Gleichwertige Lebensbedingungen von Menschen mit Migrationsbiografie auch in Sachsen schaffen

Coronabedingte Benachteiligungen ausgleichen, endlich die Situation in den Aufnahmelagern kritisch prüfen und für Bleiberechte streiten: Mein Redebeitrag zum Bericht des Sächsischen Ausländerbeauftragten für das Jahr 2020.

>> Redebeitrag zum Nachschauen

Anrede

Wir blicken auf den Bericht des SAB aus dem Jahr 2020. Ein Jahr, das unser Leben massiv verändert hat, das die Gesellschaft massiv verändert hat und weiter verändert. Ich spreche über Corona.

Dieses Thema nimmt auch aufgrund der Anregungen aus den Reihen der Abgeordneten eine etxra Raum im Bericht ein. Danke dafür!

In den Antworten auf die Abfrage des SAB wird deutlich, dass die Pandemie Migrant*innen und explizit Geflüchtete besonders negativ betroffen hat: Sie konnten weniger auf soziale Netzwerke, auf materielle aber auch immaterielle Ressourcen zurückgreifen. Und sie wurden weniger gehört.

Von der beengten Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen mit mangelnden Hygiene-Maßnahmen und kaum Möglichkeit Abstand zu halten über das Canceln von Sprachkursen und Integrationsangeboten bis hin zur konkreten Situation von Kinder und Jugendlichen mit Flucht- und Migrationshintergrund. Und dies hängt eng mit deren sozialer Lage zusammen. Denn ja: Menschen mit Migrationsbiografie sind in Sachsen stärker armutsgefährdet und von Armut betroffen. Darunter leiden insbesondere Kinder und Jugendliche, die unter beengten Verhältnissen in Sammelunterkünften leben müssen, nicht über digitale Endgeräte zur Teilnahme an Homeschooling verfügen und gerade für ihre Eltern in noch höherem Maße Dolmetscher- und Vermittlungsdienste übernehmen mussten. Kinder und Jugendliche im Bezug des Asylbewerberleistungsgesetzes waren skandalöserweise zunächst auch vom Bezug eines staatlich geförderten digitalen Endgerätes ausgeschlossen.

Vorbildlich sticht aus dem Bericht das Vorgehen des Landkreises Vogtland heraus, der um Infektionen entgegenzuwirken und Quarantänemaßnahmen ergreifen zu können, Bewohner des Übergangwohnheims in Plauen zum Großteil dezentral unterbrachte. Genau das haben wir angesichts des Risikos in Sammelunterkünften für den gesamten Freistaat gefordert. Denn: In den Kommunen vor allem außerhalb der Großstädte ist Platz, stehen Wohnungen leer.

Der Prozesse der Teilhabe von Migrantinnen und Migranten an dieser unserer Gesellschaft ist durch Corona in jedem Fall gehemmt. Wir erwarten, dass der Ausländerbeauftragte die vielfältigen Problembeschreibungen zur Situation zum Anlass nimmt sich zu kümmern, dass Nachteile ausgeglichen werden und integrative Prozesse ganz besonders gefördert werden. Das geht auch an die Regierung.

Doch gehen wir weiter:

Sie wissen: Uns treibt ganz besonders die Situation in den Sammelunterkünften um. Gerade aktuell wieder verstärkt. Denn: in Sachsen werden neue Kapazitäten in den Erstaufnahmeeinrichtungen in direkter Verantwortung des Landes aufgebaut. Und das mit Mockau 3 und Mockau 2 in Leichtbauhallen, deren Beschaffenheit den Vergleich mit Zelten verdient. Das finden wir gerade im Winter und vor dem Hintergrund der schlechten physischen und psychischen Verfasstheit der neu ankommenden Schutzsuchenden falsch. Wir müssen doch gerade aus 2015/16 gelernt haben, dass es nicht um Unterbringung um jeden Preis gehen kann, zumal die Zugangszahlen sich im Vergleich zu jenen Zeiten in Grenzen halten. Der Heim TÜV für die EA in Landesverantwortung ist dringlich.

Wir haben dort viele Defizite: Zu lange Aufenthaltsdauern, die Problemlagen verschärfen, das immer noch fehlende Clearingverfahren zur Erkennung von besonderer Schutzbedürftigkeit, psychischen Erkrankungen und Traumata sowie den Ausbau von Strukturen zur Versorgung und Behandlung. Insbesondere bei Geflüchteten aus Afghanistan und bei denen, die über Polen den Weg zu uns nahmen, sind die Probleme groß. Eine weiter Baustelle sind die in den meisten EA fehlenden Asylberatungsstrukturen. Nur in Dölzig oder in Dresden wird dies durch unabhängige Träger gewährleistet. In Schneeberg, wo ich kürzlich mit der LDS zu Besuch war, gibt es einen Träger, der allerdings keinen Zugang zur Einrichtung erhält. Hier könnten sie, Herr Mackenroth, auf kurzem Wege unterstützen.

Als drittes und letztes Thema möchte ich die Frage des Bleiberechtes, der Abschiebungen thematisieren. Dieses Thema hat den Landtag in den letzten Monaten bereits mehrfach beschäftigt. Angefangen mit der Abschiebung der Hebamme Adelina aus Leipzig vor etwa einem Jahr, der versuchten Abschiebung von Faisal Jahangir aus Meissen über das Schicksal der Familie Imerlishvili aus Pirna, der Familie Pareulidze aus Meissen oder der Familie Z aus Radebeul.

Wenige der benannten konnten Erfolge erringen, indem sie durch die massive Unterstützung durch Freund*innen und Kolleg*innen wieder einreisen konnten oder Abschiebungen gar verhindert wurden. Viele andere Menschen, die diese Unterstützung nicht hatten, bleiben namen- und gesichtslos. Wir haben uns sehr geärgert, Herr Mackenroth, über ihre Äußerungen zur Unterstützungskampagne für die Familie Imerlishvili, in der sie nicht mal vorsichtig Partei ergriffen, sondern stoisch auf Recht und Gesetz verwiesen und auch Vorwürfe in Richtung der rechtlichen Vertretung der Familie formulierten, die der Wahrheit nicht in entsprachen. Denn die Familie war erst seit Herbst 2020 ausreisepflichtig und hatte dann von dem was Recht und Gesetz ist Gebrauch gemacht, nämlich ein Bleiberecht wegen nachhaltiger Integration beantragt. Das oberste sächsische Verwaltungsgericht hat die Abschiebung der Familie nun rückgängig gemacht und sich auf die ausstehende Prüfung des Aufenthaltsrechtes berufen.

Die eben mit dem Sächsischen Demokratiepreis ausgezeichnete Unterstützungsinitiative „Bring back your neighbours“ stellte in Reaktion auf ihren Beitrag in der SÄZ vom 24.6.21 zutreffend fest: „Wir finden, ein Sächsischer Ausländerbeauftragter, der die Belange von ausländischen Menschen in Sachsen wahren soll und fest an den Rechtsstaat glaubt, sollte nachhaken, kritisieren, einfordern und nicht nur fragen und auf Antworten hoffen.“

Das sehen wir auch so und hoffen, dass sie sich in Zukunft für strukturelle Lösungen stark machen. Wo wir wieder beim Thema der Verantwortung der unteren Ausländerbehörden wären. Wir schlagen ihnen mit unserem Antrag für eine Bleiberechtsoffensive in Sachsen ein weiteres Mal vor die Ausländerbehörden in den Landkreisen und Kreisfreien Städten mit klaren Maßgaben für ein bleiberechtsfreundliches, beratendes Agieren auszustatten, Sperrmechanismen für Abschiebungen während der Prüfverfahren für Aufenthaltsrechte zu verankern oder obligatorisch auch über die Möglichkeit des Härtefallverfahrens bei der Härtefallkommission zu informieren. Auch solche Impulse wünschten wir uns jenseits der bloßen Betrachtung der atmosphärischen Situation in den Behörden. Auch der Spurwechsel light mit Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung ist eine Möglichkeit und sie wissen genau wie ich, dass die Entscheidungspraxis bzw -willigkeit der Ausländerbehörden sehr different ist. Positiv sticht hier wie in vielen Belangen die Stadt Leipzig hervor.

Ja, Fachkräftezuwanderung, Qualifikationsanerkennung, Begleitung von Azubis oder Studierenden mit Migrationsbiografie – das sind wichtige Themen, denen sie im vorliegenden Bericht auch ein extra Kapitel zuteil werden lassen. Kay Tröger vom IG Netzwerk Sachsen sagt im Interview, dass es einer Zuwanderung von 150.000 Menschen pro Jahr bräuchte, um den aktuellen und zukünftigen Fachkräftemangel zu kompensieren. Und wir müssen nur auf die Lücken im Pflegebereich schauen, die gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie besonders schmerzlich ins Auge fallen. Dabei wirkt es gelinde gesagt anachronistisch, wenn aus Sachsen Pflegekräfte abgeschoben werden. Wir meinen: Statt allein in Anwerbung zu investieren liegt doch auf der Hand den Menschen, die schon hier sind, den Weg in Ausbildung und Arbeit zu bereiten und den als Spurwechsel benannten Switch auch auf Bundesebene endlich zu entbürokratisieren und wirklich zu ermöglichen.

Einen Dank möchte ich von dieser Stelle vor allem in Richtung ihrer Geschäftsstelle loswerden, an die engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ihre Arbeit unterstützen und bspw eine beachtliche Zahl an individuellen Beratungen vornehmen, die für sich genommen sehr komplex und intensiv sein dürften.

Auch wenn wir nicht in allen Frage d‘accord sein mögen, hoffe ich auch eine weitere gute Zusammenarbeit im Sinne eines Landes, das allen hier lebenden Menschen gleichwertige Lebensbedingungen und gleiche Chancen für ein gutes Leben bietet.

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