An vielen Stellschrauben gedreht, aber Konturen für eine Trendwende im Justizvollzug sind noch zu schwach

Im Rahmen der Debatte zum Doppelhaushalt des Freistaat Sachsen habe ich zum Bereich Justizvollzug im Staatsministerium der Justiz, für Demokratie, Europa & Gleichstellung gesprochen. Mit eigenen Änderungsanträgen fokussierte meine Fraktion diesmal auf die Verbesserung der Situation von Inhaftierten.

Ich möchte im folgenden einen Blick auf den Bereich Justizvollzug werfen,  dies ist nur ein kleiner Teil im Einzelplan 6, nur ein kleiner Teil eines großen Ministeriums unter grüner Führung.

Gerade in diesem Bereich müssen massive Fehler der Vergangenheit korrigiert werden. Wir kennen die Situation auch aus früheren Haushaltsverhandlungen: Das Justizvollzugspersonal wurde heruntergespart, obwohl die Zahl der Gefangenen wuchs und wächst und die Altersentwicklung gegen die Zeit spielt. Personalmangel ist für keine*n der Beteiligten gut: weder für die Belegschaft, die unter Überlastung leidet, noch für die Gefangenen. Das Top-Thema bei der Gefangenenmitverantwortung in der JVA Leipzig war vor geraumer Zeit das Fehlen von Freizeitmöglichkeiten. Nicht nur Corona führte hier zu herben Einschnitten, sondern auch das fehlende Freizeitpersonal. Eine überlastete JVA-Beamtin hat auch kein offenes Ohr für die Sorgen der Inhaftierten. Auch begleitete Lockerungen können so unter den Tisch fallen. Gut, dass das Justizministerium hier umsteuert.

Doch die Diskussion über den Justizvollzug darf sich nicht nur auf die Personaldebatte und Quantität fokussieren.

Und wir sehen wohlwollend, dass auch an qualitativen Stellschrauben gedreht wird und Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt: So soll die Suchtbehandlung verbessert und auch der Vollzug in freien Formen ordentlich gestärkt werden. Gerade bei letzterem dürfen wir bei dem Projekt, das wir mit dem Seehaus haben, nicht stehen bleiben und auch andere Zielgruppen und Konzepte ins Auge fassen. Dies unterstützen wir.
Doch schauen wir auf das, was wir in diesem Bereich schon haben: Die Plätze im offenen Vollzug und die weitere Stagnation bei deren Belegung – im Jahr 2019 im Schnitt 36 % und 2020 rutscht die Zahl sogar noch weiter runter. Daran müssen wir deutliche Kritik üben. Hier könnten wir schon im bestehenden System von Lockerungen Gebrauch machen.

Mit eigenen Änderungsanträgen wird seitens der Koalition auch in weiteren Bereichen nachgesteuert. So haben sie unsere Idee zur Stärkung des Ehrenamts in bzw. um die Gefängnissen mit etwas weniger Geld faktisch übernommen. Das zeigt: Sie wissen um die Bedeutung des dauerhaften Kontakts zur Außenwelt, Kommunikation und Unterstützung in vielen Lebensbereichen. Die vielen zarten Ansätze von Initiativen, die sich auch in Sachsen ehrenamtlich um Gefangene kümmern, brauchen Unterstützung. Wir wünschen uns, dass nach dem Vorbild des Landesverband für Straffälligenhilfe e.V. Hamburg  ein Netzwerk von gemeinnützigen Akteuren aufgebaut wird, das das Ehrenamt qualifiziert begleitet und fördert.

Oder bei der gesundheitlichen Versorgung der Gefangenen. Das ist auch dringend nötig, denn die gesundheitliche Situation von Inhaftierten ist schlecht und wird durch die Haft nicht besser. Fehlende Ärzt*innen und Psycholog*innen, aber auch der Spardruck bei konkreten notwendigen Gesundheitsausgaben – diese Realität kennen Gefangene nur zu gut. 

Die Corona-Pandemie hat das geschlossene System Gefängnis und seine Insass*innen heftig belastet. Während mit der Aussetzung von Kurz- und Ersatzfreiheitsstrafen eine notwendige Entspannung bei der Belegung eingetreten ist, traten Gesundheitsrisiken viel dringlicher zutage. Vor allem aber die Ansätze der Resozialisierung gerieten massiv unter Druck. 

Im vorliegenden Doppelhaushalt sind uns die Konturen für einen wirklichen Paradigmenwechsel zu dünn gezeichnet. Warum bauen wir für viel Geld ein neues Gefängnis, wo wir mit grundlegenden Reformen, wie der Abschaffung oder zumindest stärkeren Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen vielleicht sogar Gefängnisse schließen könnten? Wo bleiben die Weichenstellungen für ein Mehr an Resozialisierung, für die viele Ansätze im Strafvollzugsgesetz gelegt sind, für ein besseres Übergangsmanagement für die, die die bald wieder in Freiheit kommen? Wo bleibt die notwendige Debatte um Haftvermeidung und alternative Formen der Verantwortungsübernahme bei Regelübertritten, wo die Ansätze für Alternativen zum bloßen Wegsperren? Insgesamt nur 60.000 Euro für Ansätze der Restorative Justice sind zu wenig. Hier hätten wir uns deutlichere Wegweisungen gewünscht, auch wenn wir wissen, dass wir diese schwierige Debatte nicht im Kontext des Haushaltes führen können. 

Wir haben in unseren Haushaltsanträgen den Schwerpunkt auf die Verbesserung der Situation der inhaftierten Menschen gelegt. Dazu mehr in der Antragsbehandlung. 

Sehr geehrte Katja Meier, wissen sie uns weiter an ihrer Seite, wenn es um eine progressive Umgestaltung des Justizvollzugs in Sachsen geht! 

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Änderungsanträge der Linksfraktion:

> Erhöhung der Verpflegungssätze

Ein oft durch soziale Netzwerke geisterndes Bild ist das karge Essen in Gefängnissen. 3,05 Euro pro Kopf beträgt der tägliche Verpflegungssatz pro Person in sächsischen Gefängnissen Wir wollen ihn an den der Krankenhäuser angleichen und damit verdoppeln. Was wir damit auf die Agenda setzen ist keine Annehmlichkeit oder gar Luxus, sondern ein zutiefst gesundheitspolitisches Thema. Gesunde und ausgewogene Ernährung ist gut für die physische und psychsische Verfasstheit und die ist, wie wir wissen, bei Gefangenen nicht sonderlich gut und verschlechtert sich in der Regel durch den Aufenthalt im geschlossenen Strafvollzug. Viele Gefangenen kommen aus prekären sozialen Verhältnissen und bringen darum gesundheitliche Vorbelastungen mit.
Unser Antrag kann für Inhaftierte ein Baustein für mehr Gesundheit sein.

> Gesundheit

Wir nehmen positiv zur Kenntnis, dass sie an verschiedenen Stellschrauben zur Verbesserung der Gesundheit von Gefangenen drehen. Straffällige leiden viel häufiger an Vorerkrankungen, Sucht und Gewalterfahrungen spielen eine große Rolle. Das Leben im geschlossenen Vollzug verbessert diese Situation nicht, im Gegenteil. Bisher sind 9,5 Ärzt*innenstellen für über 3000 Gefangene zuständig, ein Arzt bzw Ärztin also für über 300 Gefangene. Gut dass sie hier eine weitere Stelle schaffen wollen. Auch die Telemedizin, die modellhaft eingeführt wird, ist ein guter Ansatz.

Das Grundproblem bleibt allerdings: Gefangenen sind keine Teil der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Kosten für ihre Versorgung verbergen sich im Justizhaushalt. Und nicht nur wir meinen: Die Gesundheitskosten sind zu niedrig. Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass seitens des Justizministeriums versucht wird die Kosten für Behandlungen zu drücken.

Zirka 2000 Euro stehen Gefangenen an Gesundheitskosten zu. Die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenkassen in Sachsen für die Bevölkerung liegen durchschnittlich doppelt so hoch. Es liegt auf der Hand: Hier liegt etwas schief. Gefangenen steht nach dem Angleichungsgrundsatz eine gleichwertige Behandlung wie gesetzlich Versicherten zu, dieser gesetzliche Auftrag ist objektiv nicht erfüllt, Gefangene sind Patient*innen 2. Klasse. Dieses Missverhältnis wollen wir lindern.

Der Landesrechnungshof Schleswig Holstein konstatiert auf die Gesundheitsausgaben vor Ort, dass der „aus den Lebensumständen und der Lebensführung resultierende prinzipiell höhere Behandlungsbedarf der Gefangenen […] im Ergebnis auf die Gesundheitskosten kaum durchschlägt“ und wundert sich darüber. So viel Empathie und Fürsorgen erwarten wir nicht unbedingt vom Sächsischen Rechnungshof, wohl aber von ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen. Ich bitte um Zustimmung.

> Telefonie

Stellen sie sich vor, dass für ihre tägliche Arbeit nur 1-3 Euro pro Stunde bezahlt bekommen oder gar nicht arbeiten dürfen und auf ein geringes Taschengeld zurückgeworfen sind, von dem sie überteuerte Lebensmittel und ihre überteuerte Telefonate kaufen müssen.

So sieht es in den sächsischen Gefängnissen aus. Hier diktiert der Telekommunikationsanbieter Telio den Preis. Telio ist in den JVAn Monopolist und lässt sich das teuer bezahlen.

Im Sächsischen Strafvollzugsgesetz ist die Angleichung der Lebensverhältnisse im Vollzug an die in Freiheit festgeschrieben. Das lässt sich in Bezug auf die Möglichkeit der Kontaktaufahme und Kommunikation der Gefangenen zu ihren Familien nicht behaupten. Der Grundsatz der Wahrung und Förderungen des Bezugs der Gefangenen zum gesellschaftlichen Leben wird aus unserer Sicht damit verletzt.

Die schmerzliche Trennung von den Liebsten und Freund*innen wurde durch Corona und die Besuchseinschränkungen verschärft. Und doch wurden gerade in Pandemie-Zeiten Möglichkeiten eröffnet, die es vorher nicht gab: Die Ausweitung von Skype-Telefonaten auf alle JVA oder die Gewährung von Freiminuten zum Telefonieren.

Was ist in Krisenzeiten möglich ist, muss nicht schlecht sein, das haben wir in den letzten Monaten an vielen Stellen gemerkt.

Und so fordern wir in unserem Antrag, dass endlich ermöglicht wird, das Gefangene nicht nur zu überteuerten Preise Menschen anrufen dürfen, sondern endlich auch angerufen werden können. Es wirkt anachronistisch, dass wir an dieser Stelle, im 21. Jahrhundert, so etwas ernsthaft fordern müssen.
Wir beantragen konkret die Finanzierung einer Freischaltgebühr und eines Telefonguthabens von zwei Stunden für jede und jeden Gefangenen. Das sollte mit 15 Euro pro Monat und Kopf möglich ein. Die gesetzliche Grundlage dafür folgt mit der Änderung des Sächsischen Strafvollzugsgesetzes im Haushaltsbegleitgesetz.

Sie wissen jedoch, unsere Position ist grundsätzlicher: Beenden wir endlich die Kooperationen mit Telio und suchen Anbieter*innen, die diese Dienstleistung günstiger erledigen oder viel besser: Nehmen wir es als Freistaat selber in die Hand.

Die Anträge wurden abgelehnt.

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