Dokumentation: Erklärung „Kritische Selbstreflexion statt Abwehr und Verdrängung“

Der Landesarbeitskreis Shalom Sachsen hat eine angemessene Reaktion zum Beschluss der Bundestagsfraktion der LINKEN vom 28. Juni („Kritik an israelischer Regierungspolitik ist kein Antisemitismus“) verfasst. Dieser deckelt die Debatte anstatt sie zu führen und vermeidet eine differenzierte Analyse des Antisemitismus 
Antisemitismus ist in unserer Gesellschaft keineswegs ein Randphänomen und schon gar nicht nur ein Pro­blem von „Rechtsextremen“ oder „Linksextremen“. Wie sozialwissenschaftlich Studien belegen, stimmen viele Menschen in der Bundesrepublik klar antisemitischen Aussagen zu.

Aus unserer Mutterpartei gibt es und gab es zu recht immer wieder schallende Kritik, wenn die Verantwortli­chen in Städten und Kommunen ein manifestes Naziproblem in ihrem Ort beiseite geschoben haben. Aus gutem Grunde kritisieren wir, wenn nazistische und rassistische Gewalt bagatellisiert wird, beispielsweise durch Aussagen, wie dass es sich „um einen Einzelfall“ oder „ein Problem von außerhalb“ handele. Immer wie­der betonen wir, dass Rassismus ein Problem ist, das sich durch die gesamte Gesellschaft zieht.

Auch Antisemitismus ist ein Problem eben nicht nur irgendwelcher „Ränder der Gesellschaft“. Der bloße Selbstanspruch nicht antisemitisch und nicht rassistisch zu sein sowie beispielsweise gegen antimuslimi­sche Ressentiments Stellung zu beziehen, ist keineswegs die automatische Erfüllung dieses Anspruchs. Wir wären unehrlich und unkritisch, wenn wir nicht zugeben, dass gesellschaftlich weit verbreitete Ressentiments natürlich auch in unserer Partei (und anderen) zu finden sind. So mag man zwar beispielsweise hundert „Erklä­rungen gegen Islamphobie“ verabschieden, an der Parteibasis haben entsprechende Ressentiments jedoch weiterhin ihren festen Platz – was aufgrund deren allgemeinen Verbreitung auch nicht weiter verwundern kann. Statt diesem Fakt Beachtung zu schenken, legen Teile unserer Partei genau die Mentalität an den Tag, die wir sonst immer kritisieren, wenn es um menschenfeindliche Ideologien und Ressentiments geht. Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass die zentrale Abwehrstrategie nach dem Grundsatz erfolgt, dass nicht sein kann was nicht sein darf.

Der neuerliche Beschluss der Bundestagsfraktion zeigt deutlich in genau diese Richtung. Es wird lapidar fest­gestellt: „Rechtsextremismus und Antisemitismus haben in unserer Partei heute und niemals einen Platz.“ Das Problem beginnt genau da, wo eigentlich normative Sätze in empirische Wirklichkeit umgelogen werden, wo ein (guter) Anspruch aufgegeben wird durch die Behauptung, er sei bereits erfüllt.

Weiter heißt es in der Erklärung, dass der Begriff des Antisemitismus „inflationär verwendet“ werden würde. Vor dem Hintergrund der Vorkommnisse in unserer Partei (Stichpunkte: Flottille, Duisburg, Schal, ‚läppische Frage nach dem Existenzrecht Israels‘) ist die Schutzbehauptung der „inflationären Verwendung“ ähnlich zu werten, als hätte die SPD auf Sarrazin reagiert, indem sie von einer „inflationären Verwendung“ der Begriffe Po­pulismus und Rassismus gesprochen hätte. Inflationär in unserer Partei hingegen ist die Obsession einiger ihrer Mitglieder, sich in ihrer Lieblingsdisziplin „Israelkritik“ (allein der Begriff ist abwegig) zu üben. Es mutet daher seltsam an, wenn Teile der Fraktion meinen, das was bereits ständig passiert, noch einmal beschlie­ßen zu müssen. Der neuerliche Beschluss erachtet es anscheinend ebenfalls als notwendig, die Kritik an Men­schenrechtsverletzungen an Israel zu spezifizieren. Dort, wo es tatsächlich um eine universelle Gültigkeit einer Kritik an Menschenrechtsverletzungen ginge, wäre diese Spezifizierung überflüssig. Kritik am Handeln der Is­raelischen Regierung kann nur dann legitim sein, wenn sie nicht einseitig, d.h. dämonisierend, doppelte Stan­dards setzend und per se delegitimierend ist.

Kritik an „Besatzungspolitik, [..] Blockade gegenüber dem Gazastreifen und [der] völkerrechtswidrige[n] Sied­lungspolitik in den besetzten Gebieten [..]“ wird ungeachtet ihrer Form und spezifischen Ausformulierung eine Generalabsolution erteilt. Die Mehrheit der Fraktion meint in der Erklärung offensichtlich weiterhin, dass die Vor­würfe des Antisemitismus vornehmlich wegen solch einer Kritik an bestimmten Handlungen der Israelischen Regierung erfolgt sind, und blendet die anderen (oben Stichpunktartigen genannten) Vorfälle einfach aus.

Wir wollen nicht länger, dass Abwehrreflexe gegen berechtigte Kritik von außen und innen die notwendige Bear­beitung des eigenen Problems ersetzen. DIE LINKE ist genausowenig wie andere Parteien und Organisatio­nen immun gegen Antisemitismus – nicht wegen des eigenen Selbstverständnis und schon gar nicht aus ihrer Geschichte heraus. Es darf keine Zusammenarbeit, keine Teilnahme an gemeinsamen Demonstratio­nen, Kundgebungen oder Veranstaltungen mit Akteuren und Organisationen geben, die das Existenzrecht Is­raels nicht anerkennen, die offen antisemitisch handeln.

Statt den hehren Selbstanspruch wider die Realität als bereits umgesetzt zu verklären, muss er zurück in die Normativität geholt werden, damit wir uns in der Gesellschaft und unserer eigenen Partei gegen das Problem stellen können, was in diesem Land immer noch gravierend ist: Den Antisemitismus in seinen klassischen und modernen Spielarten.

LAK Shalom, 29.6.2011

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