Oft fällt unter den Tisch, dass das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen zwar alle Frauen gleichermaßen trifft, die Schwere der Auswirkungen aber auch eine Klassenfrage markiert.
Wir haben als linXXnet einen Redebeitrag zur feministischen Demonstration gegen die Kriminalisierung von Abtreibungen gehalten: 151 Jahre: Es reicht!
Als Mitglied der LINKE über Sexismus und strukturelle patriarchale Gewalt zu sprechen, bedeutet derzeit auch, die zahlreichen Fälle innerhalb der eigenen Partei nicht außen vor lassen zu können. So sehr es bestürzt, dass sexualisierte Gewalt auch in emanzipatorischen Strukturen an der Tagesordnung ist, und so dringend es wirksamer Maßnahmen bedarf, um diese Übergriffe und diese Gewalt zu verunmöglichen, werden all diese Bemühungen umso weniger zum Erfolg führen können, je länger der gesamtgesellschaftliche Nährboden der strukturellen patriarchalen Gewalt fortbesteht, auf dem auch die konkreten Übergriffe, die die Linkspartei aufzuarbeiten hat, letztendlich fußen.
Ein großer Baustein dieser strukturellen Gewalt ist der Paragraph 218, dessen historisches Fundament und dessen zerstörerische Auswirkungen inzwischen auch in den Leitmedien so öffentlichkeitswirksam thematisiert werden, wie selten zuvor. Umso skandalöser ist es, dass wir heute immer noch gegen diesen vermeintlichen Straftatbestand auf die Straße gehen müssen, bei einer Bundesregierung, die sich selbst als „Fortschrittskoalition“ bezeichnet. Eine Bundesregierung, die zwar das sogenannte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche aufheben will, die die Kriminalisierung der körperlichen Selbstbestimmung aber unangetastet lässt und damit die mehr als anderthalb Jahrhunderte der Geschichte dieses Unterdrückungsinstruments ganz bewusst fortschreibt.
Oft fällt dabei unter den Tisch, dass das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen zwar alle Frauen gleichermaßen trifft, die Schwere der Auswirkungen aber auch eine Klassenfrage markiert. Dies gilt natürlich vor allem in jenen Ländern mit einem vollständigen Verbot von Abtreibungen, wo die Frage der für einen Abbruch verfügbaren Geldmittel für viele Frauen über Leben und Tod, mindestens aber ihre körperliche Unversehrtheit entscheiden kann.
Und auch in Deutschland müssen durch die fehlende Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen viele Frauen neben der Kriminalisierung, der Stigmatisierung und dem Spießrutenlauf von Beratungsstellen und Ärzt*innensuche oft existenzielle Ängste durchstehen, wie die Finanzierung des Eingriffs gestemmt werden soll.
Dass Schwangerschaftsabbrüche illegalisiert und kriminalisiert werden, hat auch in Deutschland mit seinem eigentlich hochmodernen Gesundheitssystem dramatische Auswirkungen auf die Versorgungslage und die Risiken bei Schwangerschaftsabbrüchen. Die Durchführung von Abtreibungen spielt in der Ausbildung von Ärzt*innen quasi keine Rolle, auch in der fachärztlichen Weiterbildung für Gynäkologie stellen sie keinen Pflichtbestandteil dar.
Wer in seiner späteren praktischen Tätigkeit kompetent Schwangerschaftsabbrüche durchführen will, muss sich dieses Wissen oft in der eigenen Freizeit und in abseits der Universitäten organisierten Workshops aneignen. Wo bei jedem anderen Thema im Medizinstudium größte Sorge für bestmögliche Behandlungsergebnisse und höchste Patient*innensicherheit getragen wird, führt das Aussparen von Schwangerschaftsabbrüchen und damit die implizite Unterstützung der Kriminalisierung und Stigmatisierung dazu, dass die Anzahl von Ärzt*innen, die Abtreibungen durchführen, stetig sinkt.
An all diesen skandalösen Zuständen – der Kriminalisierung, der Stigmatisierung, der Einschüchterung progressiver praktizierender und der fehlenden universitären Ausbildung werdender Ärzt*innen sowie der unmittelbaren gesundheitlichen, existenziellen Bedrohung gerade für sozial benachteiligte Frauen, ändert die sogenannte „Fortschrittskoalition“ im Bund nichts.
Jeder weitere Tag der Gültigkeit des Verbots von Schwangerschaftsabbrüchen bedeutet ganz konkret für unzählige Frauen die Bedrohung ihrer körperlichen und psychischen Unversehrtheit durch Kriminalisierung, Legitimation extrem rechter und fundamentalistischer Abtreibungsgegner*innen, Verschlechterung der ärztlichen Versorgung und existenzielle finanzielle Notlagen – die Bundesregierung scheint das billigend in Kauf zu nehmen.
Um dieses schreiende Unrecht also endlich auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen, bleibt uns als Mittel daher nur, außerhalb der Parlamente und auf den Straßen Druck auszuüben, und den Kampf für körperliche Selbstbestimmung weiterzuführen.
Die Historie dieses Kampfes macht Mut: Die internationalen Frauen*-Kämpfe, die Kämpfe der Frauen in der Weimarer Republik, in der BRD der 1970er-Jahre, und die jüngsten erfolgreichen Kämpfe zur Streichung des Paragraphen 219a zeigen, dass sich das Kämpfen lohnt, und dass der Kampf ums Ganze, für vollständige körperliche und reproduktive Selbstbestimmung, gewonnen werden wird!
Es reicht, mit 151 Jahren Paragraph 218, und es reicht mit Jahrhunderten patriarchaler Gewalt.