Wir haben das außerparlamentarische Engagement um die Sichtbarmachung von Orten der Zwangsarbeit in Leipzig und insbesondere der gegenwärtigen Nutzung des ehemaligen Zwangsarbeiterinnenlagers in der Kamenzer Straße 10/ 12 im Leipziger Nordosten in den Stadtrat getragen. Hier meine Rede zum Antrag der Linksfraktion „Entwicklung eines Konzeptes zum Gedenken an die Opfer und Orte von Zwangsarbeit im Nationalsozialismus in Leipzig“ in der Ratsversammlung am 28. Mai 2020:
Ich beginne mit einem Zitat:
„Vor Ihnen steht eine Frau, welcher der Faschismus und der Krieg 3 Jahre der Jugend und die Gesundheit geraubt haben. In diesen Jahren war ich mit meinen Kameradinnen im Warschauer Gefängnis Pawiak und später in den Konzentrationslagern Majdanek, Ravensbrück und Buchenwald und auch hier im Außenlager Schönefeld.“
So sagte es Danuta Brzosko-Mędryk bei einem Gedenktag 1988 auf dem damaligen Karl-Marx-Platz, heute Augustusplatz in Leipzig. Sie war eine der Überlebenden des Terrors der Nationalsozialisten, der seine Spuren auch in Leipzig hinterließ.
Danuta Brzosko-Mędryk war eine von 5000 Frau und Mädchen, die zwischen Juni 1944 und April 1945 im größten Frauenaußenlager des Konzentrationslagers Buchenwald in Schönefeld Panzerfäuste für den Leipziger Rüstungsbetrieb HASAG produzieren mussten.
Die meisten inhaftierten Frauen & Mädchen waren in einem ehemaligen Fabrikgebäude nahe des Betriebsgeländes untergebracht. Dieses Gebäude ist heute noch erhalten, es handelt sich um die Kamenzer Straße 12 im Nordosten der Stadt.
Die Häftlinge, die meisten von ihnen “politische” und “jüdische” Polinnen, mussten jeden Tag 12 Stunden unter schwersten Bedingungen, auch nachts, Zwangsarbeit leisten. Hunger, Krankheiten, Erschöpfung, Gewalt und regelmäßige Selektionen prägten den Lageralltag. Danuta gehörte zu denen, die auch unter den widrigen Bedingungen Widerstand organisierte, sie beteiligte sich an Sabotage-Aktionen und an der Organisation von Kultur und Bildung für ihre Mitgefangenen auch nach dem harten Arbeitstag.
Etwa 500 Orte der Zwangsarbeit finden sich in Leipzig: es handelt sich um Lager, Arbeitsorte, Unterkünfte, wo zwischen 1939 und 1945 60.000 Frauen und Männer, Mädchen und Jungen aus allen Teilen Europas zur Arbeit gezwungen wurden oder hausen mussten. Unter anderem eben in besagter Kamenzer Straße.
Die Vergangenheit der meisten dieser Orte nationalsozialistischer Verbrechen ist in Vergessenheit geraten.
Es sind immer wieder Einzelpersonen und Initiativen, die an dieses Kapitel deutscher Geschichte erinnern. So auch im Fall der Kamenzer Straße. Es war die Gruppe Gedenkmarsch, die im Mai 2009 in Gedenken an die Opfer der Todesmärsche 1945 eine Veranstaltung vor jenem Gebäude durchführte. Während der Rede der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejerano wurde die Veranstaltung gestört: Vom Besitzer des Gebäudekomplexes Kamenzer Straße 10/ 12. Ein Jahr später errichteten Engagierte des VVN/ BdA auf private Initiative vor Ort eine Gedenktafel. Diese wurde bis heute sechs Mal zerstört und jeweils wieder ersetzt, durch Spenden.
Was wir heute wissen ist, dass der Besitzer des Komplexes eine Neonazivergangenheit hat. Immer wieder fanden auf dem Areal Neonazikonzerte und -treffen statt, zuletzt wurde ein im Januar 2018 geplantes von der Polizei unterbunden. Doch was wir heute auch wissen ist, dass die Kamenzer Straße das Trainingszentrum des Imperium Fight Team beherbergt, ein Freefight-Team, das von einem Neonazi trainiert wird, der früher eng mit der Jugendorganisation der NPD verbändelt war, im extrem rechten Fanmilieu des 1. FC Lok Leipzig sozialisiert und aktiv ist und heute für eine rechtsnationalistische, rassistische Bürgerinitiative im Wurzner Stadtrat sitzt. Was wir wissen ist, dass drei seiner Spitzenkämpfer am neonazistischen Angriff in Leipzig-Connewitz im Januar 2011 beteiligt waren und einer der Neonazis, die auf Mallorca vor etwa einem Jahr eine Türsteher misshandelten, ebenfalls im Team trainierte.
Der sächsische Inlandsgeheimdienst stuft den Komplex Kamenzer Str 10/12 als „rechtsextrem genutzte Immobilie“ ein. Wir meinen: Dort ist ein Knotenpunkt in einem in Sachsen gut aufgestellten Netzwerk aus rechter Ideologie, Lifestyle und Gewaltbereitschaft.
Und das in einem ehemaligen Zwangsarbeiterinnenlager. Sie können sich sicher vorstellen wie das Gefühl Überlebender ist, die nach Leipzig kommen und den Ort ihrer Pein nicht nur nicht betreten können, sondern Gefahr laufen auf Menschen zu treffen, die den Nationalsozialismus mindestens verharmlosen.
Auch die historische Forschung wird durch die aktuelle Nutzung verhindert.
Die Maximalforderung müsste also eigentlich lauten den Besitzer der Kamenzer Straße zu enteignen und den Ort zu einem Gedenkort zu machen.
Doch dafür sind uns die Hände wohl gebunden.
Mit unserem Antrag wollen wir das, was antifaschistische Initiativen, gedenkpolitische Vereinigungen und Einzelpersonen in Bezug auf die Sichtbarmachung der Vergangenheit des Objektes als Zwangsarbeiterinnenlager in den letzten Jahren geleistet haben, würdigen und unterstützen.
Es soll durch die Stadt vor Ort eine Gedenktafel errichtet werden, gern sollen auch alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, das Objekt oder die historischen Teile davon unter Denkmalschutz zu stellen. Und auch die weiter reichende Aufarbeitung und Sichtbarmachung von Opfern und Orten der Zwangsarbeit in die Erarbeitung des Konzeptes Erinnerungskultur der Stadt Leipzig einzubeziehen, unter Beteiligung von wichtigen Akteuren wie der Gedenkstätte für Zwangsarbeit, halten wir für gut und richtig. Soweit haben wir den Verwaltungsstandpunkt in der Neufassung unseres Antrages übernommen.
Was wir für unabdingbar halten, ist allerdings, dass die Stadt Leipzig sich klar zur aktuellen Nutzung durch Neonazis positioniert, gerade im Zusammenhang mit der Vergangenheit des Komplexes.
Denn gerade hier gilt das, was Danuta Brzosko-Mędryk in ihrem unermüdlichen Engagement zur Aufarbeitung der Naziverbrechen und zum Gedenken an die Opfer immer wieder betonte: „UNSER SCHICKSAL SEI EUCH WARUNG UND NICHT LEGENDE.“