No Compact: Offener Brief an die Leipziger Buchmesse

Ich habe neben zahlreichen anderen Initiativen und Personen einen offenen Brief unterzeichnet, mit dem die Leipziger Buchmesse aufgefordert wird, dem völkisch-nationalistischen und verschwörungstheoretischen Compact-Magazin keinen Präsentationsraum zu überlassen

[der Brief kann hier unterstützt werden]

Leipzig, den 2. März 2016

In diesem Jahr will sich das „Compact-Magazin“ auf der Leipziger Buchmesse präsentieren. In Zeiten von Pegida und beinahe täglichen rassistischen Brandanschlägen ist das ein fatales Signal.

Seit seiner Gründung vor fünf Jahren verbreitet das „Compact-Magazin“ völkisch-nationalistische, verschwö­rungs­ideolo­gische und homophobe Hetze. Schon der Untertitel „Magazin für Souveränität“ zeigt, wo die Tendenz des monatlich erscheinenden Periodikums liegt: Man glaubt, Deutschland sei „immer noch ein besetztes Land“, nämlich „eine Militärkolonie der Amerikaner“.[1] Daneben verbreitet das „Compact-Magazin“ Verschwörungsmythen zum 11. Septem­ber und zum „National­sozialistischen Untergrund“. War dieses Weltbild bis vor zwei Jahren noch einer überschaubaren Anzahl Verrückter vorbehalten, so ist die Zeitschrift mittlerweile zu einem Sprachrohr und Chefredakteur Jürgen Elsässer zu einer Symbolfigur der rassistischen „Gida“-Bewegung avanciert. Davon künden nicht nur die Titelbilder, die Teilnehmer regelmäßig als Plakate mitführen.

Im Jahr 2015 trat Elsässer drei Mal als Redner auf den fremdenfeindlichen Versammlungen „Leipzig gegen die Islamisierung des Abendlands“ („Legida“) auf, deren Publikum von Hooligans und Neonazis dominiert wird. Dort bezeichnete er Geflüchtete als „Invasionsarmee“, „Kolonisten“ und „Lindwurm mit Hundert­tausenden Köpfen“ und prophezeite „apokalyptische Szenen“.[2] Elsässers völkische Reden und Veröffentlichungen strotzen vor Übertreibungen und Pauschalisierungen, die allesamt das Ziel verfolgen, berechtigte und unberechtigte Ängste in Hass auf Geflüchtete und auf die Demokratie umzuwandeln. Dass Elsässer vor seinen wenigen Tausend Anhängern, die keinesfalls „das Volk“ sind, bereits mehrfach zum Sturz der als „Merkel-Regime“ verunglimpften demokratisch legitimierten Regierung aufrief,[3][4] zeugt hauptsächlich von seinem eigenem Demokratie­verständnis. So verwundert es kaum, dass Elsässer im September 2015 auf seiner Webseite einen „Notstand“ heraufbeschwor und zum Militärputsch aufrief.[5]

Mit der selben Neigung zur Selbstjustiz lobte Elsässer auf der „Legida“-Bühne auch den „Widerstand“ der Rassisten, die im Oktober 2015 wochenlang die Zufahrt zu einer Asyl-Notunterkunft im Chemnitzer Stadtteil Einsiedel blockiert hatten.[6] Daneben bewarb er eine Kundgebung der „Alternative für Deutschland“. Auch der Kampfbegriff „Lügenpresse“ gehört zu Jürgen Elsässers Vokabular, wohl wissend, dass Teilnehmer während der rassistischen „Legida“-Aufzüge regelmäßig Pressevertreter angreifen. Das Weltbild von Elsässer und seinen Anhängern kennt keine Parteien, keine individuellen Beweggründe und keine Einzelschicksale, sondern nur „das Volk“ und diejenigen, die als dessen Feinde ausgemacht werden.

So fühlen sich Jürgen Elsässer und die „Compact“-Leserschaft, die derlei antisemitische Andeutungen versteht, bedroht durch die „internationale Finanz­oligarchie, die die 99% […] in ihrer Zinsschlinge erwürgt und erdrosselt“, namentlich „die Herren Rockefeller, Rothschild, Soros, Chodorkowski“.[7] Zudem befürwortet Elsässer seit Jahren die undemokratische Politik des autoritären russischen Präsidenten Wladimir Putin. Im Oktober 2013 veröffentlichte das „Compact-Magazin“, das auf seinen Veranstaltungen mehrfach einen überzeugten Neonazi als Sicherheitskraft einsetzte,[8] ein Interview mit dem Kreml-nahen russischen Neofaschisten Alexander Dugin.[9] Im April 2014 stand der Aufmacher unter dem Titel „Die antirussische Front – Faschisten und Zionisten Schulter an Schulter“.[10]

Im selben Licht steht Elsässers Freundschaftsbekundung mit dem nationalistischen und homophoben russischen Rockerclub „Nachtwölfe“, deren Einreiseverbot er beklagte, am 9. Mai 2015.[11] An diesem Tag sprach Elsässer in Berlin auf der Kundgebung „1.000.000 Stimmen gegen die Islamisierung und Amerikanisierung Europas“, die ursprünglich von Reichsbürgern als „Sturm auf den Reichstag“ angekündigt worden war.[12] In seiner Rede behauptete er, Faschismus sei „eine Waffe des internationalen Finanzkapitals“. Außerdem sagte er: „Die neue NS-Diktatur ist die NSA-Diktatur“, und die USA benutze die Terrororganisation „Islamischer Staat“, „um uns demografisch kaputt zu machen“. Die friedlichen Gegendemonstranten verunglimpfte Elsässer als „rotlackierte Faschisten“.[13] Wenige Augenblicke später versuchte der Mob vor Elsässers Bühne, darunter zahlreiche Hooligans und Neonazis, ein Dutzend Gegendemonstranten anzugreifen.

Mit russlandtreuen Islamisten hat Elsässer offenbar kein Problem. Im Jahr 2012 reiste er in einer vom Islamisten Yavuz Özoguz geleiteten Reisegruppe in den Iran, einschließlich einer Privataudienz beim damaligen Diktator Mahmud Ahmadine­dschad.[14]

Seit November 2015 unterstützt Jürgen Elsässer zusammen mit weiteren Neurechten, darunter dem völkischen Vordenker Götz Kubitschek, die extrem rechte Kampagne „Ein Prozent für unser Land“. Wohin die rechte Hetze dieser geistigen Brandstifter und das von ihnen geförderte politische Klima führt, zeigt ein Ereignis im Februar 2016. Unbekannte verteilten in der brandenburgischen Stadt Nauen Flugblätter mit der Aufforderung zum „absoluten Widerstand“. Darauf: Eine Anleitung zum Bau von Bomben und ein Aufruf, der größtenteils von der „Compact“-Webseite kopiert war.[15]

Ein Beispiel für couragierten Umgang mit dem „Compact-Magazin“ lieferten die Leipziger Verkehrsbetriebe im Januar 2016. Das „Compact-Magazin“ hatte Werbeplätze im Fahrgast-TV gebucht. Als die LVB davon erfuhren, nahmen sie den Werbespot umgehend aus dem Programm.[16]

Rassistische, nationalistische und antisemitische Propaganda gehört nicht auf eine internationale Veranstaltung wie die Leipziger Buchmesse. Sie und die als „Lügenpresse“ geschmähten Medien sollten geistige Brandstifter erkennen, anstatt sie als Aussteller und Standnachbarn zu tolerieren. Wir fordern von Ihnen: Laden Sie das „Compact-Magazin“ von der Buchmesse aus!

Fußnoten

[1] [11] [13] Rede von Jürgen Elsässer auf dem Berliner Washingtonplatz am 9. Mai 2015[2] [3] [6] Rede von Jürgen Elsässer bei „Legida“ am 26. Oktober 2015[4] juergenelsaesser.wordpress.com/2016/02/23/video-elsaesser-in-zwickau-in-diesem-fruehjahr-muss-merkel-gestuerzt-werden/

[5] www.prinzessinnenreporter.de/militaerputsch-in-deutschland-prinzessinnen-vor-ort/

[7] Rede von Jürgen Elsässer auf einer rechtsoffenen „Montagsmahnwache“ am 21. April 2014 in Berlin

[8] linksunten.indymedia.org/de/node/108918

[9] juergenelsaesser.wordpress.com/2013/10/08/putin-trotzt-den-usa-interview-mit-alexander-dugin/

[10] juergenelsaesser.wordpress.com/2014/03/27/die-antirussische-front-faschisten-und-zionisten-schulter-an-schulter/

[12] www.taz.de/Rechtsextreme-Demo-am-Reichstag/!5009455/

[14] juergenelsaesser.wordpress.com/2012/04/30/elsasser-trifft-ahmadinedschad/

[15] www.inforiot.de/compact-zuendelt-mit/

[16] www.lvz.de/Leipzig/Lokales/Leipziger-Verkehrsbetriebe-blocken-Compact-Spot-in-Strassenbahnen

Ein Gedanke zu „No Compact: Offener Brief an die Leipziger Buchmesse“

  1. Meinungsfreiheit ist keine Einbahnstraße und die Buchmesse ist keine Plattform der Linken. Deshalb hat natürlich auch rechtslastige Literatur ein Recht auf Teilnahme. Ich bin gespannt, ob die Linke irgendwann in der Demokratie ankommt und Andersdenkende akzeptiert. Wenn Sie das nicht tut, kann ihr Ziel nur Diktatur sein. Ein diktatorisches Experiment namens DDR reicht mir.
    Genauso wie hier in den Fußnoten das Rechtsradikale herauskristallisiert und zitiert wird, könnte man endlose linksradikale Aufrufe zu Gewalt zitieren und ein Verbot jeglicher linken Literatur fordern. Ist das in Ihrem Sinne?
    Tue niemand etwas an, was du selbst nicht leiden kannst.

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