Normenkontrollklage gegen das Sächsische Versammlungsgesetz

Bereits Mitte August haben die Fraktionen Die LINKE, SPD und B90/Die Grünen im Sächsischen Landtag beim Sächsischen Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, das im Januar 2010 vom Sächsischen Landtag beschlossene Gesetz über die landesrechtliche Geltung des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) für nichtig zu erklären. Den Antrag stellte der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Ralf Poscher von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Welche Gründe die sächsischen Oppositionsparteien anführen und warum diese Klage notwendig ist, ist im folgenden nachzulesen.

Grundsätzliche Inhalte der Verfassungsklage (Quelle: Linksfraktion im Sächsischen Landtag, 17.8.2010)

I Das Gesetz ist in wesentlichen Punkten materiell verfassungswidrig:

Zentrale Eingriffsbefugnisse des Versammlungsgesetzes verstoßen gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Ferner verstoßen diese Eingriffsbefugnisse teilweise auch gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 20).

In beide Rechte darf zwar per Gesetz eingegriffen werden. Die im Versammlungsgesetz vorgesehenen Eingriffe sind allerdings ungerechtfertigt und damit verfassungswidrig:

Die Hürden für die allgemeine Ermächtigung, Versammlungen vorbeugend zu verbieten, sind zu niedrig (§ 15 Abs. 1 Satz 2 SächsVersG):

  1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Versammlungsrecht können Versammlungen nur unter hohen Hürden vorbeugend verboten werden. Das Sächsische Versammlungsgesetz stellt mit seinen schwammigen Formulierungen (eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung sei „zu besorgen“) zu niedrige Anforderungen an die Gefahrenprognose der Behörden.
  2. Die Eingriffsbefugnis für Versammlungen an besonderen Orten enthält unzulässiges Sonderrecht (§ 15 Abs. 2 SächsVersG):
    Das Recht auf Meinungsfreiheit darf gemäß Art. 5 Abs. 2 GG nur durch „allgemeine Gesetze“ – also solche, die nicht auf bestimmte Meinungsinhalte zielen – eingeschränkt werden. Das Sächsische Versammlungsgesetz zielt demgegenüber speziell auf die Möglichkeit des Verbots von Versammlungen, die die „nationalsozialistische“ oder „die kommunistische Gewaltherrschaft“ verharmlosen bzw. die Opfer dieser Gewaltherrschaften sowie jedweder Kriege in ihrer Würde verletzten. Damit handelt es sich um gegen bestimmte Meinungsinhalte gerichtetes Sonderrecht. Nach der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Gedenkveranstaltungen Rechtsextremer an Rudolf Hess in Wunsiedel ist ein solches Sonderrecht unter dem Grundgesetz aufgrund der Einmaligkeit der unter ihr begangenen Verbrechen lediglich in Bezug auf affirmative Äußerungen zur „nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ zu rechtfertigen.
  3. Die Eingriffsbefugnis für Versammlungen an besonderen Orten (§15 Abs. 2 SächsVersG) ist weitgehend ungeeignet, die Menschenwürde bzw. die Würde der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zu schützen:§ 15 Abs. 2 SächsVersG stellt auf den Würdeschutz von Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, der kommunistischen Gewaltherrschaft oder von Opfern eines Krieges ab. Der Schutz der persönlichen Ehre und Würde vermag Eingriffe in das Recht auf Meinungsfreiheit mit Blick auf den Würdeschutz jedoch nur dann zu rechtfertigen, wenn die persönliche Ehre und Würde einer abgrenzbaren Gruppe von Menschen verletzt wird. Anerkannt ist dies für „das mit normalen Maßstäben nicht zu erfassende Schicksal der Juden unter dem Nationalsozialismus“. Bei den Opfern kommunistischer Gewaltherrschaft und erst recht bei Opfern eines Krieges handelt es sich demgegenüber nicht um eine Personengruppe mit einer vergleichbar homogenen Identität sowie konkreten Persönlichkeitsmerkmalen, sodass nicht unterstellt werden kann, durch entsprechende Versammlungen drohe eine Verletzung der persönlichen Ehre und Würde der Mitglieder der betroffenen Gruppen.
    Dies gilt zumal angesichts des Umstandes, dass die im Gesetz benannten Orte keine Gedenkstätten sind. Weder die Dresdner Frauenkirche noch das Leipziger Völkerschlachtdenkmal und erst recht nicht die Dresdner Innenstadt sind dem kommunikativen Gemeingebrauch entzogene eigens dem Gedenken und Erinnern gewidmete Orte. Ein Bezug zur Menschenwürde der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft wird mithin auch nicht durch den Versammlungsort vermittelt.
  4. Die Eingriffsbefugnis des § 15 Abs. 2 SächsVersG für Versammlungen an besonderen Orten ist in Bezug auf die von der Regelung erfassten Versammlungsorte ferner zu unbestimmt:
    Die im Sächsischen Versammlungsgesetz benannten Orte Dresdner Frauenkirche, Leipziger Völkerschlachtdenkmal und Dresdner Innenstadt sind keine abschließende Aufzählung. Vielmehr soll den örtlichen Behörden ermöglicht werden, weitere Orte von historisch herausragender Bedeutung zu bestimmen, an welchen das Recht auf Versammlungsfreiheit gesondert eingeschränkt wird. Die im Gesetz dafür benannten Voraussetzungen sind aber so unbestimmt, dass das jeweilige Handeln der zuständigen Versammlungsbehörde bei der Bestimmung weiterer Orte kaum voraussehbar, berechenbar und messbar im Sinne des Bestimmtheitsgebots sein kann. Für den demonstrationswilligen Bürger wird letztlich nicht deutlich, wo er sein Recht auf Versammlungsfreiheit noch wahrnehmen kann und wo nicht. Damit verstößt die Regelung auch insoweit gegen den aus dem Rechtsstaatsgebot folgenden Bestimmtheitsgrundsatz.
  5. Die Eingriffsbefugnis des § 15 Abs. 2 SächsVersG für Versammlungen an besonderen Orten verstößt schließlich auch gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz:

Das Sächsische Versammlungsgesetz überlässt es den örtlichen Behörden ohne nähere Vorgaben, weitere Orte festzulegen, an denen von der Abhaltung einer Versammlung eine Gefahr für die Menschenwürde ausgehen soll. Dies verstößt gegen die sogenannte Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts, nach der der Gesetzgeber „im Bereich der Grundrechtsausübung – soweit diese staatlicher Regelung überhaupt zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen muss.“

II. Das Gesetz ist darüber hinaus formell verfassungswidrig, weil die Anforderungen an ein verfassungsmäßiges parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren missachtet worden sind:

Bei der Beratung und Verabschiedung im Sächsischen Landtag wurden nur einzelne Passagen des zu beschließenden Gesetzestextes vorgelegt. Das widerspricht dem rechtstaatlichen Grundsatz einer transparenten Gesetzgebung, der insbesondere bei Eingriffen in die Grund- und Menschenrechte einen als Stamm- oder Änderungsgesetz gefassten soliden Textvorschlag verlangt. Dass es dabei um mehr als ein nur „formalistisches“ Problem geht, zeigt sich etwa daran, dass das Versammlungsgesetz nunmehr eine Aufgabenzuweisung an den Bundesinnenminister enthält (§ 3 Abs. 2), was nicht nur unzulässig, sondern auch kaum gewollt sein dürfte.

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Mein Redebeitrag auf der Antirepressionsdemo „police partout, justice nulle part“ am 30.12.2009 in Leipzig

Den ordnungsplitischen Amoklauf der Staatsregierung stoppen! Hände weg vom Versammlungsrecht.

Im Oktober, zwei Wochen nach einer durch zivilgesellschaftliche Mobilisierung erfolgreich verhinderte Nazidemonstration in Leipzig, brachte die neue schwarz-gelbe Koalition in Sachsen einen Entwurf für die Veränderung des Versammlungsrechtes in die Öffentlichkeit.

Was unter der SPD-CDU- Vorgängerregierung lange auf Eis lag, soll nun auf die maßgebliche Initiative eines liberalen Innenministers hin, realisiert werden.

Die Versammlungsfreiheit ist eines der wichtigsten verfassten Mittel gemeinsamer öffentlicher Meinungsäußerung und politischer Intervention jenseits der repräsentativen Demokratie. Mit Demonstrationen oder Kundgebungen können einige Menschen – laut GG lediglich „Deutsche“ – also selbst und jenseits der Logik der Vertretung durch Parteien, Lobbyorganisationen etc. ihre Interessen basisdemokratisch artikulieren.

Solche Interessen können auf der einen Seite emanzipatorisch, auf der anderen Seite extrem reaktionär sein. Nazis steht das Versammlungsrecht – wenn sie sich beim formulieren eines Demoaufrufes nicht zu dumm anstellen – also genauso zu wie Hundezüchter/innen oder UmweltschützerInnen – und das ist auch gut so. Die politisch-inhaltliche Einschränkung von Rechten oder Verbote durch den Staat sind immer fragwürdig, denn sie vermeiden die inhaltliche Auseinandersetzung und betreffen potentiell immer auch progressive GesellschaftskritikerInnen.

Die in Artikel 8 GG festgeschriebene Versammlungsfreiheit wird durch das Versammlungsgesetz reglementiert – Anmeldepflicht, Vermummungsverbot und restriktive Auflagen sind uns aus der Praxis nur zu gut bekannt. In der Vergangenheit hielten das Bundesverfassungsgericht manchmal mehr oder weniger seine schützenden Hände über das Versammlungsrecht in seiner bestehenden Form und wies damit – zumindest theoretisch – Versammlungsbehörden und auch polizeilicher Praxis in die Schranken.

Mit der Förderalismusreform wurde den Bundesländern die Gesetzgebungskompetenz in Sachen öffentlicher Versammlungen in die Hände gelegt. Damit wurde der Raubbau an der Versammlungsfreiheit in Gang gesetzt.

Den ersten Schritt machte die CSU geführte bayrische Staatsregierung im März 2008, mit einem Gesetzesentwurf der massiver hinter das bisher geltende Bundesversammlungsgesetz zurückfiel und großen Protest bei vielen politischen oder sozialen Verbänden hervorrief.
Ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Parteien und nicht-staatlichen Organisationen legte Verfassungsbeschwerde und einen Eilantrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ein, dem das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom 17. Februar 2009 teilweise stattgab.

In Baden-Württemberg und Niedersachsen sind entsprechend restriktive Versammlungsgesetze inzwischen auf Eis gelegt. Anteil daran hatten neben dem Teilerfolg der Verfassungsklage in Bayerns breite Protestbündnisse.
Ungeachtet der rechtlichen Unklarheit startete die neue sächsische Landesregierung unlängst mit einem Gesetzesentwurf „über die landesrechtliche Geltung des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge“ einen ganz eigenen Vorstoß die Versammlungsfreiheit zu demontieren. Und wie soll es in Sachsen anders sein, geht es ihr dabei um eine – selbst unter politisch unverdächtig erscheinenden Verfassungsrechtler/innen – umstrittene Festschreibung von politischen Prämissen unter denen Versammlungen unter freiem Himmel stattfinden dürfen.

Der schwarz-gelbe Gesetzes-Entwurf stellt auf das Verbot von öffentlichen Versammlungen an bestimmten historisch bedeutsamen Orten ab. Festgeschrieben sind das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig sowie die Frauenkirche und der Neumarkt in Dresden. Darüber hinaus soll am Jahrestag der Bombardierung Dresdens, dem 13. und 14. Februar, in der gesamten Innenstadt keine Demonstration stattfinden dürfen, die sich abseits der quasi im Gesetzestext festgeschriebenen Geschichtsinterpretation der Staatsregierung bewegen.

Auch soll es künftig möglich sein, Versammlungen an Orten zu verbieten, wenn dieser „von historisch herausragender Bedeutung« sind und dabei an »Menschen, die unter der nationalsozialistischen oder der kommunistischen Gewaltherrschaft Opfer menschenunwürdiger Behandlung waren« oder allgemein an »die Opfer eines Krieges« erinnere. Den Versammlungsbehörden soll die Definitionsmacht gegeben werden eben solche Orte zu bestimmen.

Mit dem Gesetzesentwurf werden also Erinnerungs- und Ordnungspolitik verquickt. Als Hauptmotivation des Gesetzesentwurfes kann der für Dresden hochgradig identitäre 13./14. Februar ausgemacht werden. Dresden soll an diesem Tag demonstrations- und politikfrei gehalten werden, um in Ruhe den bürgerlichen Kranzniederlegen, Gottesdiensten und Kerzenstelldicheins nachgehen zu können und einen Widerspruch gegen geschichtsrevisionistische Interpretationen des 13./14. Februars zu verunmöglichen.

Die im Gesetzesentwurf vorgenommene Definition der Opfergruppen – Opfer des Nationalsozialismus sowie der kommunistischen Gewaltherrschaft – trägt die Handschrift der in Sachen wirkungsmächtigen Totalitarismusdoktrin, die durch das Hannah Arendt-Institut für Totalitarismusforschung und fragwürdige „Experten“ wie Eckard Jesse repräsentiert wird. Für uns ist und bleibt allerdings klar: Nationalsozialismus und Holocaust sind singulär, und dürfen niemals auf eine Stufe mit anderen kritikwürdigen Regimen gestellt werden.

Bei einer Anhörung im Sächsischen Landtag erntete der Gesetzentwurf zum Versammlungsgesetz von Experten verschiedener Coleur zumindest harsche Kritik.
Auch wir können kein gutes Haar an der Vorlage lassen. Nicht nur die politische Konnotation ist ablehnenswert, sondern beispielsweise auch die vorgesehene Kompetenzerweiterung der kommunalen Versammlungsbehörden. Bisher waren schwerwiegende „erkennbare Umstände“, die „die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährden“ notwendig, um eine Demonstration oder Kundgebung zu verbieten. Künftig soll ein „konkreter Bezug“ zu Veranstaltungen in der Vergangenheit, bei denen es zu solchen „Gefährdungen oder Störungen“ gekommen ist, ausreichen. Wenn es auf einer Demonstration gegen Atomstrom beispielsweise zu angeblichen Auflagenverstößen einiger Personen kommt und die Demonstration daraufhin aufgelöst wird, könnten Verwaltungsbehörden diesen Vorfall als Verbotsgrund für andere Anti-Atomstrom Demonstrationen nutzen.

Summa sumarum: Der Versammlungsgesetzentwurf der schwarz-gelben Koalition redet obrigkeitsstaatlichen Maßnahmen das Wort und raubt einer lebendigen, pluralistischen und kritischen Gesellschaft Luft und Ausdrucksformen. Geschichtsrevisionismus soll im Gesetz festgeschrieben werden und Versammlungen werden leichter verboten werden können.

Der Demontage der Versammlungsfreiheit kann eine radikale, emanzipatorische Linke nicht kommentarlos zusehen, Schließlich stellen Demonstrationen auch für jene, für uns also, ein wirkungsmächtiges Instrument politischer Intervention dar.

Wir sagen deshalb lautstark nein zum geplanten neuen sächsischen Versammlungsgesetz und dem ordnungspolitischen Amoklauf der Staatsregierung.

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