Eine Niederlage dürften die Jungen Nationaldemokraten an diesem Samstag, 4. Oktober 2014 in Döbeln erlitten haben. Nur knapp über 200 Teilnehmende zählte ihre massiv beworbende Abschlussdemonstration zur Kampagne „Sag was du denkst“.
Trotz Besuches aus der gesamten Bundesrepublik sowie Belgien und Tschechien hatte der pathetisch mobilisierte Aufmarsch wenig Anziehungskraft. Die TeilnehmerInnenzahlen unterschritt die vom Vorjahr. Am 5.10.2013 waren in Döbeln 250 Nazis gegen „Polizeiwillkür“ auf die Straße gegangen.
Anders als 2013 gab es in diesem Jahr keine antifaschistische Demonstration. Nur der Oberbürgermeister und das bürgerlich-zivilgesellschaftliche Bündnis „Döbeln bleibt bunt“ hatten zu Kundgebungen aufgerufen. Jener CDU-OBM hatte den Nazis allerdings auch die Genehmigung für eine flächendeckende Plakatieraktion gegeben. In der Nacht zum 4.10. hängten JN & Co in der gesamten Stadt und auch vor dem selbstverwalteten Zentrum Treibhaus ihre unerträglichen Slogans. Im Stadtzentrum hielten eine handvoll der JN-Anhänger*innen zudem am Abend des 3.10.2014 eine Kundgebung ab.
Auch aufgrund des massiven Polizeiaufgebotes wurde wirksamer Protest gegen den Naziaufmarsch erschwert. An mindestens vier Stellen gab es Versuche gewaltfreier Blockaden gegen den Aufmarsch. An allen Stellen waren klar zu wenige Antifaschist*innen am Start. Nicht ungestört, aber ohne große Planänderungen konnten die Nazis vom Bahnhof Döbeln Zentrum über das Plattenbauviertel im Norden zum Hauptbahnhof laufen.
Nach diesem Samstag in Döbeln stellen sich verschiedene Fragen:
1. Warum immer wieder Döbeln?
Nicht nur im vergangenen Jahr, sondern bereits im Herbst 2010 nutzten Nazis – seinerzeit noch als „Nationale Sozialisten Döbeln“ (NSD) – die Stadt in Mittelsachsen als Aufmarschort. 2013 verbot das Sächische Innenministerium die „Nationalen Sozialisten Döbeln“. Diese gingen sang- und klanglos in der NPD-.Jugendorganisation JN auf. Das Verbotsverfahren war auch Anlass der Nazidemo im Oktober 2013.
Wäre Döbeln der Maßstab für ganz Sachsen, wäre die NPD wieder im Landtag vertreten. 5.7 % erhielt die Partei in der Stadt, 0,7 % weniger als 2009. Mit dem stellvertretenden JN-Landesvorsitzenden Stefan Trautmann ist die Partei im Stadtrat vertreten. Es gibt also auch in Döbeln einen extrem rechten Bodensatz, der sich neben der rechtsaußen-Partei AfD (Wahlergebnis bei den Landtagswahlen: 8,1 %) behaupten kann.
2. Gehen die NPD-Nazis nach den verlorenen Wahlen einen neuen Weg?
Nach den verlorenen Landtagswahlen stellt(e) sich die Frage wie die NPD und ihr Anhang die politische Arbeit weitergestalten. Der Aufmarsch in Döbeln sollte ein Indiz dafür sein. Geben sich die NPD-Jungnazis besonders radikal und militant? Läßt der angepasstere Wahlkampfstyle nach?
Beide Fragen können verneint werden. Die Aktionsformen im Rahmen der Kampagne „Sag was du denkst“ blieben weitestgehend angepasst: Informationsstände, Flugblatt-, Sticker – und Plakatieraktionen und ein pathetischer Selbstverständnistext, mit dem bürgerInnennah gegen „die da oben“, gegen Entpolitisierung, Hartz IV und „die Ausländer“ sowieso agitiert wird, sprengen die gewohnten Formen kaum. Mit der der JN und ihrer „Sag was du denkst“-Kampagne zugeschriebenen „Sharia-Polizei“-Aktion am 30.9. auf dem Augustusplatz in Leipzig dürfte auch eine Mutterpartei NPD zufrieden sein, stimmt sie doch in den Tenor diverser Talk-Shows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ein, mit denen Muslime/a pauschal diskreditiert werden sollen.
3. Warum gelingt in Döbeln wiederholt kein wirksamer Protest?
Die 500 Menschen, die am 4.10. in Döbeln gegen Nazis protestierten, haben verschiedene Motivationen und Methoden. Ein Teil der Wohnbevölkerung besuchte die Kundgebung des OBM auf dem Markt – nett gemeint, vor allem aber symbolisch. Zudem war am Wettinplatz am Treibhaus wie gehabt eine bürgerlich-zivilgesellschaftliche Kundgebung angemeldet. Diese erfüllte die Funktion des symbolischen Schutzes für das Zentrum und fungierte als Rückzugsraum (im Sinne von Entspannung) für Antifaschist*innen. Ein Mikro-Bruchteil der Menschen in Döbeln interessierte sich überhaupt für das Geschehen.
Die AntifaschistInnen um die Plattform RDL (Rosswein-Döbeln-Leisnig)-Nazifrei hatten sich gegen Anmeldungen und für dezentrale Aktionen entschieden – nach der eigenen Auftaktdemo im vergangenen Jahr ein Versuch Protest anders zu strukturieren. Dieser Versuch bleibt unterm Strich wenig erfolgreich. Der Protest blieb vereinzelt. In Sitzblockaden mit 20 – 40 Menschen muss man nicht bis zur polizeilichen Räumung warten, wenn die Aktion sowieso keine Perspektive hat. Die Unterstützung der antifaschistischen Mobilisierung aus dem regionalen Umland blieb hinter ihren Möglichkeiten zurück. Trotzdem stellte das antifaschistische Spektrum das absolute Gros derer, die überhaupt auf die Straße gegangen sind.
Summa summarum: die Nazis losen, Stadt und Zivilgesellschaft bleiben symbolisch, die Polizei kontrolliert die Stadt und Antifaschist*innen bleiben vereinzelt und insgesamt zu wenige.
Es bleiben die alten Lehren: Naziaufmarsch ist nur einmal (plus) im Jahr – die eigentliche Überzeugungsarbeit muss jeden Tag passieren/ Protest sollte zentralere Formen finden, gerade wenn die Polizei das Bild dominiert/ Die Großstadtantifaschist*innen sollten ihren Fokus erweitern und einen Samstag der solidarischen Unterstützung ihrer Genoss*innen im flachen Land dem Kiez-Kosmos vorziehen.
>>> Fotos vom Naziaufmarsch >>> von Sören Kohlhuber und >>> Marcus Fischer
„3. Warum gelingt in Döbeln wiederholt kein wirksamer Protest?“
Die einfachste und ehrlichste Antwort fehlt: schlechte Vorbereitung.