Im August-Plenum des Sächsischen Landtags wurden der Jahresbericht des Sächsischen Ausländerbeauftragten und Teil 1 des von ihm vorgelegten Heim-TÜV diskutiert. Insbesondere den Heim-TÜV habe ich in meiner Rede kritisch betrachtet, denn er versucht bei der Untersuchung der Praxis der dezentralen Unterbringung und der Ausländerbehörden ohne die Perspektive der Betroffenen, der Migrant*innen und Geflüchteten auszukommen.
Anrede
Wir blicken darin zurück auf das Jahr 2016, das Jahr nach dem „Summer of migration“. Das Jahr, in dem die Zahl geflüchteter Menschen rapide zurückging. Von 890.000 in 2015 auf nur noch 280.000 in 2016. Und ich sage bewusst nur: Denn die Zahl der internationalen Konflikte, die das Leben von Menschen ernsthaft bedrohen, wächst. Von 67 Millionen weltweit flüchtenden Menschen kommt nur etwa 3 % Europa! Es ist zynisch, wenn vor diesem Hintergrund im Vorwort des uns vorliegenden Berichts vom Ausländerbeauftragten, also DEM ersten Ansprechpartner von Migrantinnen und Migranten in Sachsen, Erleichterung hinsichtlich sinkender Zahlen flüchtender Menschen in der Bundesrepublik gezeigt wird.
Denn: Unsere Verantwortung endet nicht an den Grenzen des Freistaats.
Schauen wir uns weiter den vorliegenden Jahresbericht an: Ganz richtig wird darin konstatiert, dass nach Aufnahme und Unterbringung die Fragen von Integration und Teilhabe in den Vordergrund gerückt sind und uns auch weiter beschäftigen werden. Ja, wir können davon ausgehen, dass wir vor einer dauerhaften Aufgabe stehen, die auch für uns, die Hier-Geborenen, Veränderung bedeutet und Veränderung von uns verlangt. Integration ist kein krönender Abschluss von Migration, sondern Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe.
Einige Bereiche spricht der Bericht, auch kritisch, an: fehlende Perspektiven für volljährig gewordene Geflüchtete ohne Schulabschluss, zum Beispiel. Ein Thema, was noch immer ungelöst daliegt, seit diese Staatsregierung die Schließung der Berufsschulen für diese Personengruppe durchgesetzt hat. Oder die überlasteten Migrationsberatungsstellen, bei denen der Bund eine Anpassung der Förderung an den gewachsenen Bedarf verweigert und auch auf Landesebene noch keine Maßnahmen zur Cofinanzierung ergriffen wurden. Oder die Frage von starken Strukturen für die psychosoziale Versorgung von Geflüchteten, die über die reine Beratung hinausgehen muss. Die Reihe an Herausforderungen ließe sich weiter. Hier könnte der Ausländerbeauftragte ruhig offensiv mit Vorschlägen und Empfehlungen hantieren. Und mit dem Integrationsministerium existiert ja ein engagierter und starker Partner mit offenen Ohren.
Zum Bericht selber kann ich für meine Fraktion sagen, dass wir durchaus sehen und würdigen, dass Kritiken, die am Vorjahresbericht geäußert wurden, nun aufgenommen sind. Ein bisschen mehr Lagebericht entsprechend des gesetzlichen Auftrags des Sächsischen Ausländerbeauftragten und weniger Rechenschaftsbericht würden wir uns wünschen.
Womit ich zur zweiten vorliegenden Unterrichtung komme: Dem Heim-TÜV.
Lange haben wir auf ihn gewartet. Denn mit dem Heim-TÜV hatte Martin Gillo, der vorige Ausländerbeauftragte, ein wichtiges Instrument geschaffen um, wie er selbst sagte, „Menschenwürde messbar zu machen“. Und wir wissen, dass der Gillo ’sche Heim-TÜV den Finger in viele Wunden legte, Missstände in Gemeinschaftsunterkünften sichtbar machte und damit die Grundlage dafür schuf, diese auch zu verändern. Wir haben nicht nur einmal gefordert, die in den vorherigen Heim-TÜVs für eine gute Unterbringung von Geflüchteten definierten Faktoren zu rechtlich verbindlichen Standards zu machen.
Denn: Wir reden eben nicht über eine gesichtslose Menge an Zahlen, die irgendwie untergebracht werden muss, sondern wir sprechen über Menschen.
Genau die Perspektive dieser Menschen fehlt in dem uns hier vorliegenden Heim-TÜV. Begründet wird dies mit mangelnder Repräsentativität und der Privatsphäre der Betroffenen. Mir scheint eher, dass die Einbeziehung der Perspektive der Menschen, die in den untersuchten Unterkünften wohnen und die die Klientinnen und Klienten der Ausländerbehörden sind, politisch nicht gewollt war. Wenn es gewollt worden wäre, hätte es sicher ein reichhaltiges sozialwissenschaftliches Methodensetting gegeben, ihre Perspektive abzubilden.
In der Form, wie wir also den Unterbringungs- und Behörden-TÜV vorliegen haben, ist er wenig brauchbar. Er stellt sich vielmehr als methodisches Stückwerk und reine behördenfixierte Bestandsaufnahme dar.
Der erste Teil des Heim-TÜVs widmet sich der dezentralen Unterbringung. Ganz richtig wird anfangs konstatiert, dass es keine verbindliche Definition und keine Vorgaben dafür gibt, was dezentrales Wohnen eigentlich ist. Folgerichtig wenden die Landkreise und Kreisfreien Städte dies nach Gutdünken an. Für manche bedeutet DZU, dass durch die öffentliche Hand Wohnungen angemietet werden, in die Geflüchtete dann nach § 53 Asylgesetz zugewiesen werden. Für andere sind sogar Gemeinschaftsunterkünfte mit abschließbaren Wohneinheiten dezentrale Unterbringung. Wir bevorzugen selbst die Definition der Stadt Leipzig, für die dezentrales Wohnen „das selbstbestimmte, im Familienzusammenhang oder in freiwilligen Wohngemeinschaften gelebte Wohnen in einer in der Regel selbstgewählten Wohnung“ bedeutet. Präferenzen hin oder her: Der TÜV leistet nicht einmal die Basisarbeit einer Übersicht über die verschiedenen Definitionen und Praxen der dezentralen Unterbringung in Sachsen.
Zu weiteren Einzelaspekten:
Im Heim-TÜV wird als eine best-practise-Form die so genannte Wohnfähigkeitsprüfung angepriesen. Menschen, die in ihren Herkunftsländern in ihren eigenen vier Wänden ein ganz normales Leben geführt haben, werden mit dieser Prüfung zu unmündigen Statisten gemacht, die nachweisen müssen ob sie „Wohnen“ können, indem geprüft wird ob sie gesellschaftliche „Normen“, wie das Trennen von Müll, beherrschen oder über ausreichend Sprachkenntnisse verfügen. Jenseits der Frage ob hier geborene Menschen die Anforderungen dieser Prüfung erfüllen können, um in den Genuss des Wohnens in einer eigenen Wohnung zu kommen, verstößt die Wohnfähigkeitsprüfung gegen deutsches und europäisches Recht. Zu diesem Ergebnis kam ein Rechtsgutachten in Bezug auf die Praxis der Stadt Potsdam. Aktuell liegt ein solches Gutachten, beauftragt unter anderem vom Antidiskriminierungsbüro Sachsen, auch für die der Stadt Leipzig vor. Mit der Wohnfähigkeitsprüfung wird geflüchteten Menschen abgesprochen, dass sie in der Lage sind, ihr Leben zu meistern. Allein der Aufenthaltsstatus wird zur Rechtfertigungsgrundlage für eine Ungleichbehandlung. Aus Verwaltungssicht mag dieses Instrument ein effektives sein um die „Unterzubringenden“ zu kategorisieren und zu kontrollieren, aus grundrechtlicher Sicht ist es mehr als fragwürdig.
Der rein ordungspolitische, paternalistische Blick zeigt sich an nicht wenigen Stellen im vorliegenden Heim TÜV auch am Sprachgebrauch und an ressentimentsgeladenen Bildern von den betroffenen Menschen, die unwidersprochen bleiben. Zum Beispiel behaupten VerwaltungsmitarbeiterInnen eine „überzogene Erwartungshaltung gegenüber der Aufnahmegesellschaft“ (Seite 10). Welche Erwartungen die sehr heterogene Gruppe der Geflüchteten wirklich hat, wird nicht transparent gemacht. Weiter heißt es auf Seite 11, dass „private Vermieter Vorbehalte gegen Vermietung an Flüchtlinge“ hätten. Das mag stimmen. Dass die VerfasserInnen des TÜVs allerdings im nächsten Satz Partei für diese Position ergreifen und schreiben „manchmal sind diese nicht von der Hand zu weisen“, lässt an der eingangs proklamierten Objektivität stark zweifeln.
Kommen wir noch kurz Check der unteren Ausländerbehörden im 2. Teil des Heim-TÜV. Wenngleich ein Blick auf diese so zentralen Behördenstrukturen zu begrüßen ist, ist offensichtlich, dass viele Probleme, die von Migrantinnen und Migranten und Unterstützungsstrukturen in Bezug auf die Ausländerbehörden immer wieder geschildert werden, keinen Eingang in den TÜV gefunden haben. Stattdessen wird im TÜV bekundet, dass die Serviceorientierung in den Ausländerbehörden „fester Bestandteil des Handelns der Behördenmitarbeiter“ sei. Gerade in Bezug auf die proaktive Beratung über die Erlangung von Aufenthaltstiteln, zum Beispiel nach den §§ 25a und b Aufenthaltsgesetz, melde ich hier großen Zweifel an. Nichts desto trotz finden sich im Bericht einige sinnvolle Handlungsempfehlungen, von denen man meint, dass sie eigentlich längst common sense sein sollten: wie mehrsprachige Aushänge und Internetseiten, interkulturelle Kompetenzen bei den BehördenmitarbeiterInnen sowie entsprechende regelmäßige Fortbildungen.
Summa summarum: Wir nehmen Bericht und Heim TÜV heute zur Kenntnis und wünschen uns auch dieses Mal für die Zukunft mehr Parteilichkeit für Migrantinnen und Migranten und weniger für die Regierung, wie es von einem Ausländerbeauftragten eigentlich zu erwarten wäre. Frei nach der Prämisse des Berichtes aus 2011 (Gillo): Erst die Menschenwürde, dann die Ordnungspolitik!
Rede im Plenum des Sächsischen Landtages am 30. August zu:
Drs 6/9724 Jahresbericht 2016: Unterrichtung durch den Sächsischen Ausländerbeauftragten
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