Rede zum Antrag der LINKEN „Unterzeichnung der Europäischen Charta für die Gleichstellung von Frauen und Männern auf lokaler Ebene“: Wozu müssen wir heutzutage noch über die Gleichstellung der Geschlechter diskutieren, wo doch über Jahrzehnte in dieser Frage bedeutende Fortschritte gemacht wurden.
Da ist die weibliche Bundeskanzlerin, da werden hoch angebunden Debatten über Quoten in der Privatwirtschaft geführt. Da sind drei weibliche Rektorinnen an den wichtigen Leipziger Hochschulen, ein eigenes Referat für die Gleichstellung von Mann und Frau in der Stadtverwaltung, da sind Frauenförderpläne oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als ein strategisches Hauptziel der Stadtpolitik.
Seit über 60 Jahren gilt in Deutschland laut Grundgesetz, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. In der Realität ist die Gleichstellung allerdings noch lange nicht verwirklicht, darüber können auch die eingangs genannten Beispiele nicht hinwegtäuschen.
Blicken wir nach Frankreich: dort müssen die Kandidat/-innen der Parteien für alle Listenwahlen strikt alternierend gereiht sein, 50% der KandidatInnen müssen Frauen sein. Können oder wollen die Parteien diese Regelung nicht erfüllen, werden sie zur Wahl nicht zugelassen. Im Jahr 2008 waren mit Hilfe dieses Gesetzes ca. 48,5% Frauen in den Kommunalparlamenten vertreten. Mit einem Anteil von knapp 1/ 3 Frauen hat unser Stadtrat da noch einigen Nachholbedarf, von den obersten Funktionen in der Stadtverwaltung ganz zu schweigen. Und wir können den Blick über die Bänke der Bürgermeister weiter in die Stadt schweifen lassen um den Handlungsbedarf in Sachen Geschlechtergleichstellung zu erfassen. Der aktuell erschienene Situationsbericht “Frauen und Männer in Leipzig 2011“ liefert dazu umfangreiches Datenmaterial.
So verdienen Frauen in Leipzig ca. 17 Prozent weniger als Männer, 2009 waren es „lediglich“ 14 Prozent. Die Situation verschlechtert sich also. Frauen arbeiten zudem häufiger in geringfügig entlohnten Beschäftigungsverhältnissen oder in Teilzeitjobs. Von dem Zuwachs bei den Vollbeschäftigungsverhältnissen profitieren im Augenblick nur die Männer. Sie dominieren auch immer noch in den Leitungs- und Entscheidungsebenen. So wird zum Beispiel nur eine von 14 Fakultäten der Universität von einer Frau geleitet. Obwohl der Universität Leipzig eine Rektorin vorsteht, ist das Rektorat zu vier Fünfteln mit Männern besetzt. An Leipzigs Universitäten und Hochschulen hat nur jede fünfte Professur eine Frau inne.
Diese nur beispielhafte beschriebene Situation von Frauen in Leipzig ändert sich nicht von heute auf morgen. Wir müssen aktiv bleiben und an Veränderungen arbeiten. Quoten sind nur ein kleiner Mechanismus um Frauen Zugänge zu ermöglichen, die historisch für sie geschlossen sind.
Es bedarf verschiedenster Instrumente, in allen gesellschaftlichen Teilbereichen, und es bedarf einer kontinuierlichen Veränderung des Bewusstseins, der Beiseitigung von Geschlechterstereotypen.
Dazu soll unser Antrag für die Unterzeichnung der Europäischen Charta für die Gleichstellung von Frauen und Männern auf lokaler Ebene beitragen.
Die Charta wurde vom Rat der Regionen und Gemeinden Europas erarbeitet und 2006 verabschiedet. Kommunen in Europa sind seitdem aufgerufen sich durch die Unterzeichnung der Charta formell und öffentlich zum Grundgesetz der Gleichstellung von Frauen und Männern zu bekennen und die in diesem Dokument verankerten Verpflichtungen auch umzusetzen. Sechs Grundsätze, die sie in unserem Antrag nachlesen können, definieren einen Rahmen für das Handeln im Sinne der Gleichstellung, weiterhin werden konkrete Handlungsfelder benannt, in denen die Geschlechtergleichstellung befördert werden soll – und schließlich, und dies ist hervorzuheben – wird der Weg zur Umsetzung der Charta gewiesen.
Dies soll durch einen Aktionsplan erfolgen, der innerhalb von zwei Jahren erarbeitet werden und entsprechend der lokalen Gegebenheiten und Notwendigkeiten konkrete Maßnahmen und einen Zeitplan zu deren Umsetzung vorschlagen soll. Der Aktionsplan ist das Herzstück der Unterzeichnung der Charta und setzt die Unterzeichnung faktisch erst in Kraft.
Wir wünschen uns ganz besonders, dass die Stadt und hier das federführende Referat für die Gleichstellung der Geschlechter in den Prozess der Erarbeitung des Aktionsplanes Expertinnen und Experten aus allen gesellschaftlichen Bereichen – aus Vereinen, Initiativen, Wissenschaft, Wirtschaft, Arbeitswelt und Politik einbezieht.So kann ein weites Spektrum an Themen und Notwendigkeiten erfasst und schließlich auch angegangen werden. Und es bietet sich damit auch die Chance einer breiten öffentlichen Debatte über Geschlechtergleichstellung in Leipzig.
Und noch eine letzte Anmerkung; Gleichstellung von Frau und Mann darf nie heißen, dass nur Frauen sich an die männlich geprägte Welt anpassen und sich in dieser einen Platz erkämpfen, echte Gleichstellung muss heißen, dass auch Männer sich verändern und alte Gewissheiten über den Haufen geworfen werden.
Der Antrag wurde gegen die Stimmen der Mehrheit der CDU-Fraktion angenommen, ob das städtische Referat für die Gleichstellung von Mann und Frau eine Stellenaufstockung bekommt, wie es ein Ergänzungsantrag des Gleichstellungsbeirates forderte, wird im weiteren Verfahren diskutiert und entschieden.
Ein Gedanke zu „Weit entfernt von der Gleichstellung der Geschlechter“