Am Samstag, 21. April fand in Leipzig-Plagwitz eine Hausbesetzung statt. Fünf Menschen nahmen über mehrere Stunden ein leer stehendes Haus in der Naumburger Straße 40 in Beschlag. Rund herum entwickelte sich über Stunden eine entspannte, straßenfestähnliche Stimmung, die schlussendlich von der Polizei beendet wurde.
Diese war in großer Zahl, auch aus Sachsen-Anhalt und mit SEK-Kräften und Hubschrauber aufgefahren um der vollkommen entspannten Situation ein zwangsweises Ende zu setzen. Als Grund dafür musste nicht nur die widerrechtliche, aber plausible Inbesitznahme eines ungenutzten Hauses herhalten, sondern auch Gerüchte, dass die BesetzerInnen zu Gewalt aufrufen würden und z.B. Steine im Haus gebunkert hätten. Dem war allerdings nicht so. Den BesetzerInnen und ihren direkt vor dem Haus Solidarität übenden UnterstützerInnen ging und geht es um Freiräume, um die Nutzung von leer stehenden Häusern und um das Hinweisen auf die in der Stadt Leipzig wachsende Gefahr von Segregation durch steigende Mieten.
Im Jahr 2011 hatte in Leipzig eine Debatte um Gentrifizierung begonnen. Seitdem fanden zahlreiche Veranstaltungen und wenige Aktionen zum Thema der (sozialen und kulturellen) Aufwertung von Stadtteilen und der damit einhergehenden Verdrängung von Menschen, die ärmer sind oder einen anderen Lebensstil pflegen, statt. Studien, wie der jüngst erschienende „City Report Region Leipzig“ bescheinigen der Stadt ein wachsendes Mieten-Niveau. Betroffen sind insbesondere innenstadtnahe Quartiere, in denen Mieten schon mal bis zu 10 Euro/ qm Nettokaltemiete klettern, aber auch Ortsteile im Westen, wie Schleußig und Plagwitz. Die Kehrseite der Aufwertung sind stagnierende und wachsende Armutsverhältnisse. Leipzig gilt als Armutshauptstadt der BRD. Die Zahl der Bedarfsgemeinschaften bewegt sich wie die der prekär Beschäftigten auf hohem Niveau. Privatisierungen von kommunalem Wohnraum führen beispielsweise in der Windmühlenstraße zur immensen Erhöhung der Mieten bis zu 122 % (konkret von unter 3 Euro auf über 6 Euro). Folge werden der zwangsweise Umzug von MieterInnen und die soziale Entmischung des Wohnblockes sein. Ein Einzelfall, der sich vervielfältigen kann.
Insbesondere Plagwitz, wo die samstägliche Hausbesetzung stattfand, scheint ein Paradebeispiel für Gentrifizierung zu sein. Hier ist ein Kulminationspunkt der so genannten Kreativwirtschaft, die unweigerlich das Interesse von Menschen mit höherem Einkommen und Sozialkapital sowie InvestorInnen nach sich zieht. Doch liegt es in der Natur der Sache, dass Menschen mit kleinerem Geldbeutel und anderen Lebensentwürfen ihre Lebensumfelder perspektivisch verlassen müssen?
Nein. Das meinen auch die BesetzerInnen und haben mit ihrer Aktion auf jeden Fall eine Menge Aufsehen erregt, das sich medial leider viel zu sehr an vermeintlicher Gewalt festgemacht hat.
Ich zolle den Leuten, die die Aktion durchgezogen haben, und denen die sie solidarisch unterstützt haben, Respekt. Politische Aktionen sind eine notwendige Ergänzung zu Diskussionen über Stadtentwicklung, Freiräume und soziale Belange. Ob die Wahl des Objektes richtig wäre und ob es wirklich nötig war sich von der Polizei räumen zu lassen und die Aktion nicht freiwillig zu beenden, sind Fragen, die die BesetzerInnen dringend diskutieren sollten.
Dokumentation der Pressemitteilung der BesetzerInnen der Naumburger Straße 40:
Am 21.04.2012 wurde von uns in der Naumburger Straße 40 ein Haus besetzt. Das Gebäude ist seit längerer Zeit leer und ungenutzt.
Wir sind eine selbstverwaltete Gruppe von Menschen, die durch diese Besetzung dieses unbewohnte Haus wieder mit Leben füllen wollen.
Die in den letzten Jahren fortgeschrittene, vermeintliche „Stadtteilaufwertung“ lässt Menschen, die den Anspruch selbstbestimmte, alternative, radikale und unkommerzielle Kultur- und Lebenskonzepte umzusetzen, immer weniger Möglichkeiten in dieser Stadt. Wir wollen mit dieser Besetzung nicht nur die Aufmerksamkeit auf eine konzeptionelle Stadtentwicklung, die immer weniger Raum für unabhängige Gestaltung sondern auch auf die mit einer Aufwertung von Stadtteilen einhergehenden Mieterhöhungen richten. Auffällig sind unter anderem auch Kultur- und Aktivitätsangebote,die immer belastender auf Konsum und damit verbundene finanzielle Möglichkeiten ausgelegt scheinen.
Mit der Wiederaufnahme der Gestaltung des Gebäudes wollen wir wieder die Substanz des Hauses als Wohnraum nutzbar machen und andererseits somit die Möglichkeit für unkommerzielle, selbstverwaltete Projektflächen schaffen.
Wir sehen es als wichtig an somit einen unabhängigen Raum für die Entfaltung von Menschen nach ihren Möglichkeiten zu schaffen und Lebenskonzepte fernab von Geschlechter-, National- und Religionszugehörigkeit sowie finanziellen Mitteln zu diskutieren. Wir wollen Menschen die Gelegenheit geben sich aktiv mit Ideenfindungen abseits von Verwertungslogik, Konsumfetischismus und staatlicher Kontrolle zu beschäftigen, sich kreativ statt passiv an der Gestaltung unserer Stadt zu beteiligen.
Ateliers und Werkstätten, öffentliche Gemeinschaftsküche und Platz für politische Initiativen sind nur einige Beispiele für Alternativen, die es möglich machen kreative Ideen selbst umzusetzen, anstatt dabei zu zusehen wie Leipzig eine von Supermärkten, Einkaufszentren und unerschwinglichen, vermeintlich modernen Mietshäuser-komplexen dominierte Stadt wird.
Geld als einziges Mittel, um an der Stadtumstrukturierung teilzunehmen, erkennen wir nicht an.
Mit der Hausbesetzung wollen wir eine Plattform schaffen, die von möglichst vielen Menschen selbstverwaltet und mitgestaltet werden soll.
Lasst und nicht nur davon träumen, Projekte selbst auf die Beine zu stellen, selbstbestimmt zu arbeiten und zu organisieren, zu tanzen und gegenseitig helfend zu diskutieren.
Wir können gemeinsam unsere Lebensräume vielfältiger gestalten anstatt Spekulationen über unsere Wohn- und Lebensräume hinzunehmen.
Sobald es die Situation zulässt freuen wir uns auf Interessierte und Nachbar_Innen
Die Hausbesetzer_Innen mit solidarischen Grüßen an Alle Besetzter_innen in den Häusern dieser Welt.
Squat the world
Presseberichterstattung
Nach Hausbesetzung in Plagwitz: Wächterhausverein steht in Verhandlung mit Eigentümer (Leipziger Internetzeitung, 23.4.2012)
Wächterhaus-Pläne für besetztes Gebäude in Leipzig-Plagwitz – Amtsleiter kritisiert Polizei (LVZ-online, 23.4.2012)