Interview im Rückblick auf Dresden am 13.2.2010

Von einem Wendepunkt in der politischen Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und dem emanzipatorischen Potential von zivilgesellschaftlichen Blockaden spricht Christoph Ellinghaus vom Bündnis „Nazifrei – Dresden stellt sich quer!“ mit Blick auf die gelungene Verhinderung der Nazidemonstration am 13.2.2010 in Dresden 

erschienen in Sachsens Linke März 2010, Interview: Juliane Nagel

Der Naziaufmarsch am‭ ‬13.2..‭ ‬in Dresden ist erstmals seit‭ ‬12‭ ‬Jahren verhindert worden.‭ ‬Wessen Verdienst war das‭ ?
Auf jeden Fall der des großen Bündnisses‭ „‬Nazifrei‭ ‬-Dresden stellt sich quer‭“ ‬und den‭ ‬12.000‭ ‬Menschen,‭ ‬die an diesem Tag mit unterschiedlichen Aktionen,‭ ‬zum Beispiel Blockaden,‭ ‬dazu beigetragen haben.

Noch am Abend des 13.2.‭ ‬titelten viele Medien‭ „‬Menschenkette verhinderte Naziaufmarsch‭“‬.‭ ‬Auf der Altstadt-Seite waren an die‭ ‬10.000‭ ‬Menschen der Aufruf der Dresdner Oberbürgermeisterin gefolgt.‭ ‬Welchen Anteil hatte denn diese Aktion wirklich an der Verhinderung des Nazi-‭“‬Gedenkmarsches‭“?
Sie hatte aus meiner Sicht gar keine Anteil daran.‭ ‬Sicherlich hat sie dazu beigetragen,‭ ‬dass Menschen‭ ‬in Dresden überhaupt auf die Straße gegangen sind und sich auch mit dem Thema Rechtsextremismus auseinander gesetzt haben.‭ ‬Während viele der TeilnehmerInnen der‭ ‬Menschenkette im traditionellen Gedenken verharrten,‭ ‬ist ein Teil dann aber doch zu den Blockaden gekommen,‭ ‬um den Naziaufmarsch aktiv zu verhindern.

Der aktive Teil des Bündnisses‭ „‬Nazifrei‭ – ‬Dresden stellt sich quer‭“ ‬speiste sich vor allem aus Gruppen und Initiativen aus Jena,‭ ‬Berlin oder Norddeutschland.‭ ‬Wie erklärt ihr euch das und wie konnte die Vorbereitungsarbeit trotzdem funktionieren‭?

Man muss zunächst sagen,‭ ‬dass es in Dresden Gruppen gab,‭ ‬die gesagt haben‭ „‬Wir wollen in diesem Jahr blockieren‭“‬.‭ ‬Diese waren allerdings allein nicht in der Lage die notwendige Vorbereitungsarbeit zu machen und so viele Menschen zu mobilisieren,‭ ‬die schlussendlich notwendig waren um zum Erfolg zu kommen.‭
Man darf nicht vergessen,‭ ‬dass wir es am‭ ‬13.2.‭ ‬mit dem größten Naziaufmarsch Europas zu tun haben.‭ ‬Als Bündnis Dresden nazifrei,‭ ‬das sich im Ergebnis einer Aktionskonferenz im Dezember in Dresden gebildet hat‭ ‬,‭ ‬haben wir immer gesagt,‭ ‬dass das nicht das Problem der Dresdner/innen allein sein kann.‭ ‬Es stimmt aber,‭ ‬dass der Anteil der Arbeit und der Anteil derer,‭ ‬die blockiert haben,‭ ‬nicht direkt aus Dresden,‭ ‬sondern von außerhalb kamen.‭ ‬Ohne die Menschen und Gruppen in Dresden wäre der Erfolg,‭ ‬den wir am‭ ‬13.2.2010‭ ‬errungen haben,‭ ‬allerdings nicht möglich gewesen wäre.

Was ist der Effekt des diesjährigen‭ ‬13.2.‭ ‬-‭ ‬werden die Nazis wiederkommen‭? ‬Werden die aktiven DresdnerInnen die Vorbereitungen für Gegenaktionen aus eigener Kraft auf die Beine stellen können und wird sich die Stadtpolitik besinnen‭?

Ich will der Bündnis-Nachbereitung,‭ ‬die erst Mitte März stattfindet.‭ ‬nicht vorgreifen.‭ ‬Eines ist aus meiner Sicht allerdings ziemlich klar,‭ ‬nämlich,‭ ‬dass es noch mindestens zweier erfolgreicher Blockaden bedarf,‭ ‬damit sich die Nazis frustriert abwenden.‭ ‬Man muss nur daran denken wie lange es gebraucht hat um Christian Worch aus Leipzig zu vertreiben.
Was die Blockaden in Dresden hinterlassen haben,‭ ‬sind Mut und Entschlossenheit den Aufmarsch auch‭ ‬2011‭ ‬zu blockieren.‭ ‬Es ist gelungen die politischen Koordinaten in der Stadt Dresden zu verschieben.‭ ‬Das sieht man unter anderem daran,‭ ‬dass‭ ‬die Oberbürgermeisterin in den letzten Tagen stark in die Defensive gekommen ist.‭ ‬Außerdem diskutieren politische Zusammenhänge wie der DGB vor Ort,‭ ‬der sich noch der Menschenkette angeschlossen hatte,‭ ‬oder auch PolitikerInnen von Grünen oder Fraktionen anderer Parteien jetzt viel stärker,‭ ‬dass sie sich im nächsten Jahr trauen müssen entschlossen aufzutreten,‭ ‬wenn sie ihre Basis nicht verlieren wollen.‭

Euer Bündnis hat sich auf den Naziaufmarsch konzentriert,‭ ‬die geschichtspolitische Debatte,‭ ‬die diesen Tag mit dem Gedenken an die Bombardierung Dresdens‭ ‬1945‭ ‬prägt,‭ ‬bleib dabei weitestgehend ausgeblendet.‭ ‬Der geschichtsrevisionistische Opferkult um die‭ „‬unschuldige Stadt Dresden‭“‬,‭ ‬den die Nazis betreiben,‭ ‬findet sich allerdings auch im Umgang weiter Teile der Bevölkerung und der offiziellen Politik wieder.‭ ‬Warum also diese Zurückhaltung eurerseits‭?
Ich glaube,‭ ‬dass allen Leuten im Bündnis bewusst ist,‭ ‬dass der Opferdiskurs,‭ ‬wie er in Dresden geführt worden ist,‭ ‬eine Hauptursache dafür ist,‭ ‬dass sich der Naziaufmarsch in dieser Form etablieren konnte.‭ ‬Wenn man in diesem Zusammenhang mit Dresden zu tun hat,‭ ‬bekommt man den Eindruck,‭ ‬dass die DresdnerInnen denken,‭ ‬dass ihre Stadt die einzige war,‭ ‬die bombardiert wurde,‭ ‬noch dazu grundlos.‭ ‬Das ist das eigentliche Problem.‭
Das Bündnis hat sich aber in diesem Jahr klar auf den Naziaufmarsch fokussiert,.‭ ‬Ein Grund ist.‭ ‬dass in den Jahren vorher klar geworden ist,‭ ‬dass jede linke Kritik,‭ ‬die sich ausschließlich auf den Opferdiskurs konzentriert und den Naziaufmarsch aus dem Blick verliert dazu führt,‭ ‬dass dieser Aufmarsch immer größer wird.‭
Ich denke,‭ ‬dass es zum Gedenken eine Debatte im Bündnis geben und sich die Positionen im Hinblick auf‭ ‬2011‭ ‬schärfen werden.‭

Nach Jena oder Leipzig hat die Form der Blockade also nun auch in Dresden Erfolg gezeitigt.‭ ‬Sind Blockaden inzwischen ein etabliertes Mittel in der Auseinandersetzung mit Nazis‭?

Ich glaube,‭ ‬dass wir davon noch ganz weit entfernt sind.‭ ‬In‭ ‬90‭ ‬%‭ ‬der Fälle,‭ ‬in denen Initiativen sich entscheiden zu blockieren,‭ ‬schlägt ihnen ein harter Wind entgegen,‭ ‬nicht nur in Dresden.‭ ‬Es braucht eine große Portion Mut,‭ ‬Entschlossenheit und Geschlossenheit vieler Gruppen diesen Schritt zu gehen und Menschen mitzunehmen.‭ ‬An dieser Frage‭ – ‬wie begegnet man Nazis‭ – ‬führen wir tatsächlich eine Auseinandersetzung um die Hegemonie.‭ ‬Wir sind aber noch weit davon entfernt diese Form etabliert zu haben,‭ ‬das ist gleichzeitig das Spannende.‭ ‬Hier geschieht für die Linke etwas Ungewöhnliches.‭ ‬Seit Jahrzehnten ist sie punktuell mit einer Auffassung wieder hegemonial.‭ ‬Und das an einem Punkt,‭ ‬an dem Blockaden vielleicht zu einem Wendepunkt in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus werden könnten.‭
Das was Konstantin Wecker im Vorfeld des‭ ‬13.2‭ ‬gesagt hat,‭ „‬Antifaschismus überläßt man nicht dem Staat‭“‬,‭ ‬bedeutet ja vielmehr als nur Blockieren.‭ ‬Darin drückt sich vielmehr eine staatskritische Haltung aus,‭ ‬eine Haltung,‭ ‬die sich auf die Zivilgesellschaft richtet.‭ ‬Wenn wir Nazis effektiv bekämpfen wollen,‭ ‬gehört dazu,‭ ‬dass wir auch zivilen Ungehorsam leisten und uns auf gar keinen Fall auf den Staat verlassen.‭ ‬An dieser Frage öffnen sich noch andere Felder der Auseinandersetzung,‭ ‬zum Beispiel das um Verbote.‭

Blockaden sind ja mehr als eine spontane,‭ ‬kurzweilige Aktion.‭ ‬Welche Arbeit und vor allem was für eine Philosophie steckt hinter dieser Aktionsform‭?

Die Form der Blockade selbst ist überaus spannend und birgt vieles in sich.‭ ‬Bewegungslinke,‭ ‬Antifa-AktivistInnen und zivilgesellschaftliche Engagierte können hier sehr viel von-‭ ‬und miteinander lernen,‭ ‬auch auf dem Weg zu einer neuen Gesellschaft.‭ ‬Schaut man sich die letzten‭ ‬20‭ ‬Jahre sozialer Bewegung an,‭ ‬kann man sehen,‭ ‬wie politische Aktivierung abläuft:‭ ‬es gibt eine Betroffenheit über eine Problemlage,‭ ‬aus der heraus dann‭ ‬2-3‭ ‬Jahre Politik gemacht wird.‭ ‬Dann wird sich zumeist frustriert zurückgezogen.‭ ‬Die Blockaden basieren allerdings auf einer emanzipatorischen Struktur.‭ ‬Es gibt konzentrierte Vorbereitungen,‭ ‬z.B.‭ ‬Trainings,‭ ‬es gibt Delegiertenstrukturen,‭ ‬Aktionsräte,‭ ‬Bezugsgruppen etc.‭ ‬Ich glaube,‭ ‬dass da etwas wachsen und sich reetablieren kann,‭ ‬was in den‭ ‬1970er Jahren schon mal da war und was eine große Ausstrahlungskraft auf soziale Bewegungen,‭ ‬auf deren innere Verfasstheit,‭ ‬haben kann.‭

Sind Blockaden als Korrektiv des Staates zu verstehen,‭ ‬als Intervention,‭ ‬dort wo der Staat‭ – ‬zum Beispiel durch Verbotsverfügungen‭ – ‬versagt‭?

Es gibt diese Debatte bei uns im Aktionsnetzwerk Jena.‎ ‏Die eine Position besagt,‭ ‬dass ziviler Ungehorsam eine Art aktiver Verfassungsschutzes sei,‭ ‬wie es beispielsweise Peter Zimmermann vertritt‭ (‬http://www.aktionsnetzwerk.de/cms/images/stories/Material/netzwerk/ziviler_ungehorsam.pdf‭)‬.

Dem gegenüber steht eine andere Haltung,‭ ‬die den emanzipatorischen Impuls des zivilen Ungehorsam stark macht.‭ ‬Dieser Position geht es nicht darum den Staat zu korrigieren,‭ ‬sondern‭ ‬um die Aktivierung der Bürgerschaft,‭ ‬einer Bewegung,‭ ‬die den Staat gar nicht braucht,‭ ‬weil sie in der Lage und gewillt ist das Problem selbst zu klären,‭ ‬nicht nur auf der Straße.‭ ‬Es geht darum alle Formen von Diskriminierung‭ (‬Rassismus,‭ ‬Antisemitismus,‭ ‬Sexismus etc‭ ) ‬zu erkennen,‭ ‬zu bearbeiten und anzugreifen.‭ ‬Dieser Ansatz geht viel weiter als die erste Position,‭ ‬die den Staat nur korrigieren will.‭

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