Menschenrechte vs. Abendland

2014-12-02-pegidaVier Monate Pegida & Co haben die gesellschaftliche Stimmung und auch die Politik verändert. Hotspot der neuen „Apo von rechts“ ist Sachsen

Seit 20.Oktober marschieren in Dresden fast wöchentlich Montags die so genannten „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Von anfänglichen wenigen Hundert ist die TeilnehmerInnenzahl zwischenzeitlich in den fünfstelligen Bereich gewachsen und hat sich nun bei etwa 5000 plus eingepegelt. Pegida ha vielerorts NachahmerInnen gefunden. So richtig Fuß fassen konnte bis dato jedoch nur Legida, der Leipziger Ableger, der einmalig am 21. Januar 7000 Menschen mobilisieren konnte und sich nun von einem harten Kern von zirka 700 getragen wird. Auch Pegida Chemnitz-Erzgebirge marschierte am 16. März zum nunmehr siebten Mal.

*gida
„Asyl, Islam und Ausländer – da sind unsere Reizthemen“, so fasste Legida-Führer Silvio Rösler die Klammer um die *gida-Bewegung bei einem der letzten Aufmärsche in Leipzig treffend zusammen. Mögen Motive und Botschaften von TeilnehmerInnen der euphemistisch „Spaziergänge“ genannten Aufmärsche diffus und bizarr erscheinen, der eigentliche gemeinsame Nenner ist das Anrufen einer homogenen und souveränen deutschen Nation, die gegen eine behauptete Islamisierung, eine „unkontrollierte Zuwanderung“ und „Asylmissbrauch“ zusammenstehen müsse.
Die *gida-Bewegung speist sich nach ersten Umfragen (1) und eigenen Wahrnehmungen aus Menschen, die der sozialen Mitte zuzuordnen sind, sprich mitten im Leben stehend, erwerbstätig und zumeist männlich und zumeist der Wende-Generationen zuzuordnen. Die soziale Zusammensetzung, die nicht abschließend repräsentativ untersucht ist, widerspricht der oft hingeworfenen These von den Deklassierten, die noch weiter nach unten treten. Die soziale Frage spielt bei den Manifestationen keine Rolle.
Ein Teil der *gida-MitläuferInnen scheint erstmals seit langem aus einem Desinteresse bis hin zur Verweigerungshaltung gegenüber politischen Prozessen ausgebrochen zu sein.
*gida ist der Aufbruch derer, die sich hinter den Prozent-Angaben aus diversen Studien zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und zum Teil hinter der Zustimmung für die Alternative für Deutschland verbergen. Die Initialzündung für den *gida-Erfolg auf der Straße – nominell die Verteidigung des „Abendlandes“ gegen die „Islamisierung“ – ist austauschbar. Kern der Mobilisierungen sind die Vorstellungen einer homogenen Nation, die autoritär geführt wird, und in der „Nicht-Zugehörige“ oder „Nicht-Leistungsfähige“ von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen werden. Pluralität, Gleichberechtigung und Solidarität gelten ihnen als Teufelszeug. Ihr Gegenentwurf ist das „Volk“. Der montägliche Ruf „Wir sind das Volk“ ist dabei die Chiffre für einen Denkansatz der Exklusion. Denn sie selbst definieren wer das „Volk“ ist und wer nicht dazu gehört.
Exemplarisch dafür steht unter anderem die Aussage Silivio Rösler beim Legida-Aufmarsch am 2.3.2015: MigrantInnen seien hier erwünscht, wenn sie jahrelang zum Wohl Deutschlands gearbeitet hätten. Auch der zweifache Auftritt von „Graziani“ mit „italienischen Wurzeln“, der über die Überfremdung Berlins lamentierte, soll demonstrieren, dass mann sich mit „Ausländern“ abfinden kann, wenn sie sich der „deutschen Leitkultur“ unterordnen und eingliedern.
Es ist kaum verwunderlich, dass die *gida-Erhebungen für NPD, Kameradschaften und rechte Hooligangs anschlußfähig sind. Ihnen eine Leitlinienfunktion zuzuschreiben oder die *gida-Demonstrationen „Nazidemos“ zu nennen, läuft jedoch fehl. Wir haben es vielmehr mit der Mobilisierung eines weit verbreiteten Chauvinismus zu tun, der nicht zuletzt auch Resultat einer Politik der Vermarktlichung ist. Der Nährboden für die nun organisiert und verhärtet auftretenden Ideologien der Ungleichwertigkeit wurde dort gelegt, wo in Permanenz an das verwertbare Individuum appelliert, Solidarität im Alltag und ein solidarischer Sozialstaat durch eine real existierende Politik der Exklusion ad absurdum geführt wurden, wo wiederkehrend der Asylmissbrauch behauptet und der gewünschten Zuwanderung von Leistungsfähigen entgegengesetzt werden.
Diese angenommene Kausalität soll nichts entschuldigen, zumal eine Reaktion auf gesellschaftliche Mißverhältnisse nicht zwangsläufig in der Mobilisierung von Ressentiments münden muss.

Sachsen
Geburtsort und Hotspot von Pegida und Schwestern ist Sachsen. Das ist kein Zufall. Die hier 25 Jahre regierende CDU kann nun die Fürchte ihres Verständnisses von Demokratie und Gesellschaft ernten.
Treffend formulierte Thomas Platz von Sachsens Landeszentrale für politische Bildung im Januar 2015 gegenüber der Leipziger Volkszeitung: „In Sachsen wurde keine ausgeprägte Diskussionskultur entwickelt.“ Der Streit um Argumente habe sich in den jüngsten 25 Jahren unzureichend entwickelt. Die Demokratie sei noch nicht verinnerlicht, die niedrige Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent habe es gezeigt. Auch den Umgang mit der Auseinandersetzung im die Bombardierung Dresden 1945 macht Platz als ursächlich aus.
Hinzuzufügen ist der Nicht-Umgang mit dem Thema Zuwanderung und Asyl. Die sächsische Staatsregierung hat diese Themen nicht nur stiefmütterlich behandelt, sondern zu Nicht-Themen gemacht. Asylsuchende waren bis vor kurzem aus Integrationsbemühungen explizit ausgenommen, MigrantInnen wurden nur im Kontext mit herausragenden Verdiensten im Bereich der Forschung oder Wirtschaftstätigkeit sichtbar.
Es darf nicht übersehen werden, dass sich *gida in eine schon länger andauernde Welle rassistischer Mobilisierungen einbettet. Bereits seit 2012 wachsen Proteste gegen Asylsuchende oder Gebetshäuser von MuslimInnen und entsprechende Gewalttaten. Wirksame Gegenstrategien und Parteinahme für die Betroffenen blieben seitens der verantwortlichen, CDU-dominierten Landespolitik aus oder müssen sich auch weiterhin den Vorwurf der Nestbeschmutzung oder des Extremismus gefallen lassen.
Dieser von WissenschaftlerInnen sächsischer Schule gepflegte Extremismusdiskurs mit Hauptfokus gegen links prägt das Handeln der politisch Verantwortlichen. Rassistische Mobilisierungen fallen, sobald sie nicht von NPD und Co organisiert werden, aus diesem Extremismus-Schema heraus und werden zu „berechtigten Sorgen, während Initiativen, die antidemokratische Tendenzen klar benennen mit einer landeseigenen Extremismusklausel überzogen wurden und antifaschistisches Engagement aufs übelste kriminalisiert wurde und wird.

Diese Stränge bieten gleichsam die Folie für den Umgang mit Pegida und Co durch die CDU, die in Sachsen weiterhin fest im Sattel sitzt und eine unbestreitbare gesellschaftliche Leitlinienfunktion ausübt.
Kurz formuliert: Pegida wird hofiert. Der Innenminister Markus Ulbig trifft sich mit Pegida, der Ministerpräsident präsentiert sich auf eigens einberufenen und an die Pegida-DemonstrantInnen gerichteten „Dialog-Veranstaltungen“, ein CDU-MdL bringt sich als Redner für einen *gida-Aufmarsch ins Spiel, eine Gruppe von „Pegida-SymphatisantInnen“ tauscht sich regelmäßig mit 14 CDU-Abgeordneten aus und in keiner Wortmeldung zum Thema wird von CDU-ProtagonistInnen verschiedenster Ebenen vergessen, dass es sich ja um „berechtigte Sorgen“ von BürgerInnen handeln würde.
Pegida wirkt im Alltag und auf die Politik. Just an einem Montag, an dem Pegida den 6. Marsch durchführte, platzierte Innenminister Markus Ulbig die Ankündigung einer Sondereinheit gegen „mehrfach straffällig gewordene Asylbewerber“ (2) Zwischen Weihnachten und Neujahr, als Pegida landauf landab diskutiert wurde, forderte wiederum Markus Ulbig, dass Tunesien zum sicheren Herkunftsstaat erklärt wird, sprich eine Verschärfung des Asylrechts für eine bestimmte Gruppe Asylsuchender. Der Generalsekretär der CDU Michael Kretschmer folgte kurz darauf mit der Ankündigung das Asylrecht grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen. (3) Schließlich trumpfte auch Landesvater Stanislaw Tillich im Januar im Interview mit der WELT auf: „Muslime sind in Deutschland willkommen und können ihre Religion ausüben. Das bedeutet aber nicht, dass der Islam zu Sachsen gehört.“

Kontrastiert man diese praktischen und politischen Annäherungen an Pegida und Schwestern (4) mit dem (Nicht-)Umgang mit MigrantInnen und Protest gegen *gida, wird einem/r schwarz vor Augen. Weder die CDU noch Minister Ulbig trafen sich mit migrantischen Communities, die gegenüber Medien klar über wachsende Ängste berichten, oder mit jugendlichen MigrantInnen, die infolge einer Pegida-Demonstration vor Weihnachten an der Dresdner Altmarkt-Galerie attackiert wurden. Dies ist ein klares Signal an die, die laut Angaben der Opferberatung der RAA seit Beginn der Pegida-Märsche verstärkt Zielscheibe rassistischer Gewalt werden: Eure Sorgen sind nicht berechtigt (im Gegensatz zu denen der TäterInnen oder AnstifterInnen). Und wer es noch deutlicher braucht, kann einen Rückblick auf das kurzzeitige Refugees-Protestcamp auf dem Dresdner Theaterplatz werfen: Während AfD- und CDU-Vertreter*innnen sich vehement gegen lapidare Zelte als Kundgebungsmittel aussprachen und die Räumung des Camps herbei-riefen und nach Vollzug bejubelten, bleiben beide Parts stumm, als 300 Pegida-AnhängerInnen und Nazis das Camp überfielen.

Umarmungen
Pegida & Co haben das gesellschaftliche Klima in Sachsen weiter verschärft, die AfD bringt die Stimmungsmache von der Straße ins Parlament und versucht damit die CDU zu treiben,die ihrererseits die an Pegida verlorenen Schäfchen zurückzuholen versucht. Trotz offenkundiger Schnittmengen zwischen AfD und CDU – z.B. bei der Verschärfung des Asylrechts oder einem härteren Vorgehen gegen „Linksextremismus“ – wehrt die CDU die Umarmungsversuche formal ab. Anträge der AfD werden (noch?) abgelehnt, auch wenn eine grundsätzliche Übereinstimmung besteht.

Pegida und Co selbst versuchen die Umarmungsversuche durch die Politik zurückzuweisen. Am 6. April soll einE eigeneR Kandidat zur Dresdner OBM-Wahl gekürt werden. Bei der Wahl ist bekanntermaßen auch Innenminister Markus Ulbig für die CDU im Rennen. Mutmaßlich hatte er mit dem Treffen mit dem Pegida-Orga-Kreis um Kathrin Oertel auch intendiert sich Konkurrenz aus dem Weg zu schaffen. Das Treffen dürfte zu Oertels Fall beigetragen haben, denn ein „Anbiedern“ schmälert die plumpe Pose gegen die etablierte Politik. Der wieder inthronisierte Lutz Bachmann, der Geflüchtete als „Dreckspack“ und Viehzeug bezeichnet, weist aus aktuellem Anlass jede Legitimation für Gespräche von Pegida-Symphatisantinnen mit der etablierten Politik zurück: „PEGIDA BLEIBT PEGIDA und lässt sich nicht missbrauchen!“ (Facebook, 10. März 2015)

Und nun?
Einen Ausblick zu wagen, fällt schwer, zumal er kein positiver sein kann. Weiterhin bilden sich vielerorts unter dem *gida-Label – oder ohne – rassistische Ableger. In Freital marschierten am 6. März 1.500 Menschen unter dem Motto „Freital wehrt sich. Nein zum Hotelheim“. Mehrere TeilnehmerInnen versuchten Polizeiketten zu durchbrechen und zu einer neu eingerichteten Asylunterkunft zu gelangen, in der bereits einzelne Geflüchtete wohnen. In Dippoldiswalde folgten fast 1000 dem Aufruf der „Bürgerbewegung Kreis Dippoldiswalde Pegida“. Ähnliche Beispiele lassen sich ergänzen.

Fakt ist, dass niemand behaupten kann, bei den *gida-Märschen mitzulaufen und gleichzeitig von der eher mehr als weniger rassistischen Stimmungsmache nichts zu wissen. Wer mitläuft stimmt zu.
Andererseits können die immer wieder behaupteten „Sorgen und Ängste“ nicht ernsthaft verhandelt werden, solange sie sich gegen die Gleichwertigkeit von Menschen richten. Und das tun sie, flächendeckend. Die Hoffnung auf ein Totlaufen der Erhebungen muss ad acta gelegt werden. Aber auch die selbst in Teilen der LINKEN getragene Hoffnung, mit den MitläuferInnen ins Gespräch zu kommen.

Was es braucht ist Polarisierung. Was es braucht ist Solidarität und Parteilichkeit. Die Konfliktlinie heißt Menschenrechte vs. Abendland.

Anmerkungen:

(1) Neben der umstrittenen ersten Studie der TU Dresden gibt es die des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung sowie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung.

(2) Deren Zahl ist mit 162 einerseits marginal ist, zudem waren im Jahr 2013 mehr als der Hälfte der Mehrfachstraftaten sog. Bagatelldelikte, zum Beispiel Schwarzfahren.

(3) Das entsprechende Prüfergebnis liegt seit dem 8.3.2015 vor. In ihrem Positionspapier fordert die sächsische CDU unter anderem die Beschränkung der Rechtsmittel bei einem abgelehnten Asylantrag. Dazu muss mensch wissen, das sich im Jahr 2014 bundesweit etwa 10 % die Asylberechtigung vor Gericht erfolgreich erstritten haben!

(4) Wobei auch von der Staatsregierung immer wieder betont wird, das Legida rechts von Pegida steht. Die enge Verbindung von Pegida und Legida allerdings, wird geflissentlich ignoriert.

3 Gedanken zu „Menschenrechte vs. Abendland“

  1. Liebe Juliane,

    bitte ändere mal eine Textstelle, bevor es peinlich wird. (die Faschisten lesen hier)

    Der Polizeibericht aus Dresden 02.März ist öffentlich im www einsehbar, da wird kein Überfall auf das Protest Camp genannt. Sonst weisen sie Dir noch Lüge nach.

    LG D

  2. Hallo Luna,

    in den angeführten Beiträgen wird von einem „versuchten Überfall“ gesprochen. Sie schreiben das es einen Überfall gab. Da ist schon ein Unterschied.

    Wurde die EZB gestern gestürmt, oder gab es nur den Versuch? Hmm schwierige Frage…

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