Leben im Wohnheim selbst war Konsequenz der notgedrungenen Evakuierung mehrerer Roma-Familien aus ihrem Quartier.  Während die Stadt in beiden Fällen de facto unttätig blieb, haben zivilgesellschaftliche Akteure nun Lösungen gefunden. Es bedarf Spenden, aber auch der grundsätzlichen Veränderung der unhaltbaren Wohnsituation von Roma in Tschechien und anderswo

Im besetzten Heim im Stadtteil Krásné Březno wohn(t)en auch sieben Roma-Familien (36 Personen, darunter 27 Minderjährige), die im November 2012 ihr einsturzgefährdetes Haus in der Straße Beneš Lounský im Stadtteil Předlice verlassen mussten.
Předlice ist ein Stadtviertel der Kreisstadt Ústí nad Labem, das sich wiederum in die Gebiete Nové und Staré Předlice einteilen lässt, wobei ersteres laut offiziellen Angaben heute zu fast 100% von Roma bewohnt wird. Viele Häuser in Předlice sind bereits seit Jahren dem Verfall preisgegeben und zahlreiche bereits unbewohnbar. Die Bewohner müssen zum Teil ohne Strom auskommen. An die 30 Häuser sind ebenfalls einsturzgefährdet, weswegen deren EinwohnerInnen ein ähnliches Schicksal wie den oben erwähnten 36 Personen droht.
Nach der Evakuierung wurde den Familien verschiedene „Alternativ“-Angebote unterbreitet, die sie aber aus diversen Gründen – zu kleine Wohnungen oder getrennte Unterbringung der Familien in unterschiedlichen Stadtvierteln – ablehnten.

Die Stadtverwaltung quartierte sie dann erst für ein paar Tage in der Turnhalle der Grundschule von Předlice ein, seit Dezember dann in dem privaten Wohnheim im Stadtteil Krásné Březno.
Die Situation in der neuen Unterkunft war alles andere als zufriedenstellend. Laut Aussagen der BewohnerInnen ist die Miete drei Mal höher als für vergleichbare Wohnungen im selben Viertel, die Eigentümerin war nach eigenen Aussagen zudem grundsätzlich nicht mit der Einquartierung einverstanden.Mit der Kündigung zum 31.1.2013 hat sie rigoros die Strom-Gas- und Wasserversorgung eingestellt.
Die Stadt und CPI bot den Familien Plätze in Wohnheimen in anderen Städten oder in Wohnungen, die nicht wirklich bewohnbar sind (dreckig, keine Strom/ Warmwasser-Anschlüsse etc) an.
Nach drei Tagen Besetzung ist es der Zivilgesellschaft gelungen Unterkünfte für die Betroffenen zu finden. Die Stadt hat ihre Verantwortung nicht wahrgenommen, wäre es nach ihr gegangen wären die Familien unwürdig in Obdachlosenheimen untergebracht worden.

Die nun gefundene Lösung für die konkret Betroffenen ist keine Lösung des Grundsatzproblems.

Im Stadttteil Předlice sind weiterhin 30 von Roma bewohnte Häuser einsturzgefährdet. Ihnen droht ein ähnliches Schicksal, was allein durch zivilgesellschaftliche Unterstützung kaum aufzufangen sein wird.

Ein Großteil der Roma in Tschechien wohnt unter katastrophalen Bedingungen. In zahlreichen Städten leben sie in Gettos, denen Infrastruktur und Anbindung ans gesellschaftliche Leben fehlt.
Obwohl sie tschechische StaatsbürgerInnen sind, werden sie z.B. zwangsweise in Obdachlosenheimen einquartiert.

Nach tschechischer Rechtslage gibt es keinen Anspruch auf soziales Wohnen, was aber essentiell wäre um der unhaltbaren Wohnsituation von Roma in ganz Tschechien entgegenzuwirken. Es gibt zahlreiche Fälle der Entmietung oder Fälle, in denen Abfindungen und Schuldenerlass geboten werden, wenn Roma Häuser in lukrativen Lagen verlassen. Die Endstation sind dann wiederum Wohngettos. Auch in dieser Situation gelingt es VermieterInnen zu profitieren indem sie überteuerte Mieten fordern und/ oder direkt staatliches Wohngeld kassieren.

Bis 2013 erhält die Tschechische Republik von der EU insgesamt 200 Millionen Euro zur Verbesserung der Wohnbedingungen von Roma. Dies ist Teil der EU-Romastrategie, mit der die EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet werden, die Benachteiligung der Minderheit der Roma in den jeweiligen Ländern zu beheben (das heisst konkret: in den Bereichen Beschäftigung, Gesundheitsfürsorge sowie Zugang zu Wohnraum und öffentlichen Versorgungsnetzen soll die Situation der Roma an die der restlichen Bevölkerung angeglichen werden. In punkto Bildung ist der Anspruch formuliert, dass Roma-Kinder mindestens die Grundschule absolvieren sollen.) Ohne konkrete Verantwortlichkeiten oder eine verbindliche Kontrolle der Umsetzung der Roma-Strategie, insbesondere der dafür zur Verfügung gestellten Gelder, bleibt sie ein zahnloses Instrument.

Letztendlich ist die Verbesserung der Wohnsituation von Roma ein Mosaiksteinchen zur Abschaffung der umfassenden institutionellen und gesellschaftlichen Diskriminierung und Ausgrenzung von Roma, nicht nur in Tschechien. Der Blick muss unweigerlich auch nach Ungarn, Bulgarien, die Teilstaaten des ehemaligen Jugoslawien, Italien oder Deutschland gerichtet werden. Hierzulande macht der Innenminister Friedrich derzeit massivst Stimmung gegen Roma, die aus Serbien und Mazedonien flüchten. Wie Anfang der 1990er Jahre, als Asylunterkünfte brannten und Menschen zu Tode kamen, und das Grundrecht auf Asyl faktisch abgeschafft wurde. führt er das Wort des Asylmissbrauchs im Munde, schlug vor die beiden Staaten als „sichere Herkunftsstaaten“ zu deklarieren, was Asyl-Schnellverfahren und abgesenkte Sozialleistungen zurfolge hätte.

Roma brauchen praktische und ideelle Solidarität, in Tschechien, Deutschland und anderswo. Die Unterstützung, die von Räumung Betroffenen am Wochenende in Ústí nad Labem erhalten haben, ist genauso wichtig, wie Empowerment und Selbst-Organisation von Roma und die Einforderung grundlegender Rechte auf politischer Ebene.

Quellen/ Infos:

–  Czech initiative: Residential hotel tenants need rapid assistance (romea.cz, 2.2.2013)

Presseerklärung der Initiative Housing for All zu den Vorgängen in Usti (2.2.2013)

Zur Wohnsituation von Roma in Předlice (Ústí nad Labem) (ecoleusti.wordpress.com, Dezember 2012)

Von der EU-Roma Strategie ist in Nordtschechien nichts zu spüren (MdEP Cornelia Ernst, Oktober 2011)

Spenden für die Betroffenen in Ústí nad Labem (u.a. für Mietkautionen, Möbel …) über die NGO Konexe, die sich für die Belange von Roma engagiert:

o.s. Konexe
IBAN: CZ43 2010 0000 0025 0027 1703
BIC: FIOBCZPPXXX
Variable symbol: 3332013
Verwendungszweck: „dormitory“

2 Gedanken zu „Soli-Besetzung in Ústí nad Labem (CZ) – Diskriminierung von Roma auf allen Ebenen abschaffen!“

  1. In Předlice, einem Stadtteil von Ústí nad Labem, kam es heute (12.3.2013) zu einer Zusammenkunft von Vertreter_innen der Stadt, Anwohner_innen, Presse und Aktivist_innen von „Hass ist kein Lösung“. Dazu aufgerufen hatte letzte Woche Miroslav Brož (siehe dazu Beitrag http://ecoleusti.wordpress.com/2013/03/11/zuspitzung-p/ ) da bekannt wurde, dass die Stadt plant, ca. 20 weitere Häuser in diesem Stadtteil abzureißen, was wiederum den Auszug bzw. die Obdachlosigkeit der jetzigen Bewohner_innen bedeuten würde. Nachdem Brož folgende Forderungen vorgetragen hatte und als Handzettel verteilte, kam es zu einer Art offenem Gespräch zwischen Anwohner_innen und Vertreter_innen der Stadt.

    Forderungen:
    – Reinigung des öffentlichen Raums (freiwillig oder für eine geringe Entlohnung + benötigte Gerätschaften, Handschuhe, Container…)
    -Arbeitserlaubnisse für die Instandsetzung / Reparatur der Häuser sollten Leute aus Předlice und idealerweise aus den zu reparierenden Häusern selbst erhalten
    – zur-Verfügung-Stellung des Materials für die Reparatur der Häuser
    – Anschluss an das Internet
    – Reparatur der Straßen (ebenfalls eine Möglichkeit Leute aus Předlice anzustellen)

    In Folge dessen verlas zunächst eine Vertreter_in der Stadt fleißig die Position der Stadtoberen, in der unter anderem auch eine Statistik angeführt wurde, welche die Investitionen des letzten Jahres belegen sollte. Wie bereits am Sonntag letzter Woche berichteten Menschen aus Předlice über ihre teilweise sehr deprimierenden Erfahrungen im Alltag bzw. über die anhaltende Ablehnung, welche ihnen zuteil wird. Auch kritisierten sie die Stadt für den schändlichen Umgang mit ihnen und versuchten zu belegen, dass die Situation im Viertel nichts mit Ihnen als Gruppe zu tun habe.

    Folglich reagierten die weißen Mitmenschen mit reflexartiger Geschwindigkeit, dass die Zustände selbst verschuldet seien. „Warum liegt Müll auf der Straße, wenn dort die Mülltonnen stehen?“ Kleinweltlicher ließe sich kaum argumentieren, berichtete doch ein Rom von seinen Erfahrungen der Jobsuche bzw. der Ablehnung, die ihm dabei zuteil wurde. Ein Freund, der beim größten örtlichen Arbeitgeber Dreck und Säcker arbeitet, berichtete von einer freien Stelle. Als er jedoch beim Arbeitsamt nachfragte, hieß es plötzlich, es gäbe gar keine Stelle.

    Es ist wiederholt deprimierend festzustellen, dass offensichtlich keine Möglichkeiten bestehen an der Situation der Menschen vor Ort, welche in ruinösen Häusern leben etwas zu ändern. Solange sich in den Köpfen der Entscheidungsträger_innen vor Ort nichts ändert, können sich Betroffene totstrampeln und bemühen, wie sie wollen. Am Ende sind sie ohnehin wieder nur die „Unangepassten“, was allein durch die Tatsache, dass sie im Viertel XYZ wohnen belegt zu sein scheint. Der Fotograph einer der größten Tageszeitungen vor Ort machte sich indes gar nicht die Mühe, den Gesprächen der Anwohner_innnen und anderen Menschen zu folgen, sondern fotografierte lediglich das, was alle darunter verstehen, wenn mensch ins „Zigeunerghetto“ fährt: „Schmutz, kaputte Straßen, kleffende Hunde, Ansammlungen von POC vor Müllcontainern vor einer Kulisse der Zerstörung. Auf den Artikel der Vertreterin von Český rozhlas sind wir indes gespannt, machte sie sich doch die Mühe alles aufzuzeichnen und verfolgte gespannt das Szenario.

    So begrüßenswert solche Termine wie die heutigen sind, betrachten wir es als nicht zielführend, dass die Anwohner_innen mit derartigen Arbeiten wie in den Forderungen enthalten, betraut werden. Denn Empowerment bedeutet nicht, die Instandsetzung und Erhaltung der Infrastruktur eines Viertels in die Hände der Bewohner_innen zu geben. Hinterfragungswürdig ist des Weiteren – darauf sei hier nochmals hingewiesen – die Vergabe der staatlichen Mietzuschüsse. Warum zahlen die Verantwortlichen diese Gelder direkt auf das Konto der Eigentümer_innen, ohne dabei zumindest sicherzustellen, dass diese ihren Pflichten gegenüber den Bewohner_innen nachkommen?

    Gruppe Maulwurf – demnächst mehr bei ecoleusti.wordpress.com

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