Die *gida-Bewegungen sind ein hausgemachtes sächsisches Problem. Sie zeitigen bereits Wirkungen auf Stimmung und (Regierungs)Politik. Ich im Interview mit der SoZ
Juliane Nagel ist die einzige Landtagsabgeordnete der LINKEN, die bei den letzten Landtagswahlen ein Direktmandat geholt hat (in Leipzig). Sie ist auch in der außerparlamentarischen Bewegung aktiv, und hier insbesondere gegen rassistische Diskriminierung und Neonazismus. Die SoZ befragte sie nach dem Erfolg der NoLegida-Bewegung.
Wie siehst du die Dynamik der Pegida-Bewegung? Der Sprung nach Leipzig sollte wohl ein Test sein, um zu sehen, ob sie sich über Dresden hinaus nach Ostdeutschland ausweiten kann.
Die lokalen Ableger von Pegida in Dresden haben im Oktober mit den Mobilisierungen begonnen, da gab und gibt es Ableger nicht nur im Osten, sondern auch anderswo, auch in Ostfriesland und in Bayern. Leipzig ist aber die erste Stadt, wo es Pegida gelungen ist, zwar nicht so viele wie in Dresden, aber doch mehr als 1000 zu mobilisieren. [Köln hatte mit HoGeSa zunächst andere Organisatoren.]
Kannst du die offenkundige Besonderheit Sachsens erklären? Auch hier in NRW gibt es die diversen Kögidas und Dügidas, aber das sind jeweils wenige hundert. Warum sind es in Sachsen und speziell in Dresden so viele?
Darüber wird im Moment viel diskutiert. Linke, aber interessanterweise auch die Landeszentrale für politische Bildung – eine freistaatseigene, jedoch unabhängige Bildungseinrichtung – kommen zu dem Schluss, dass das etwas mit 25 Jahren CDU-Regierung zu tun hat, also einem lange Zeit allein herrschenden Apparat, der sich die Macht mal mit der SPD, mal mit der FDP geteilt hat, doch stets mit einer klaren CDU-Dominanz. Zudem ist die CDU in Sachsen besonders rechts, besonders konservativ, und durch diese 25 Jahre Fastalleinregierung kam es hier zu einem demokratischen Stillstand. Eine hiesige Lokalzeitung hat die Landeszentrale mit der Feststellung zitiert, die Sachsen hätten noch nicht richtig gelernt, was Demokratie und demokratische Kultur überhaupt ist.
Wenn man sich anschaut, was es in den letzten Jahren an Repression gegen Antifaschisten gegeben hat, kann man erkennen, dass Demokratie und Meinungsfreiheit hier unterentwickelt sind und abweichende Meinungen besonders hart verfolgt werden. Es gibt einfach keinen demokratischen Diskurs. Und wenn sich Leute anschicken, den zu führen, werden sie eher kriminalisiert. Dresden ist auch mit dem lange Zeit europaweit größten Naziaufmarsch am 13.Februar, dem Jahrestag der Bombardierung Dresdens, nie richtig klar gekommen, und der demokratische Protest dagegen wurde unterdrückt. Dresden ist eine schwerfällige Stadt.
Die Ankündigung des sächsischen Ministerpräsidenten, mit Pegida reden zu wollen, ist ein Alarmsignal.
In der Linkspartei wird gerade heftig darüber gestritten, wie man mit Pegida umgehen soll. Der Schritt von Ministerpräsident Stanislaw Tillich und ganz besonders Innenminister Markus Ullrich auf Pegida zu – nicht nur auf die Mitläufer, sondern auch die Organisatoren – ist ein ganz fatales Signal, das wir klar verurteilen. Man darf nicht vergessen, dass hier jeden Montag Hass geschürt wird gegen Menschen, die Asyl suchen, gegen Muslime, gegen Menschen, die nicht dem nationalistischen Wahn anhängen. Damit will sich die Sachsen-CDU von der Bundes-CDU abgrenzen.
Fürchtet ihr Konsequenzen im Bereich der Asylpolitik?
Ja, wir befürchten sie nicht nur, sie sind schon auf dem Weg. Zwischen Weihnachten und Neujahr hat der sächsische Innenminister erklärt, er will Tunesien zu einem sicheren Herkunftsstaat erklären. Dieses Prinzip der sicheren Herkunftsstaaten geht eigentlich gar nicht, weil Menschen es dadurch viel schwerer haben, Asyl zu finden oder eine faire Einzelfallprüfung vornehmen zu lassen. Sachsen verbindet damit ein ganz besonderes Interesse, weil es bis zum Jahresende das einzige Land war, das tunesische Flüchtlinge aufgenommen hatte. Der Vorstoß hat Pegida in die Hände gespielt. Zudem kündigte der sächsische Generalsekretär der CDU an, er wolle das gesamte Asylrecht auf den Prüfstand stellen. Das sind explizite Signale in Richtung Pegida, in der Art von: «Wir nehmen eure Anliegen ernst.»
Wie ist das Gegenbündnis aufgestellt?
Da unterscheiden sich Dresden und Leipzig. In Leipzig läuft es besser. Es gibt Kirchen, die klar Position beziehen, die im Kontext der Proteste beispielsweise eine asylpolitische Sektion gegründet haben. Wir haben eine klassische, eher staatstragende Zivilgesellschaft, die sich ganz klar gegen Legida positioniert. Und natürlich Antifa und Antira, die mit ihrer Kritik am weitesten gehen und sich nicht in einen Protest einordnen wollen, der das schöne, weltoffene Leipzig propagiert, sondern zeigen, dass es auch hier Probleme mit Alltagsrassismus, Ausgrenzung von Flüchtlingen usw. gibt. Dieses Spektrum koexistiert und behindert sich nicht gegenseitig.
Warum ist das in Dresden schwieriger?
Leipzig hat eine ganz starke Antifa, eine linksradikale Szene, eine Zivilgesellschaft und auch aktive Kirchen. In Dresden gibt es auch engagierte Gruppen der verschiedenen Spektren, aber es gibt offensichtlich ein Resonanzproblem. Auch die offizielle Stadtpolitik reaagiert in Dresden verhaltener als in Leipzig. So kommt man dann zu Zahlen wie am 25.Januar, da waren in Dresden 5000 Gegendemonstranten unterwegs, während es in Leipzig am 21.Januar rund 25000 waren.
Gegen den Naziaufmarsch in Dresden vor zwei, drei Jahren gab es ein breites Bündnis an Gegendemonstranten. Warum kommt das jetzt in dieser Breite nicht mehr zustande?
Das Bündnis «Dresden nazifrei» ist kleiner geworden, weil der Dresdner Naziaufmarsch erfolgreich von der Bildfläche gekickt wurde, obwohl es ihn in kleinerer Dimension noch gibt. Es gibt auch in Dresden ein Spektrum von Antifa- und linksradikalen Gruppen, ein zivilgesellschaftliches Bündnis wie «Dresden nazifrei» und die Kirchen. Außerdem engagiert sich in beiden Städten die Universität.
Ich denke aber, dass sich Teile der Stadtgesellschaft nicht so gut mobilisieren lassen. Hier kommt die erwähnte Schwerfälligkeit zum Tragen und außerdem scheinen viele das Phänomen Pegida noch nicht einschätzen zu können oder zu wollen. Da gibt es so eine Abwartehaltung und eine Position, die sagt: Das sind keine Neonazis, wir kommen da mit klassischen Methoden des Protestes nicht weiter, wir dürfen die nicht gleich in eine Schublade stecken.
Wie geht es bei euch weiter?
Für Dresden kann ich nicht so viel sagen, ich habe das Gefühl, dass ein hohes Mass an Ausgebranntsein erreicht ist. In Leipzig haben wir noch klarer die gemeinsame Zielstellung, den Pegida-Marsch aufzuhalten, uns in den Weg zu stellen. Neben der Auseinandersetzung auf der Straße muss es jedoch unbedingt eine politisch-inhaltlich Debatte geben, wie man damit umgeht. Denn es ist beängstigend, wenn man sich dieses Bündnis AfD und Pegida anguckt, ist die AfD ja quasi der parlamentarische Arm der Pegida, und die CDU fängt jetzt auch an, offensiver in diese Richtung zu liebäugeln. Wir haben es hier mit einem gesellschaftlichen Block zu tun, der Grundwerte wie Solidarität, soziale Gleichheit und Freiheit in Frage stellt. Da braucht man ein breites gesellschaftliches Bündnis, das sich mit einer konstanten Politik dagegen stellt.
Gibt es konkrete Angebote von eurer Seite?
Nicht so richtig. Für uns als linke Partei und linke Gruppen sind Diskussionsangebote an Pegida oder Legida-Anhänger ausgeschlossen, diese Leute kann man nur schwer erreichen. Die Linie ist eher, den eigenen Politikansatz auch jenseits des Protestes stark zu machen, also politische Ziele stark zu machen, die über Antirassismus und Antifaschismus hinausgehen und auch die Wirtschafts- und Sozialpolitik berühren.
erschienen in: SoZ 02/ 15, Februar 2015
Bild: caruso pinguin