Im August 2012 jähren sich die rassistischen Pogrome in Rostock-Lichtenhagen zum 20. Mal. Über mehrere Tage wütet ein rassistischer Mob aus „braven“ Deutschen und organisierten Neonazis gegen die Zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge und ein Wohnheim ehemaliger DDR-Vertragsarbeiter_innen aus Vietnam. Steine und Molotov Cocktails flogen – das es in diesen Tagen keine Toten gab, war pures Glück.
Der Staat ließ die Brandstifter gewähren. Zynisch nutzten die großen Volksparteien das Pogrom, um die lang diskutierte Änderung des Artikels 16 zu vollziehen. Kurz gesagt: Die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl.
Lichtenhagen ist nicht bloß die Verkettung von Ereignissen oder das Resultat einer rassistischen Debatte, sondern ein inszeniertes Fanal – ausgeführt vom Mob und ermöglicht durch strategische Absprachen der Verantwortlichen auf Lokal- und Bundesebene. Der Staat öffnete damals seine Schleusen nach rechts um die Verfassungsänderung zu bewirken. Die jährlichen 7.917 Abschiebungen aus Deutschland können darum von den Ereignissen 1992/1993 nicht losgelöst betrachtet werden.
Verschiedene antifaschistische und antirassistische Gruppen haben die Kampagne „Rassismus tötet“ gestartet, um an die Pogrome von Rostock, Hoyerswerda, Solingen, Mannheim .. zu erinnern, die Auswirkungen auf den staatlichen und gesellschaftlichen Umgang mit MigrantInnen und Kontinuitäten aufzuzeigen und aktuelle Kämpfe gegen rassistische Ausgrenzung und Diskriminierung zu unterstützen. „Erinnern heißt kämpfen“ so die Handlungsmaxime der Kampagne.
Auch in Leipzig ist „Rassismus tötet“ im Juni mit einer Kundgebung zum Thema Rassismus & Fußball gestartet, bei der auch an den Mord an Nuno Lourenco erinnert wurde, der 1998 nach einem Spiel der deutschen Fußball-WM von Nazis ermordet wurde. Außerdem gibt es eine thematische Filmreihe.
Zentral ist die Mobilisierung zur bundesweiten Demonstration „20 Jahre Pogrom von Rostock-Lichtenhagen. Wir vergessen nicht!“ (Bustickets gibts für 12,50 Euro im el libro, Bornaische Str. 3d).
Am 21.8. 19 Uhr lädt die Leipziger Kampagne zum Bild- und Film-Vortrag „Das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen. 20 Jahre danach.“ ins Interkulturelle Konversationscafe, Emilienstraße 17 ein.
Die Kampagne „Rassismus tötet“ wird auch über den August hinaus weiterlaufen, Gründe dafür Rassismus zu thematisieren und zu bekämpfen gibt es schließlich leider genügend. Ab September startet in Leipzig eine thematische Vortragsreihe und am 27.10.2012 wird in Leipzig die bundesweite Demonstration „Never forgive, never forget – rembering means fighting. Solidarität mit den Betroffenen des rechten und rassistischen Normalzustands“ stattfinden.
An dieser Stelle sei nachholend auch der Redebeitrag dokumentiert, der am 18.7. auf der antirassistischen Kundgebung des Initiativkreises Menschen.Würdig vor dem Neuen Rathaus gehalten wurde.
“Ein zweites Rostock wollen wir hier nicht.“ war in einem der zahlreichen Protestbriefe zu lesen, die sich gegen das Vorhaben der Stadt Leipzig Asylsuchende in kleinen Heimen in Wohngebieten dieser Stadt unterzubringen, richtete. Auch der Polizeipräsident und nun CDU-OBM Kandidat Horst Warzinsky sieht die konkrete Gefahr rechtsextremistischer Anschläge auf die geplanten dezentralen Asylbewerberunterkünfte.
20 Jahre nach den gewaltvollen rassistischen Übergriffen auf AsylbewerberInnenunterkünfte in Rostock nutzen also RassistInnen und PopulistInnen dieses Ereignis, das symbolisch für die lang geplante grundlegende Wende in der Asylpolitik der BRD steht, um Stimmung gegen eine minimal Verbesserung der Lebensbedingungen von Flüchtlingen zu machen.
Im August 1992 attackierten mehrere Tausend Nazis Hand in Hand mit BürgerInnen des Plattenbauviertels Rostock Lichtenhagen die dort gelegene Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber und ein GastarbeiterInnenwohnheim. Die Polizei schaute 4 Tage und Nächte lang mehr oder weniger zu bis das GastarbeiterInnenwohnheim schließlich brannte. Die darin lebenden Menschen konnten sich in Lebensangst und ohne dass Die Staatsgewalt irgendwelche Anstalten machen zu unterstützen, vor den Flammen retten.
Rostock-Lichtenhagen war ein Pogrom und Ergebnis staatlichen Handelns. Denn die offiziellen Stellen hatten die Situation zugespitzt. Die Menschen, die vor Krieg und Not aus ihren Herkunftsländern geflohen waren, wurden von den zuständigen Behörden abwiesen und sich selbst überlassen. Der daraus folgende Zwang auf der Strasse auszuharren, löste beim deutschen Mob nicht etwa Mitgefühl oder Solidaritaetsbewusstsein aus, sondern Rassismus in Wort und Tat. Im November lief es in Mölln in Schleswig Holstein nicht so glimpflich ab wie in Rostock. Dort kamen nach einem Anschlag auf zwei Häuser, in denen mehrere MigratInnen lebten, drei Menschen ums Leben.
Rostock und Mölln, Hoyerswerda oder Mannheim und die vielen anderen Orte, in denen Menschen verletzt und diskriminiert wurden, weil sich nicht in Deutschland geboren wurden oder nicht-deutsch aussahen, bewegten auch die offizielle Politik nicht dazu sich um den Schutz dieser Menschen zu bemühen. Die CDU brachte in dieser Situation ihre bereits seit 1988 erhobene Forderung nach der Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl in Stellung. Hatten sich SPD und FDP anfangs dagegen gewehrt, war Rostock der Dammbruch für deren Umorientierung, so dass im Dezember 1992 dann die Änderung des Grundgesetztes, Artikel 16, mit einer 2/3 Mehrheit durch den Bundestag ging. Diese Änderung bedeutet nicht etwa, dass so genannte Wirtschaftsflüchtlinge, die nach Ansicht des deutschen Volksmobs nur nach Deutschland kamen um die Sozialsysteme auszunutzen, keine Möglichkeit mehr hatten Asyl zu beanspruchen. Denn die Voraussetzung Asyl zu bekommen, war schon immer die politische Verfolgung. Die Änderung des Art 16 bedeutet, dass alle politisch Verfolgten, die durch einen sicheren Drittstaat nach Deutschland einreisen, kein Recht auf Asyl in Deutschland mehr haben. Dies ist besonders perfide, da Deutschland komplett von so genannten sicheren Drittstaaten umgeben wird. Eine legitime Einreise war und ist de facto also nur mit dem Flugzeug möglich. “Scharfsinnigerweise” umfasste die Grundgesetz-Änderung jedoch ebenfalls einen restriktiveren Umgang mit auf Flughäfen ankommenden Flüchtlingen.
Nicht zuletzt war der so genannte Asylkompromiss auch die Geburtsstunde des Asylbewerberleistungsgesetzes, eines Gesetzes, das Asylsuchende komplett deklassiert und abwertet. Mit der Abwehr von „Asylmissbrauch“, der wie erwähnt auch vor der Gesetzesänderung nicht möglich war, wurde die Existenzsicherung für Asylsuchende auf ein Minimum zurückgefahren – in aktuellen Bezugsgrössen ausgedrückt sind es 40 % des sowieso menschenunwürdigen ALG-2-Satzes – sowie das Sachleistungsprinzip und auch die Unterbringung in Massenunterkünften zementiert. Heute (18.7.) entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Vereinbarkeit dieses rassistischen Sondergesetzes mit den Grundrechten. Erwartbar ist nicht, dass es gekippt wird, maximal wird der Bund zur Neuberechnung der Regelsätze, die Anfang der 1990er allein zu Einsparungen bei den staatlichen Ausgaben führen sollte und jedem Bezug zur nachweisbaren Sicherung der Existenz entbehrte und entbehrt, verpflichtet werden. (Anmerkung: das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist inzwischen bekannt, doch auch wenn es den Weg in Richtung Angleichung der Sozialleistungen für Asylsuchende an Hartz-IV-Sätze weist, bleibt das rassistische Gesetz an sich bestehen)
Rostock Lichtenhagen ist und bleibt wirkungsmächtig. Im öffentlichen Bewußtsein allerdings weniger als Warnung davor was die Konsequenzen menschenverachtenden Denkens sein können, sondern als Symbol der Bedrohung der deutschen Ordnung und Sicherheit. Genauso argumentieren die Leute in Leipzig, in Sachsen und bundesweit, die sich mit aller Kraft gegen die Errichtung von Asylunterkünften in ihren Vierteln, Dörfern oder Städten engagieren. Diese Menschen machen mit ihrem unsäglichen Aktivitäten Flüchtlinge zur Ursache von Unsicherheit und Gewalt anstatt Nazis und Rassismus zu ächten. Das kotzt uns an. Und es kotzt uns ganz besonders an, dass BürgerInnen, Polizeipräsident und CDU die Erinnerung an die Progrome in Rostock für ihre im Grunde rassistische Stimmungsmache instrumentalisieren.
Gestern wie heute: Rassismus tötet. Durch Pogrome, Gesetzgebung, Abschiebungen und geistige Brandstiftung.
Ein Gedanke zu „Rassismus tötet – 20 Jahre nach den Pogromen von Rostock-Lichtenhagen“