ZeltstaDD | Sächsische Zustände – Erfahrungsbericht vom 27. Juli

textsecure-2015-07-28-180126Eine kleine Geschichte zu einem weiteren unbedeutenden Abend in Sachsen.
Von j.frohburg

Es tut mir leid: es ist ein Polizeibericht geworden. Die Perspektive der Geflüchteten und die völlig unhaltbaren Zustände in diesem Zeltlager bleiben aussen vor.

Am Donnerstag wurde in der Bremer Straße in Dresden eine Zelt“unterkunft“1 für Geflüchtete eingerichtet. Seit Beginn der Arbeiten pöbelten „besorgte Bürger“ gegen DRK- und THW-Mitarbeiter_innen, es flogen Steine auf’s Gelände, Helfer_innen wurden beinahe überfahren. „Asylkritik“ auf Sächsisch. Am Freitag Abend demonstrierten Nazis vor der „Zeltstadt“ und es kam zu Übergriffen auf Antirassist_innen, die sich schützend vor die „Unterkunft“ gestellt hatten. Nazis warfen Gegenstände, mehrere Personen wurden verletzt.

Gestern war nun Pegida-Montag in Dresden. Wieder mobilisierten verschiedene Bündnisse nach Dresden, um die Geflüchteten vor dem rassistischen Mob zu bewahren. Eine antirassistische Demonstration weit abseits der Pegidaroute führte vom Bahnhof Mitte in die Nähe der „Unterkunft“, wo sich bereits nachmittags Antirassist_innen eingefunden hatten, um sie mit ihrer Anwesenheit zu schützen.

Der Abend verlief im Großen und Ganzen recht ruhig, größere Nazigruppen schafften es nicht in die Nähe der „Zeltstadt“. Nur einzelne Pöbeldeutsche zeigten Interesse an den anwesenden Unterstützer_innen, vor allem deren Lohnarbeitsverhältnissen und verschiedenen steuerlichen Fragen.

Während die antirassistische Demonstration sehr gut „bewacht“ war, war die Polizei nur mit einem Wagen vor der „Unterkunft“ präsent. Der Fokus der Polizei also der (in Sachsen) übliche. Erst mit Ende der antirassistischen Demonstration tauchten vor dem Zeltlager immer mehr Uniformierte inklusive des üblichen Zubehörs (Kamerawagen) auf. Schnell wurde klar, warum: Die Polizei versuchte tatsächlich eine Weile lang, die Antirassist_innen, die an der Demo teilgenommen hatten, daran zu hindern, zu der Gruppe von Antirassist_innen zu gelangen, die sich vor dem Lager aufhielt. Auf die Frage, warum man nicht dahin dürfe, erging folgende Antwort: Der Durchgangsverkehr solle gesichert werden. Erste Logik- und Argumentationsschwierigkeiten bei der Polizei: Denn die sicherte den Durchgangsverkehr durch eine Vollsperrung der Straße. Man solle sich aber keine Sorgen machen, denn wenn die Polizei voll sperre, kämen ja schließlich auch keine „Asylkritiker“ durch.

Nun wurde eine Kundgebung neben dem Eingang zum Zeltlager angemeldet. Die Polizei konnte die Menschen nicht mehr daran hindern, zu dieser zu gelangen und „sicherte den Durchgangsverkehr“ also erstmal nicht mehr. In dieser Zeit erschienen mehrfach Nazikleinstgruppen an der Unterkunft, fuhren meist in Autos vorbei und schauten sich alles genau an. Einige träumten wohl von der großen lonely-hero-story. Zuerst eine Karre mit Nazikennzeichen (1488) und Nazimukke. Die fuhr sehr langsam am Eingang vom Zeltlager vorbei. Jemand schlug mit einem Gegenstand auf eine Seitenscheibe des Fahrzeugs ein. Auch in Bezug auf das spätere Handeln der Polizei bekommt die Aktion eine besondere Brisanz. Später trauten sich tatsächlich noch zwei Nazis zu Fuß vorbei, die sich dann auch recht schnell wieder entfernen mussten. Leute rennen den Nazis ein Stück hinterher, nun schon mindestens 200 Meter von der Kundgebung vor der Zelt“unterkunft“ entfernt. Klar war: Neonazis hatten Interesse am Geschehen vor der „Unterkunft“ und beobachteten das. Zu welchem Zwecke, braucht hier – auch angesichts der Ereignisse vom Freitag – nicht erläutert zu werden.

Das war im Prinzip die Vorgeschichte, der Rest der Ehre gebührt denen mit den „verdächtig guten Jobs“. Das Folgende mag in der Einzelbetrachtung für sächsische Verhältnisse erstmal nicht aussergewöhnlich wirken, in der Gesamtschau aber handelt es sich um eine relativ gute Performance.

Situation gegen 23:30 Uhr also: Kundgebung vor der Asyl“unterkunft“, Gerenne abseits der Kundgebung, Blaulichtmilieu macht Fahrzeugparade auf der Bremer Straße und setzt dort eine Gruppe von sechs Personen fest, die sich gerade Richtung Tankstelle bewegte. Merke: die Polizei setzt Unterstützer_innen fest – die Nazis verziehen sich unbekannt. Der Anmelder der Kundgebung vor der „Unterkunft“, Jürgen Kasek, Landesvorsitzender der Grünen, ist zufällig der einzige Anwalt vor Ort und wird hinzugerufen. Erstaunliches wird offenbar: Die Polizei kann den Festgesetzten nichts vorwerfen, ausser den Aufenthalt an einem „gefährlichen Ort“. Die Polizei hatte es also geschafft, die gesamte Bremer Straße zu einem „gefährlichen Ort“ zu machen, einem Ort also, wo sie jede_n kontrollieren kann, weil an diesem Ort regelmäßig Straftaten begangen würden. Eine Straße, in der sich seit wenigen Tagen eine Flüchtlings“unterkunft“ befindet. Bis dato einzig bekannte Straftaten, auf denen die Einrichtung des „gefährlichen Orts“ beruhen könnte: Sächsische „Asylkritiker“ haben Helfer_innen angegriffen, Nazis haben Antirassist_innen angegriffen. Die Polizei setzt dieses Instrument ein, um Antirassist_innen zu kontrollieren. Polizeilogik, also wen überrascht’s. Aber schonmal ganz gut gemacht.

Nun ist also der Anmelder der Demo bei dieser Personalienfeststellung. Währenddessen löst die Polizei die Kundgebung auf, ohne dass sie mit dem Anmelder spricht. Der Anmelder erfährt davon erst später, als Kundgebungsteilnehmer_innen aufgeregt anrufen. Denn die Beamten setzen noch einen drauf und verteilen an alle Anwesenden einen Platzverweis, gültig bis 6 Uhr, für die gesamte Bremer Straße. Als der Anmelder zurückkehrt, ist nichts mehr zu retten: die Polizei hat bereits die restlichen Anwesenden verscheucht, keine 30 Menschen sind mehr in der Nähe. Immerhin bekommt man noch eine Begründung für die Auflösung der Kundgebung: die Polizei schätzte die Kundgebung als unfriedlich ein. Die gesamte Kundgebung sei unfriedlich gewesen. Weil eine Scheibe beschädigt wurde. Und Menschen abseits der Kundgebung rannten.2 Mütze ab im Schulhaus!

Es herrschte allgemeine Frustration, das – vorsichtig gesagt – anmaßende Auftreten des Einsatzleiters tat sein übriges. Der wollte offensichtlich Feierabend machen und beglückte die Anwesenden mit Sätzen. „Jetzt machen Sie doch nicht so einen Aufstand, lassen Sie uns das doch wie unter normalen Menschen klären.“ „Unter normalen Menschen klären“! So wie er vorher völlig „normal“ irgend eine Gruppe Personen festsetzen ließ und gleichzeitig eine angemeldete Versammlung ohne Rücksprache mit dem Anmelder auflöste. Das muss man sich erstmal trauen zu sagen, nach dieser – sagen wir – Verkettung eigenartiger Ereignisse unter seiner Federführung. Unter „normalen“ Umständen hätte man das wohl als schlechten Trick bezeichnet. Dann will der Einsatzleiter noch einer anwesenden Journalistin den Presseausweis entreißen, bzw tut er das wirklich. Nun ist es aber leider so, dass Journalist_innen den Presseausweis nicht abgeben, sondern nur vorzeigen müssen. Naja, geschenkt. Weiter: Nach kurzer Besprechung entscheiden alle Anwesenden, dass es sinnlos wäre, vor Ort zu bleiben. Die Auswärtigen fahren weg, die Dresdner_innen begeben sich nach Hause.

Keine zehn Minuten später greift eine Gruppe von 20 bis 30 Neonazis die Verbliebenen an und verletzt mehrere Personen, eine Person muss ins Krankenhaus.

Die Bereitschaftspolizei war da schon verschwunden. Spurlos. Kam auch nicht wieder.

Nach einem Notruf dauert es fünfzehn Minuten, bis zwei Streifenbeamte vor Ort sind. Keiner der Angreifer wurde gefasst. Übrigens sagte Staatskanzleichef Fritz Jaeckel am Samstag bei einem Besuch vor der „Unterkunft“ gegenüber Pressevertreter_innen noch: „Diejenigen, die das tun, werden wir unerbittlich verfolgen und zur Rechenschaft ziehen.“ Sächsisch ist eine komische Sprache.

Alle kehren um, man trifft sich wieder und begibt sich nochmals vor die Unterkunft – zum eigenen Schutz, denn dort sind ein paar weitere Streifenbeamte vor Ort. Die wiederum erklären weiter Erstaunliches. Am Wochenende verlautbarte das sächsiche Innenministerium, dass angesichts der Bedrohungslage nach den Ereignissen vom Donnerstag und Freitag „mehrere Züge der Polizei in die Friedrichstadt verlegt werden“. Innenstaatssekräter Michael Wilhelm wird zitiert: „Polizei wird vor Ort sein. Das ist klar.“ Die Streifenbeamten vor Ort: wissen davon nichts. Wahrscheinlich sind sie die „zusätzlichen Beamten“ des Innenministeriums. Sie sind fast zu bemitleiden.

1Angesichts der erbärmlichen Zustände sei es dem Autoren erlaubt, die gängigen Bezeichnungen für dieses menschenunwürdige Lager in Anführungszeichen zu setzen.

2Dieses Vorgehen der Polizei ist in Bezug auf das Versammlungsrecht äußerst fragwürdig. Damit eine Versammlung insgesamt als unfriedlich eingestuft werden kann, reicht es nämlich nicht, dass einzelne Teilnehmer_innen Gewalt gegen Sachen oder Personen anwenden. In unserem Fall gab es genau einen Vorfall.

2 Gedanken zu „ZeltstaDD | Sächsische Zustände – Erfahrungsbericht vom 27. Juli“

  1. Antisoziales Verhalten in Dresden! Was aber richt richtig stinkt, ist das seit Jahrzehnten nichts getan wird, um Afrika und den Nahen Osten zu stabilisieren, damit die Leute dort vernünftig und in Wohlstand leben können. Sogut wie keiner von denen kommt freiwillig nach Deutschland, sondern notgedrungen wegen den prekären Zuständen mit teils Krieg und bitterem Hunger.

    Die Industrieländer zettel Kriege in diesen Regionen an, destabilisieren die Regionen absichtlich und rauben die Rohstoffe dieser Länder wie Regenwaldholz, Ackerflächen für Rosenzucht, Kaffee- und Kakaomonokulturen…vieles davon mit Kinderarbeit betrieben….Öl, Gold, Diamanten abbau….die Arbeiter bekommen sogut wie nichts, außer eine Staublunge mit ner Gratischance auf Krebs. Die Länder kommen aus der Scheisse nicht raus, weil sie von den Industriestaaten mit einem Finanzgeflecht überzogen werden und die großen Konzerne mit ihren rießigen Geldreserven alles „versklavt“ haben.

    Das ist genauso wie in Leipzig wenn die Finanzinvestoren mehr und mehr Wohnungen und Grundstücke kaufen, in denen die Mieter dann zur Geldvermehrung gemolken werden. Das ist nichts anderes als Sklaverrei, in Afrika genauso wie in Leipzig, nur das es die meisten Menschen nicht merken. Nicht merken, dass sie auf der einen Seite Arbeiten und Geld dafür bekommen, um es auf der anderen Seite wieder abzugeben und am Ende sogut wie nichts zu haben….genau diese nichts zu haben, sondern für andere zu arbeiten, also den Vermieter oder Großkonzerne etc…… das ist Sklaverrei.

  2. Grüsst Euch,

    und Hut ab vor dem Wiederstand und den erlittenen Repräsalien. Trotzdem möchte ich einige Dinge aus der Ferne einbringen. Schon durch die Behandlung von Lothar König durch die sächsische Exekutive wissen wir, das die sächsische Polizei definitiv nicht linksliebend geschweige denn neutral ist. Trotzdem sollte Mensch auch die Aengste der Bürger ernst nehmen. Diese entstehen nicht durch Ueberfremdung, sondern durch massive Desinformation seitens der Volksvertreter und Verklären der Zustände durch Medien und polarisierende Gruppen.
    Nichts erschreckt Menschen so sehr, wie unausweichliche Not. Sich mit dem Flüchtling auseinanderzusetzen, dazu haben die wenigsten Lust. Das ist übrigens das Problem aller politischen Lager, die sich diese Zustände zunutze machen können. Hintergründe, warum im Verhältniss so viele männliche Jugendliche Asylsuchend sind, (Frauen werden nicht aus dem Familienverband entlassen, wenn die Familie schon in einem provisorischen Flüchtlingslager untergekommen ist. Alleinreisende Frauen werden je nach Kulturkreis vergewaltigt, totgeschlagen, eingesperrt oder wird einfach Hilfe die versagt. Die Männer in der Familie haben die Pflicht, für ihre Familie einen sicheren Ort zu suchen. etc.) werden meisst gar nicht anschaulich weiter gegeben.
    Auch warum im Sachsen und Sachsen-Anhalt trotz des ‚Königsteiner Schlüssels‘ in Zahlen so viel mehr Asylsuchende Unterkunft bekommen sollen als zum Beispiel in Bayern und Baden Württemberg, sollte dem Bürger erklärt werden.
    Der Bau einer Zeltstadt, ohne vorherige Information der Bürger und Anwohner, ist auch sehr fraglich. Dabei geht es den meisten Menschen verständlicherweise um die Wut vor der fehlgeschlagenen Informationspolitik und dem einfach übergangen werden statt um spontane und wichtige Hilfe. So sind aggressive Veranstaltungen vor dem Landtag und das Anprangern der Lokalpolitik wohl eher wichtiger, als sich vor dem Zeltlager zusammenzurotten und es damit zu einem viel beliebteren Ziel von braunen Spinnern zu machen. Die Menschen, die es betrifft, sind wahrscheinlich erst einmal froh, irgendwo angekommen zu sein und ein Dach über den Kopf zu haben.
    Ich habe mich letzte Woche mit einer Person unterhalten, welche die Orga von LEGIDA gut nahe steht. Bevor die NPD und andere rechtsextremen Bewegungen die Organisationsstruktur von PE- und LEGIDA unterwandern (siehe die unglückliche Gründung des Dachverbandes ‚GIDA‘ durch Silvio Rößler, welcher schon von beiden Orgas verklagt wurde), sollte sich die Linke mit der Bewegung konstruktiv auseinander setzen. Der Sommer ist fast vorbei und dann kommt Mensch wieder in Erklärungsnot 6-12000 ‚Spaziergänger‘ zu erklären oder gar als verblendete Rechte abzustempeln. Denn in der Realität schafft es die organisierte Rechte höchstens 1500 Personen zu rein politischen Veranstaltungen zu mobilisieren. In der Regel sind es weit weniger, die sich auf einen unverhälnissmässig grossen Rahmen von meisst doppelt so vielen Gegendemonstranten wiederfinden.
    Ich selbst lebe seit fast einem Jahrzehnt in der Schweiz, doch empfinde ich die Radikalisierung und unkonstruktive Auseinandersetzung verschiedener Bewegungen in Deutschland untereinander als erschreckend.

    Mit freundlichem Gruss
    Daniel Kampfmeier

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