Review: Döbeln am 5.10. – Antifaschistischer Protest, rabiate Polizei, fast ungestörte Nazidemo

doebeln3Am 5.10.2013 demonstrierten etwa 250 Nazis durch Döbeln. Unter dem Motto „Der Drang nach Freiheit – Gegen Repression und Polizeiwillkür“ hatte vor allem die NPD-Jugendorganisation JN mobilisiert, die gleichzeitig als Veranstalterin fungierte. Bereits in den Jahren 2010 und 2008 war die sächsische Stadt Aufmarschort von Nazis gewesen. Sowohl ein antifaschistisches als auch ein BürgerInnen-Bündnis hatten für den 5.10. zu Protesten gegen den Aufmarsch aufgerufen. Um so mehr verwunderte an jenem Samstag der rabiate Umgang der Polizei mit den Protesten.

Am Mittag des 5.10. hatten sich an die 300 AntifaschistInnen zur Demonstration „Aufwachen. Aufstehen. Dem Naziaufmarsch entgegentreten“ versammelt. Die Demo lief ihre kurze Route und setzte lautstark deutliche Botschaften gegen Neonazismus. Im Anschluss galt es zu den angemeldeten Kundgebungen des Bündnisses „Döbeln ist bunt“ zu gelangen, um dort in Hör- und Sichtweite gegen das Schauspiel der Nazis zu protestieren. Der im Vorfeld versprochene freie Zugang zur Kundgebung am Ostbahnhof, direkt gegenüber des Sammlungsortes der Nazis, wurde dem Gros der AntifaschistInnen allerdings nicht gewährt. Scheinbar griff auch hier die bewährte Selektionslogik der Polizei, die einem vollkommen willkürlichen, auf Äußerlichkeiten und Zuschreibungen basierenden Denkschema folgt.doebeln5

Zahlreiche Gruppen von AntifaschistInnen bewegten sich darum in Richtung der Innenstadt, um Möglichkeiten zu finden auf die angemeldete Route der Nazidemo zu gelangen. Das Ziel war klar und folgte dem Aktionskonsens der AntifaschistInnen NRDL (- Wir leisten Widerstand gegen den Naziaufmarsch.// – Von uns geht dabei keine Eskalation aus.// – Wir sind solidarisch mit allen, die mit uns das Ziel teilen, den Naziaufmarsch zu verhindern.)

In der Ritterstraße Ecke Rudolf-Breitscheid-Straße gelang es dann ca. 100 Menschen zum ersten Mal sich auf der Route niederzulassen. Leider dauerte es viel zu lange bis weitere Engagierte den Weg zu diesem Punkt fanden, bald war der Zugang für Hinzukommende nicht mehr möglich. Zudem verließen einige bereits nach der 1. und dann auch 2. polizeilichen Aufforderung den Ort. Am Ende war die BlockiererInnengruppe derart geschrumpft, dass es für die Polizei ein Leichtes war, diese aus dem Weg zu schaffen. Eine kurz hinter diesem Punkt gebildete neue Sitzblockade mit über 150 Menschen löste sich zu diesem Zeitpunkt abrupt auf und verlagerte sich auf die Brücke Rosa-Luxemburg-Str./ Bahnhofstraße. Dass dieser Punkt tatsächlich neuralgisch war, zeigte der darauffolgende Polizeieinsatz gegen die etwa 300 versammelten AntifaschistInnen: innerhalb von fünf Minuten machte die Polizei ihre drei Räumungs-Durchsagen. Bereits während der dritten Durchsage gingen mehrere Dutzend BeamtInnen extrem brutal gegen am Boden sitzende, friedliche Blockierende vor. Fußtritte, Schlagstöcke und Faustschläge richteten sich auch gegen auf am Boden Liegende. Einzelne wurden über den Asphalt geschliffen, Unbeteiligte und JournalistInnen ebenfalls attackiert. Eine junge Frau erlitt nach einem Schlag auf den Kopf einen Schock. Zahlreiche andere trugen Blessuren davon.

Dass die Bereitschaftspolizei Chemnitz (laut Medienberichten waren Polizeikräfte aus Sachsen, Hessen, Berlin und
Thüringen imdoebeln1 Einsatz, welche Einheit an der Brücke zum Einsatz kam, ist derzeit nicht bestimmt zu sagen) zu den unangenehmeren Einheiten gehört und dass die große Zahl der Einsatzkräfte (es wird von an die 800 gesprochen) wirksame antifaschistische Proteste erschweren würde, war im Vorfeld klar. Dass mit einer solchen Rigorosität gegen Menschen vorgegangen wird, um 250 Nazis den Weg freizumachen, allerdings nicht.
Die AntifaschistInnen NRDL rufen dazu auf Gedächtnisprotokolle und Infos über weitere Verletzungen zuzusenden, damit der Polizeieinsatz ggf. im Nachgang kritisch aufgearbeitet werden kann. Auch Fotos sind erwünscht (hier klicken).

Die Nazis konnten in der Folge ungestört ihre Marschstrecke passieren. Viele Protestierende sahen den Troß zum ersten Mal am Wettinplatz, wo der Treibhaus e.V. eine Kundgebung angemeldet hatte. Hier war der Zugang auch für AntifaschistInnen möglich und zumindest konnte den vorbeiziehenden Nazis mit Lautstärke begegnet werden.
Vom Treibhaus zum Bahnhof konnte der Naziaufmarsch seinen Weg dank Polizei ungestört fortsetzen.
Zudem wurden während dieser Endsequenz noch zwei AntifaschistInnen fest- bzw. in Gewahrsam genommen.

„Gewinnerin“ des Tdoebeln2ages dürfte die Polizei gewesen sein. Diese dominierte zahlenmäßig und verfolgte das klare Ziel zivilen Ungehorsam gegen Nazis zu unterbinden, notfalls mit Gewalt. Ganz so also wie es Engagierte aus und in Sachsen gewohnt sind.

Ob ein wochenlang massiv beworbener Aufmarsch mit letztendlich 250 Teilnehmenden naziseitig wirklich als Erfolg gewertet werden kann, sei dahin gestellt. Fakt ist, dass die Jungen Nationaldemokraten (JN) Personen aus Mittelsachsen bündeln und in ihrer Struktur „überführen“ konnten. Das Thema des Aufmarsches – Antirepression – spielte offensichtlich auf das Verbot der “Nationale Sozialisten Döbeln” (NSD) im Jahr 2013 an. Dieses wurde zurecht als reine Symbolpolitik des zuständigen Innenministers Ulbig kritisiert, denn die NSD waren eine sterbende Struktur. Wie fehlgeleitet derartige Verbote sind, zeigt das Aufgehen der lokalen/ regionalen Akteure in der JN. Offensichtlich versucht das Dreier-Gespann Maik Scheffler (NPD-Sachsen-Vize, Delitzsch), Paul Rzehaczek (JN-Sachsen-Vorsitzender, Eilenburg) und Alexander K. (JN Leipzig) derzeit zudem die Struktur als Vorfeldorganisation der NPD zu stärken.

doebeln4Andererseits ist zu konstatieren, dass es den Nazis wiederum gelungen ist – mit längerem Vorlauf und einer gezielten und langfristigen Mobilisierung – in einer sächsischen Stadt aufzumarschieren. Die alljährlichen „Trauermärsche“ im Februar in Dresden, im März in Chemnitz und im April in Plauen, die geschichtsrevisionistischen Nazi-Interventionen zum Jahrestag des Zusammentreffens der Alliierten in Torgau, die alljährliche Versammlung zum 17. Juni in Dresden oder auch die vergangenen Aufmärsche zum „Volkstrauertag“ im November in Wurzen zeigen einen recht angefüllten Nazi-Demo-Kalender, in dem Döbeln möglicherweise einen festen Platz einnehmen könnte.

Die Proteste dagegen kommen zumeist nicht um lautstarke Meinungskundgabe und erfolglose Blockade-Versuche hinaus. Es scheint als bedürfe es kollektiver und überregionaler strategischer Überlegungen gegen die Aufmärsche der Nazis. Dabei müssten regionale Besonderheiten und die Differenz zwischen Großstadt und kleineren Orten herausgearbeitet werden.
In „Provinz“-Städten schlägt Antifaschist_innen das Extremismus-Paradigma viel stärker und schneller entgegen. So weckt die Ankündigung von antifaschistischen Demonstrationen oder die Debatte um zivilgesellschaftliche Blockade-Versuche oft Angst vor Chaos und Gewalt.
In Leipzig und vor allem Dresden gab es dazu eine jahrelange und durchaus beschwerliche Vorarbeit für die Legitimität zivilen Ungehorsams gegen Naziaufmärsche. Diese Debatten müssen endlich auch in kleineren Städten geführt werden. Ein Verstecken hinter der Angst der örtlichen Bevölkerung und der „besonderen Provinz-Mentalität“, darf nicht zur Entschuldigung für das Verharren in reinen Symbolaktionen werden.

Trotz des Scheiterns effektiver Aktionen zur Behinderung der Nazidemo, war die antifaschistische und zivilgesellschaftliche Mobilisierung nach Döbeln wichtig, richtig und durchaus erfolgreich.

Hieran gilt es anzuknüpfen.

>>> Kontakt Antifaschist*innen Nossen-Roßwein-Döbeln-Leisnig: http://nrdlnazifrei.blogsport.de & twitter.com/NRDL2013

>>> Bündnis „Döbeln bleibt bunt“: http://doebelnbleibtbunt.blogsport.de/

Bild 2 & 3 (Räumung der Blockade): visual.change.photography

Bild 1 (Räumung der Blockade) & 4 (Nazis solidarisieren sich mit der griechischen Nazi-Partei Golden dawn (GD), der derzeit ein Verbot droht. Anlass ist der Mord an einem Antifaschisten, der von einem GD-mitglied verübt wurde) : LINKE Mittelsachsen

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>>> Radio-Interview mit Martin von der antifaschistischen Gruppe NRDL (Nossen-Roßwein-Döbeln-Leisnig) über die Pläne der Nazis am 5.10., über die antifaschistische Demonstration “Aufwachen. Aufstehen…” und über andere Möglichkeiten der Gegenaktionen anhören

3 Gedanken zu „Review: Döbeln am 5.10. – Antifaschistischer Protest, rabiate Polizei, fast ungestörte Nazidemo“

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