Die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag haben anlässlich des diesjährigen Weltflüchtlingstages am 20. Juni 2015 den Preis „Gelebte Willkommenskultur und Weltoffenheit in Sachsen – 2015“ vergeben. Gewinner*innen sind der Verein Bon Courage, das Bündnis „Willkommen in Rosswein“ und die Einzelkämpferin Ines Mättig
Über die Vergabe hat eine Jury entschieden, der Johanna Stoll (Sächsischer Flüchtlingsrat), Emiliano Chaimite (stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Ausländerrat Dresden e. v.), und die Abgeordneten der Linksfraktion Juliane Nagel (Sprecherin für Flüchtlings- und Migrationspolitik), Lutz Richter (demokratiepolitischer Sprecher) und Marion Junge (Sprecherin für Bürger_innenanliegen) angehören.
Die Preisträger/innen sind:
1. Kategorie „Etablierte Initiative“: Bon Courage e.V. Borna http://boncourage.de/
2. Kategorie „Junge Initiative“: Bündnis „Willkommen in Roßwein“ https://www.facebook.com/willkommeninrosswein?fref=ts
3. Kategorie „Engagierte Persönlichkeit“: Frau Ines Mättig, Bautzen
Die Preisgelder von je 750 Euro für Kategorie 1 und 2 sowie 500 Euro für Kategorie 3 wurden von den Abgeordneten gespendet. Mit dem Preis werden Personen und Gruppen gewürdigt, die sich für gelebte Willkommenskultur für Flüchtlinge und Migranten, für Weltoffenheit und Miteinander in Vielfalt sowie persönlich für Geflüchtete und Migranten besonders engagieren.
Rico Gebhardt, Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag, erklärte:
Ursprünglich hatten wir uns entschlossen, den Preis in den Kategorien „Praktische Hilfe“ und „Politisches Engagement“ zu vergeben. Nicht zuletzt der Blick auf die Bewerbungen hat uns aber gezeigt, dass man beides nicht trennen kann. Wer Asylsuchenden praktisch hilft, wirkt immer auch politisch, und wer politisch für Asylsuchende wirkt, hilft ihnen praktisch. Deshalb hat sich die Jury entschlossen, den Preis stattdessen in zwei anderen Kategorien zu vergeben: In der Kategorie „Etablierte Initiative“ für Projekte, die schon eine etwas längere Zeit arbeiten, und in der Kategorie „Junge Initiative“ für Projekte, die erst am Anfang ihrer Tätigkeit stehen. Es ist uns gelungen, noch einen weiteren Preis zu ermöglichen. Mit ihm wollen wir Einzelpersonen würdigen, die sich für Geflüchtete einsetzen, ohne eine Organisation im Hintergrund zu wissen. Auch hier wollen wir die gute Tat fördern, wenngleich es – wie in den beiden anderen Kategorien – leider nur eine unter vielen sein kann. Wir werden alle Engagierten weiter aus ganzer Kraft unterstützen, nicht nur auf parlamentarischer Ebene.
Prof. Dr. Martin Gillo sagte in seinem Grußwort als „sehr stolzes Mitglied der CDU“, dass „wir langsam, aber sicher zu Deutschen aus aller Welt“ werden – die Herausforderung der Integration von Migranten sei „zu groß für die sonst üblichen Abgrenzungen zwischen den Parteien“. Er plädierte beispielsweise dafür, dass Freiwillige Feuerwehren Migranten als Bereicherung sehen.
PM, 19. Juni 2015, Bild: Preisskulptur „Das bunte Nest“ (Philipp Fritzsche, Leipzig)
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Meine Rede zur Preisverleihung
Liebe Anwesende,
ich komme aus Leipzig, bin dort sowohl kommunalpolitisch als Stadträtin als auch als Aktivistin in Initiativen am Thema dran. Seit August bin ich migrations- und flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Sächsischen Landtag.
Und es ist nicht übersehbar: Seit Monaten beschäftigt uns das Thema Asyl intensivst. Wir hatten heftige Schlagabtäusche im Landtag zum Beispiel über die Erstaufnahme, über vermeintlich sichere Herkunftsstaaten, Realität ist auch die Stimmungsmache auf den sächsischen Straße, sei es durch Pegida und Schwestern oder lokale Zusammenschlüsse so genannter besorgter BürgerInnen. Die Zahl von rassistischen Übergriffen auf Unterkünfte und auf Menschen steigt vor dem Hintergrund dieser Mobilisierungen.
Wir haben in den vergangenen Monaten viel diskutiert und verhandelt, über Finanzen, über die Beschaffenheit von Unterkünften, über soziale Betreuung, über Sprachunterricht, aber haben wir uns tatsächlich ausreichend mit den individuellen Geschichten befasst, die hinter den Zahlen stehen, mit denen wir täglich umgehen? Mit dem jungen Arzt aus Syrien, der nach monatelanger Flucht jetzt darauf harrt seine Frau und das noch nie gesehene Neugeborene Kind nachholen zu können, den jungen Mann aus Eritrea, der vor Folter und Unterdrückung fliehend eine höchstgefährliche Fluchtroute nach Europa eingeschlagen hat oder über die Familie aus Serbien, die vor extremer Not und Diskriminierung geflohen ist?
Noch nie seit dem 2. Weltkrieg sind weltweit so viele Menschen auf der Flucht.. Laut Hohem Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) und Amnesty International waren es im vergangenen Jahr weltweit 56,7 Millionen. Syrien ist hier das eindrücklichste Beispiel: 6,5 Millionen Menschen sind im Landesinneren auf der Flucht, fast 4 Millionen in den Anrainerstaaten. Nur ein lächerlicher Bruchteil schafft es bis nach Europa und Deutschland.
Wir müssen bei allen kleinteiligen Debatten den Blick fürs große Ganze behalten.
Genau das wollen wir mit der Präsentation dieser Ausstellung von Pro Asyl erreichen, die wir heute eröffnen.
Die Ausstellung zeigt die Lage in Kriegs- und Krisengebieten sowie in den Nachbarregionen. Sie informiert über Fluchtursachen und Fluchtwege. Sie berichtet über die Situation an den EU-Außengrenzen sowie im Inneren Europas und Deutschlands.
Asyl ist Menschenrecht – so der Titel der Ausstellung. Angesichts der realen Situation müssen wir diesen Titel wohl mit einem Fragezeichen versehen und Fragen stellen:
Wie hält es die EU, an deren Außengrenzen in den letzten Jahren zehntausende Menschen zu Tode kamen, denn tatsächlich mit den Menschenrechten? Wie kann es sein, dass ein sich fortschrittlich wähnender Staat wie Deutschland Geflüchtete in Lager zwingt und ihnen eine umfassende Gesundheitsversorgung verweigert? Wie kann es sein, dass Menschen auf den Straßen Sachsens um ihre körperliche Unversehrheit fürchten müssen?
Nehmen Menschen tatsächlich langwierige und lebensgefährliche Fluchtwege auf sich um hier „Asylbetrug“ zu begehen, wie es selbst von führenden Politikern immer wieder ins Feld geführt wird?
Es gibt viel zu tun, auf gesellschaftlicher wie politischer Ebene. Wir stehen als LINKE mit zahlreichen Initiativen – die, die heute hier sind, oder großen wie Pro Asyl – für ein offenes Europa, für sichere Fluchtwege und dafür, dass Menschen sich hier bei uns ein neues Leben aufbauen können. Wir stehen für die Abschaffung aller diskriminierenden Sondergesetze und die volle Gleichstellung von Geflüchteten. Wir sehen Migration als normales gesellschaftliches Phänomen und die Gewährung von Schutz für eine humanitäre Pflicht.
Ich will keinen Pessimismus schüren, blicken wir allerdings auf die Bundesebene, können wir die Augen nicht davor verschließen, dass CDU und SPD derzeit an einer Gesetzesänderung arbeiten, die als schwerwiegenster Eingriff in das Asylrecht seit dem „Asylkompromiss“ 1993 bezeichnet wird. Mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung sollen unter anderem Asylsuchende einfacher inhaftiert werden, Einreiseverbote erteilt und politische Betätigung von Geflüchteten bestraft werden. Initiativen nennen den Gesetzentwurf darum auch „Inhaftierungsgesetz“.
Es muß für uns heißen, sich vor Ort und praktisch zu engagieren, die politische Ebene, die direkte Auswirkung auf die Lebensbedingungen Geflüchteter hat, allerdings nicht aus dem Blick zu verlieren.