Mein Redebeitrag auf der Demo „Überwachung stoppen – Grundrechte stärken“ des Bündnis Privatsphäre am 21. Juni 2014 in Leipzig
*** Erst vor zirka einem Jahr wurde an dieser Stelle angesichts der Enthüllungen der Dimension der weltweiten Überwachungs- und Spionagepraktiken von Geheimdiensten durch Edward Snowden demonstriert. Geändert hat sich seitdem kaum etwas. Schlimmer noch: die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit geht gegen den Nullpunkt, die verantwortliche Politik in Deutschland verweigert die schonungslose Aufarbeitung und spielt die Dimension der verdachtsunabhängigen Internetüberwachung herunter, von Konsequenzen ganz zu schweigen. Diese Strategie hat System, so ist der deutsche Staat innenpolitisch eben auch kein unbeschriebenes Blatt, was die Ausspähung und Einschüchterung seiner BewohnerInnen betrifft.
Im Reden über überbordende Kontrolle müssen wir so keineswegs über die kontinentalen oder Landesgrenzen hinwegschauen. Wir befinden uns in Sachsen in einem Bundesland, in dem politisches Agieren, aber auch kritische journalistische Arbeit repressiv geahndet werden. Die Stichworte dürften klar sein: die Massentelekommunikationsdatenausspähung von zehntausenden Menschen, die in Dresden 2011 gegen Neonazis protestierten, der Journalistenprozess im Sachsensumpf-Kontext, Anklage und Prozess gegen den Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König und andere AntifaschistInnen oder die Verfahren nach § 129 (Bildung einer kriminellen Vereinigung) gegen noch 24 Menschen, die Teil einer sogenannten “Antifa-Sportgruppe” sein sollen.. Insbesondere der § 129 lässt umfängliche Überwachungsmaßnahmen zu und hat die Ausspionierung von Zusammenhängen mittels Telefonüberwachung, Postkontrolle oder massenhafter Datenspeicherung zum Zweck.
Es ist auch der Freistaat Sachsen, der für die Überwachung des öffentlichen Raumes in dieser Stadt Verwantwortung trägt. 1996 war der Leipziger Hauptbahnhof das bundesweite Pilotprojekt für die Videoüberwachung öffentlicher Plätze. 1999 folgten die am Roßplatz und am Martin-Luther Ring. Kriminalitätsprävention diente als Legitimation dieser Maßnahmen. Dabei ist längst bekannt und erwiesen: Kriminalität wird durch die elektronischen Augen keineswegs verhindert, sondern verdrängt. Kameras sind nicht in der Lage Straftaten während sie verübt werden zu vereiteln, wenn überhaupt wird ihre Aufklärung erleichtert. Dieser wenig überzeugenden Wirkungsweise stehen die Einschränkung der Bewegungsfreiheit und der Verlust der Kontrolle über die eigenen Daten gegenüber. Denn wer weiß was tatsächlich mit den gesammelten Daten geschieht? Selbst der offizielle Datenschutzbeauftragte scheint dem Treiben machtlos gegenüber zu stehen.
Waren besagte drei Kameras eher unumstritten, lag die Sache bei der polizeilichen Videoüberwachung am Connewitzer Kreuz anders. Das Connewitzer Kreuz ist der zentrale Platz des Viertels im Leipziger Süden, Startpunkt von linken Demonstrationen, Treffpunkt und Aufenthaltsort für verschiedenste Menschen dies- und jenseits des Mainstreams. Als dort ebenfalls im Jahr 1999 eine Polizeikamera installiert wurde, gab es über eine ganze Woche lang täglich Protestdemonstrationen. Eine spektrenübergreifende Kampagne gegen die Überwachung öffentlicher Räume analysierte die Maßnahme als politisch, da gegen die linke Szene im Stadtteil und gegen einen vermeintlichen „sozialen Ballast“, der seine Tage an der „Kaufhalle am Kreuz“ verbringt, gerichtet.
Das Connewitzer Kreuz war und ist kein so genannter Kriminalitätsschwerpunkt, sondern wurde dazu gemacht. Damit wäre auch die Grundlage von derartigen Überwachungsmaßnahmen beschrieben: die Konstruktion von so genannten „gefährlichen Orten“, an denen die Schwelle für den Eingriff von repressiven Maßnahmen staatlicher Organe sinkt, an denen Menschen, die nicht in den Mainstream passen, zu potentiell Verdächtigen gemacht werden, Orte an denen die vorherrschende Vorstellung von Normalität durchgesetzt werden soll.
Die Proteste gegen Überwachung in Leipzig fanden ihren Höhepunkt in einer Großdemonstration mit mehr als 3000 Menschen im Oktober 2000. Die Kamera am Kreuz war infolge der Proteste bereits im April 2000 abgebaut worden, um sie 2003 wieder zu installieren.
Während der Protest gegen die Normalisierung der Videoüberwachung im Süden der Stadt sukzessive verstummte, wurde im Osten, in der Eisenbahnstraße, 2009 die nächste Kamera im öffentlichen Raum installiert. Diesmal sind es nicht Linke und Alternative, die im Fokus sind, sondern DrogenkonsumentInnen.
Doch es ist nicht der viel beschworene „Große Bruder“, der über allem steht und seine Untertanen nieder hält. Wir haben es mit vielen kleine Brüdern und Schwestern zu tun, die Überwachung und Kontrolle alltäglich machen: tausende private Kameras in Läden, öffentlichen Einrichtungen oder an Wohnhäusern, Überwachung am Arbeitsplatz und in öffentlichen Verkehrsmitteln, in virtuellen sozialen Netzwerke oder durch Handydaten .Der Konformitätsdruck, der mit diesem feinen Netz an Überwachung gesponnen wird, wirkt schlussendlich auf uns selbst zurück. Dies spiegelt sich in einem ungebrochenen Vertrauen in Sicherheitsapparate und Methoden der so genannten Kriminalitätsprävention und – bekämpfung. Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“ so der Leitspruch dieser Ideologie.
Doch was nutzt das Aufzählen und Lamentieren? Es ist essentiell zu schauen was der Zweck dieser Maßnahmen ist.
Insbesondere im neoliberalen Kapitalismus haben Überwachung und Kontrolle eine immer wichtigere Bedeutung. Wir müssen nur an die Außengrenzen der Europäischen Union schauen um die tödlichen Schutzmechanismen des reichen Westens vor Menschen, die aus verschiedenen Grund zur Flucht gezwungen sind, zu realisieren. Dieses Grenzregime wird klar mir sozialchauvinistischen Argumentationen legitimiert.
Doch auch im Inneren der Wohlstandsinsel ist Selektion durch Kontrolle und Ausschluss in Gang. Eine Gesellschaft, in der das Recht des Stärkeren gilt, müssen genau jene vor den Deklassierten,Marginalisierten oder politischem Protest beschützt werden. Gated communities, videoüberwachte Hauseingänge, Vertreibung aus den Shoppingmalls oder private Sicherheitsdienste sind Ausdruck dieser Logik. Anstelle von Armutsbekämpfung, Inklusion und Solidarität wird schwere Technologie oder aufgerüstetes Personal aufgefahren.
Mit den Kontroll- und Überwachungspraxen wird mit aller Macht versucht das Bestehende zu sichern und sozialen Spannungen zu begegnen. Diese Motivation spiegelt sich in Leipzig zum Beispiel in der flächendeckend überwachten Innenstadt, in der Eisenbahnstraße oder am Connewitzer Kreuz.
Es ist Zeit sich gegen die Überwachungs- und Kontrolllogik politisch zu organisieren und den Weg in eine totalüberwachte Gesellschaft zu stoppen. Die heutige Demonstration ist ein Schritt auf diesem Weg.
In diesem Sinne: Wir haben etwas zu verbergen. Schluss mit Überwachung, Kontrolle, Verdrängung und Konformitätsdruck. Soziale und kommunikative Lösungen statt Überwachung!***