Folge 20 der linXXnet-talXX – diesmal wenden wir uns erneut unterstützenswerten solidarischen Initiativen zu, die in der Corona-Krise dort unkomplizierte Unterstützung leisten, wo der Staat versagt, und deshalb Menschen in existenzbedrohliche Situationen geraten. Eine dieser Initiativen ist die selbstorganisierte Gruppe »Directsupport Leipzig«, deren Vertreter*innen Fritz und Mo in dieser Folge meine Gäste sind.
Zu Beginn unseres Gesprächs werfen wir einen Blick zurück auf die hinter uns liegenden Monate des Lockdowns und der ersten Infektionswelle, in dessen Zuge sich Directsupport zusammengefunden hat. Mo erzählt davon, wie zuerst Gruppen mit ähnlicher Zielsetzung in anderen Städten entstanden, sich motivierte Menschen in Leipzig mithilfe der Gruppe aus Halle vernetzen konnten und die Website von Directsupport bereits nach wenigen Wochen der Strukturarbeit bereits Anfang April an den Start ging.
Anschließend erläutert Fritz, wie die durch die Gruppe angebotene Hilfe ganz konkret aussieht. Orientiert an der Vorgehensweise der Ortsgruppen in Berlin und Halle gibt es verschiedene Online-Infrastrukturen: einen Mail-Account, eine Website und einen Telegram-Channel. Menschen, die helfen wollen, können dann via Telegram bei den fast täglichen »Bietrunden« eine Nachricht schreiben, wenn sie bei den in den Channel geteilten Gesuchen finanzielle Unterstützung leisten möchten, und werden dann anschließend durch Directsupport mit denjenigen vernetzt, die das Geld benötigen.
Danach berichten die beiden von der herausfordernden Arbeit bei Directsupport, auch im Hinblick auf die internen Prozesse, die coronabedingt bis vor kurzem ausschließlich auf digitaler Ebene stattfanden. Ebenso kompliziert stellt sich für sie die Frage dar, welche Kriterien die Anfragen nach finanzieller Unterstützung erfüllen sollten, um eine Ausnutzung des Angebots ohne tatsächlichen Bedarf zu verhindern. »Das ist bei uns immer eine große Diskussionsfrage, weil wir da in einer blöden Entscheidungsposition sind, in der wir eigentlich gar nicht sein wollen«, beschreibt Mo die Haltung der Gruppe dazu.
Auf jeden Fall erhalten alle Hilfesuchenden vor der Sammlung des Geldes eine Liste anderer staatlicher und nicht-staatlicher Unterstützungsmöglichkeiten, damit die direkten Geldzahlungen auch wirklich diejenigen Menschen erreicht, die durchs Raster aller anderen Hilfsangebote fallen. Trotzdem ist es Directsupport ein Anliegen, mit allen Mitteln zu »versuchen, da die Bedarfe nicht gegeneinander aufzurechnen«, wie Mo erläutert. Ebenso sei es der Anspruch der Gruppe, »dass die Menschen das auch möglichst anonym einfach machen können und die Hemmschwelle nicht so hoch ist«.
Anschließend wenden wir uns kurz den verschiedenen Menschengruppen zu, welche die Unterstützung von Directsupport in Anspruch nehmen müssen, wie etwa internationale Studierende, (Leih-)Arbeiter*innen aus europäischen Nachbarländern, Sexarbeiter*innen oder Menschen ohne Papiere, und besprechen, ob alle Gesuche denn eigentlich auch wirklich aus Leipzig kommen – was natürlich angesichts der anonymen Kontaktmöglichkeiten nicht abschließend beantwortet werden kann. Zwar habe es, wie Fritz erzählt, zu Beginn des Projekts auch Versuche gegeben, ein bundesweites Netz an Directsupport-Gruppen zu errichten, um in ganz Deutschland existenzbedrohten Menschen unkompliziert zu helfen – was aber leider nicht funktionierte.
Im zweiten Teil unseres Gesprächs wechseln wir zu kontroverseren Aspekten über: etwa der Fragestellung, ob nun praktische und konkrete Hilfsangebote, oder der Kampf für grundsätzliche und strukturelle Veränderungen das Mittel der Wahl für eine Veränderung der Verhältnisse sein sollten. Mo und Fritz können dabei viel über interne Diskussionen und auch Kritik von außen berichten, welche etwa behauptet, die finanzielle Unterstützung von Menschen zur Deckung der nötigsten Kosten schwäche radikalere Optionen wie die eines Mietstreiks und damit die Chance, gesellschaftliche Probleme an der Wurzel zu packen und nicht nur oberflächlich zu kurieren.
»Ich würde das aber ganz klar zurückweisen, dass wir irgendwie ein rein karikatives Projekt sind oder so, das zentrale ist einfach, dieses Geld umzuverteilen«, sagt Fritz dazu, und verweist ebenso auf den Anspruch von Directsupport, mit der eigenen Arbeit auch zentral auf strukturelle Ungleichheit aufmerksam zu machen. Mo kommt danach darauf zu sprechen, dass viele Menschen mit ohnehin existenzbedrohlichen Nöten meist weder die Kraft, noch den sozialen Rückhalt oder nachhaltige finanzielle Unterstützung für einen Mietstreik hätten und Directsupport weiterhin ebenso den Bildungsaspekt aufzeigen wolle, »dass ein anderer Umgang mit Geld auch möglich ist, also ein bedingungsloses Schenken möglich ist«.
Bevor wir zum Schluss kommen, benennen Mo und Fritz noch die politischen Forderungen von Directsupport, welche von der Entprekarisierung von Jobs, der Sichtbarmachung und fairen Bezahlung von Care-Arbeit über den Kampf gegen strukturelle Diskriminierung und für den Zugang zu staatlicher Unterstützung für alle Menschen bis zu dem Punkt führen, »dass wir eine viel stärker bedürfnisgerechte Verteilung von Gütern und Geldern wollen, statt diese ganz kleinteilige Leistungslogik«, wie Fritz beschreibt, für den dieses Fernziel auch sein eigener Antrieb bei der Arbeit mit Directsupport ist.
Zum Ende stellt sich wie immer noch einmal die aktuelle Grundsatzfrage: Während zu Beginn der Corona-Krise in vielen gesellschaftlichen Bereichen ein tiefgreifender Paradigmenwechsel möglich schien, sind die Aussichten und Möglichkeiten einer Positionsbestimmung momentan wesentlich nebulöser. Was ist noch möglich, und wofür ist vielleicht der entscheidende Moment verpasst worden?
Auch Mo und Fritz finden, dass sich in der jetzigen Situation nur schwerlich ein Fazit ziehen lasse. »Es ist einfach ein historischer Moment von Offenheit, in dem sich Dinge aushandeln und in dem unglaublich viel in unglaublich viele Richtungen passieren kann und passieren wird und auch schon passiert. An den aktuellen Konjunkturpaketen sieht man, dass es vielleicht weniger schlimm ist, als manche befürchtet haben, aber auch weniger gut, als wir uns wünschen würden«, fasst Fritz seine Position abschließend zusammen.
Die Gruppenmitglieder von Directsupport Leipzig wollen auf jeden Fall weiterhin mit dem Instrument der solidarischen Umverteilung ihren Teil für eine lebenswertere Gesellschaft beitragen. Insgesamt 150 Menschen waren bisher Teil der Telegram-Gruppe, in der die Bietrunden stattfinden, 90-100 sind es aktuell. Damit ist also durchaus noch Platz für viele weitere solidarische Bieter*innen!
Wenn ihr Directsupport Leipzig bei ihrer Arbeit unterstützen wollt oder selbst Unterstützungsbedarf habt, geht’s hier zur Website: https://leipzig.directsupport.care/de
Den gesamten Talk mit Mo und Fritz seht ihr hier: https://youtu.be/mHITN_5F4PY