Müde und fassungslos

Die letzten Tage waren die Hölle. Die letzten Tage haben die Scheinheiligkeit von verantwortlicher Politik und eines Großteils der Medien plastisch vor Augen geführt.
Aus einer wütenden Demonstration gegen die Räumung eines besetzen Hauses im Leipziger Osten, die #Luwi71, und zwei damit nicht im Zusammenhang stehenden Eskalationen in Connewitz – einer von Gewalt geprägten Sponti weniger Menschen sowie einer Demonstration, deren Auflösung auf Bewürfe eines Luxusneubaus zurückgeht – wurde schnell eine bundesweite Debatte um die Gefahr von linker Gewalt. Vor allem Bundes- und Landespolitiker*innen sowie konservative Medien schoben Statements und Beiträge am Fliessband in die Öffentlichkeit. Als hätte mann darauf gewartet, wurden wilde Zusammenhänge konstruiert und Feindbilder ins Rampenlicht gestellt, wozu in erster Linie die gehören, die  die Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit der Verhältnisse immer wieder anpragern und im kleinen oder großen praktisch und theoretisch für gesellschaftsverändernde grundsätzliche Änderungen werben und arbeiten.
Dazu gehöre auch ich und ich bin müde. Ich bin müde, dass meine Worte, Tweets und inzwischen auch Retweets seziert, präsentiert und interpretiert werden. Ich bin müde ob der uninformierten Journalist*innen, die nicht mal wissen was warum in den besagten Tagen wo passiert ist und das Label Connewitz und „links“ über alles spannen wollen, was dämonisiert gehört. Ich bin müde die Proklamationen der konservativen Landesführung und ihrer sich liberal gebenden Anhängsel zu hören, die legitime Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit, in diesem Fall des leistbaren Wohnens, delegitimieren, während Verschwörungsspinner und Neonazis hofiert werden.

Auch wenn ich lange Politik machen, haben mich die Reaktionen derselben Politiker*innen und die Ignoranz vieler Medien in Reaktion auf die verheerenden Brände auf Lesbos fassungslos gemacht.
Viele geflüchtete Menschen harren nicht nur seit vielen Monaten, ja Jahren dort in einem überfüllten Freiluftgefängnis aus. Die über 12.000 Menschen in Moria, dem großen Lager auf Lesbos, wurden auch für fast sechs Monaten unter eine Ausgangssperre gestellt. Dass das Corona-Virus dort einen idealen Verbreitungsgrad hat, dort wo es kaum hygienische Möglichkeiten und medizinische Versorgung gibt, war klar. Dass Europa, aber auch die Bundesrepublik und auch die Koalition aus CDU, Grünen und SPD faktisch untätig geblieben sind, ist ein Desaster.  Das Chaos und die Gewalt auf Lesbos sind das Resultat der bürokratischen Abschottungspolitik, das Scheitern auch des letzten Funkens bürgerlicher Moral.
Ich schaue vor dem Hintergrund fassungslos auf die Gewaltdebatten der letzten Tage, in der immer wieder moniert wurde, dass politische Ziele friedlich zu erreichen sind.
Wir haben über Monate friedliche Demos gemacht, Petitionen geschrieben, Transparenten aus den Fenster gehängt und Parlamentsanträge für die schnelle Aufnahme von Schutzsuchenden aus dem Elendslagern in Griechenland gestellt und für eine humanistische Wende in der Asylpolitik protestiert. Passiert ist faktisch nichts.
Ich bin der salbungsvollen Worte leid, egal ob es die Versprechen einer sozialen Wohnungspolitik oder der vermeintlichen Empathie mit Geflüchteten betrifft, weil es gerade medial dran ist.
Es ist die grundsätzliche Haltung für universelle, unveräußerliche Menschenrechte, mit der ich mich an die Seite der Bewegungen für eine soziale Wohnungspolitik, für die Freizügigkeit aller Menschen, ja für die Umwälzung dieser kapitalistischen und gewaltvollen Gesellschaftsform stelle. Da gibt es nichts zu verhandeln, da gibt es nur zu handeln.

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