Nur eins ist „sicher“: Dass nach Afghanistan nicht abgeschoben werden kann.

Am Donnerstag, 16. März wurde im Sächsischen Landtag der Antrag der Linksfraktion „Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen – Sicherheitslage neu bewerten“ verhandelt – und mit den Stimmen von CDU, SPD und AfD abgelehnt. Meine Rede zur Begründung des wichtigen Antrags lässt sich hier nachlesen:

Im Winter 2016, also vor gut einem Jahr, besuchte der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere die afghanische Hauptstadt Kabul, um dort für eine Rücknahme von Geflüchteten aus Deutschland zu werben. Während dieses Besuches gab es im Zentrum der Stadt einen Selbstmordanschlag. Mindestens zwanzig Menschen starben, 29 wurden verletzt – die meisten davon Zivilist*innen. Zum Zeitpunkt des Anschlags aß de Maizière in der deutschen Botschaft zu Mittag.

Im März 2017: Anschlag auf das Sardar-Daud-Militärkrankenhaus in der Hauptstadt Kabul mit 30 Toten und zirka 50 Verletzten. IM Februar 2017: Anschlag auf den Höchsten Gerichtshof in Kabul mit 20 Toten und 40 Verletzten. Im Januar 2017: Anschlag auf das Parlament in Kabul mit 28 Toten, im November 2016: Anschlag auf eine Moschee in Kabul mit mindestens 32 Toten. Die Reihe lässt sich im Monatstakt fortschreiben.

Kabul wird von der afghanischen Regierung als eine von 3 sicheren Provinzen eingestuft, weitere 31 gelten als unsicher, da von Krieg; Gewalt und Terror zerrüttet. Die benannten Anschläge in Kabul dürften aber ganz plastisch belegt haben, dass diese Einstufung irreführend ist.

Auf der Website des Auswärtigen Amtes ist – mit Stand 15.3.2017 – unter der Überschrift „Reisewarnung“ zu lesen:

„In ganz Afghanistan besteht ein hohes Risiko, Opfer einer Entführung oder eines Gewaltverbrechens zu werden. Landesweit kann es zu Attentaten, Überfällen, Entführungen und anderen Gewaltverbrechen kommen.“

Nichts desto trotz fruchtet die Lobbyarbeit der EU- und insbesondere der deutschen Führung bei der afghanischen Regierung. Im Oktober 2016 wurde sowohl zwischen EU als auch Deutschland und Afghanistan ein Rücknahmeabkommen geschlossen. Für ein milliardenschweres Hilfspaket soll Afghanistan demnach Europa bei der Rücknahme von Geflüchteten entgegenkommen.Seine 1,7 Milliarden Euro Hilfszahlungen in den Jahren 2017 bis 2020 knüpft die Bundesrepublik unter anderem an die „Bereitschaft zur Kooperation in Migrationsfragen“. So wird Aufbau- bzw Entwicklungshilfe zum Knebel für die durch den Westen zerstörten und ausgebeuteten Länder. Genau wie es derzeit mit einigen afrikanischen Staaten geschieht. Menschenrechte werden so zur reinen Verhandlungsmasse degradiert und das darf nicht sein!

Als Fußnote muss auch hier hinzugefügt werden: einen Tag vor der internationalen Geberkonferenz der EU in Kunduz, auf der besagtes Abkommen geschlossen wurde, griffen die Taliban die Stadt im Norden Afghanistans an. Leider nur ein Mosaiksteinchen im derzeit wieder hart geführten Kampf um Kunduz, die Stadt in der die deutsche Bundeswehr also für Frieden und Freiheit gesorgt hat.

Schauen wir uns die Zahlen in ihrer Gesamtheit an:
Für das Jahr 2016 muss für Afghanistan ein neuer Höchststand an zivilen Opfern verzeichnet werden. 3.498 Tote, 7.920 Verletzte – insgesamt 11.418 Opfer wurden durch die Unterstützungsmission der UNO in Afghanistan, UNAMA, in ihrem Jahresbericht für 2016 dokumentiert und damit drei Prozent mehr als im Vorjahr. Und hören sie bitte gut zu: ein Drittel der zivilen Opfer sind Kinder – in ZAHLEN: 923 tote und 2859 verletzte Kinder. Diese dramatischen Zahlen bedeuten einen Höchststand dessen, was UNAMA jemals pro Jahr erfasst hat.
Für rund 23 % der Zivilopfer sind regierungstreue Kräfte, für 60 % bewaffnete Gruppen wie die Taliban verantwortlich. Mädchen und Frauen müssen gezielte Gewalt durch diese bewaffneten Gruppen ertragen, Menschenrechtler*innen und Journalist*innen werden bei ihrer wichtigen Arbeit bedroht und behindert.

Ein weiteres brennendes Thema sind die Binnenvertriebenen und die erzwungenen RückkehrerInnen, die das Land in den Kollaps zu führen drohen.
Dazu – auch um den europäischen und vor allem deutschen Hochmut zu trüben – sei nochmal auf den Gesamtkontext hingewiesen: im Jahr 2016 lebten zirka 2,6 Millionen afghanische Geflüchtete in zirka 70 Ländern. Etwa 95 – FÜNFUNDNEUNZIG – Prozent von ihnen in Pakistan und dem Iran. In Deutschland wurden im vergangenen Jahr 127.000 Asylanträge von AfghanInnen gestellt – das sind nicht mal 5 % der insgesamt aus Afghanistan Geflohenen.

Auch laut UNHCR hat sich die Lage innerhalb des letzten Jahres akut verschlechtert, das ganze Land wird als Krisenregion angesehen, die innerstaatlichen Konflikt zwischen IS, Taliban-Gruppen und anderen regionalen Clans haben sich ausgebreitet, die Regierung verliert an Stabilität. Trotzdem die Bundesregierung sich den Bericht des UNHCR angefordert hat, jucken sie dessen Erkenntnisse nicht. Das ist hochgradig absurd, spiegelt aber sehr gut die asylpolitische Linie von schwarz-rot wider, wie wir sie zum Beispiel auch bei der Einstufung so genannten sicherer Herkunftsstaaten, die in der Diskussion um Afghanistan ja auch eine Rolle spielt, finden .Nicht mehr die reale Situation in den betreffenden Ländern, sondern die Zahl von Flüchtenden und politisches Kalkül in Wahlkampfzeiten scheinen inzwischen das einzige Handlungsmotiv der politisch Verantwortlichen zu sein. Wir befinden uns in einem Überbietungswettbewerb um die möglichst härtesten und menschenrechtswidrigsten Forderungen.

Trotz der immer weiter eskalierenden Situation in dem von jahrzehntelangen Kriegen – und ich meine hier explizit nicht nur die westliche Intervention seit 2001 – gebeutelten Land will Deutschland Afghanistan als sicher deklarieren und schiebt seit Dezember letzten Jahres wieder Menschen dorthin ab. Drei vom Bund organisierte Sammelabschiebungen fanden seitdem statt. Und dies unter heftiger Kritik breiter gesellschaftlicher Kreise. Die großen Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisiationen und auch zahlreiche Medien haben Widerspruch gegen die neue Linie der Bundesregierung eingelegt und fordern ein Ende der Abschiebungen nach Afghanistan. In zahlreichen Städten fanden Demonstrationen mit tausenden von Teilnehmenden statt. Am 25. März organisieren aus Afghanistan Geflüchtete in Leipzig die nächste Demonstration in Sachsen. Denn auch der Freistaat hat erklärt, sich an den Abschiebungen zu beteiligen.

Einen Abschiebestopp nach Afghanistan und eine Neubewertung der Sicherheitslage in dem Land: Das ist das, was wir im Kern mit unserem hier zur Debatte und Entscheidung stehenden Antrag wollen. Allein die zahlreichen Fakten rechtfertigen diese Forderung. Dem jüngsten Statement der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung Bärbel Kofler ist nichts hinzuzufügen: „Nicht die Lage in Afghanistan hat sich verändert, sondern die innenpolitische Diskussion“. Wir fordern ein Ende des dreisten Ignorierens der Tatsachen und ein Ende des falschen politischen Narrativs über das sichere Afghanistan. Setzen Sie, sehr geehrte VertreterInnen der Staatsregierung und Koalitionsfraktionen, sich dafür auf Bundesebene ein! Hören Sie auf, sich daran zu beteiligen, Menschenrechte zur Verhandlungsmasse zu machen!
Die derzeitige innenpolitische Debatte macht den aus Afghanistan Geflüchteten Angst – und das ist neben der zur Schau gestellten Härte wohl auch das Kalkül der Bundesregierung. Hinzu kommt die Schlechterstellung durch die Einordnung als Geflüchtete mit so genannten schlechter Bleibeperspektive, woraus der eingeschränkte Zugang zu Integrationsleistungen folgt.
Diese Situation führt zu Verzweiflung, Retraumatisierung und Angst, vor allem auch unter den unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, von denen Afghan*innen in Sachsen das Gros ausmachen. So kommt es dann, dass manche dem Druck nachgeben und freiwillig ausreisen. Die tatsächliche Freiwilligkeit darf in diesem Kontext gern angezweifelt werden. Wenn sie sich diesem Instrument als Alternative zur Abschiebung rühmen, liebe Koalition, ist das eine Farce. So oder So: eine Rückkehr und Sicherheit und Würde kann nicht gewährleistet werden.
Auch wenn die Zahl der seit Dezember nach Afghanistan abgeschobenen mit 78 gering klingt sehen wir eine weitere grundsätzliche Linie überschritten.

Abschiebungen nach Afghanistan sind ein Rechtsbruch! Das Verbot der Abschiebung von Menschen in ein Land, in dem ihnen Gefahr für Leib und Leben droht, ist sowohl in der Genfer Flüchtlingskonvention als auch in der EU-Grundrechte-Charta verankert.

Sachsen muss sich an diesem Rechtsbruch nicht beteiligen. Einige Bundesländer übernehmen in dieser Situation Verantwortung und erlassen wie Schleswig-Holstein einen Abschiebestopp wie er nach § 60a Aufenthaltsgesetz möglich ist, andere Bundesländer beteiligen sich einfach nicht an den Sammelabschiebungen – wie neben Niedersachsen und Bremen auch die Nachbarländer Thüringen und Brandenburg. Unsere Forderung nach einem Abschiebestopp kann nur ein Schritt sein. Wir wollen zudem, dass das Land sich für die Erteilung von Aufenthaltstiteln aus völkerrechtlichen und humanitären Gründen statt nur Abschiebungsverboten stark macht und die Ausländerbehörden sensibilisiert Spielräume bei der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen zu nutzen. Genau das können und sollten wir als Bundesland machen! Wir erwarten des weiteren, dass sich der Sächsische Innenminister insbesondere als Vorsitzender der Innenministerkonferenz für eine Neubewertung der Situation in Afghanistan stark macht. Denn das wir das nicht auf Landesebene machen können, ist uns klar.

Helfen sie uns den eiskalten Kreuzzug von Thomas de Maiziere zu stoppen, und zeigen sie auch Mut die humanitären Handlungsspielräume der Bundesländer zu erhalten und zu stärken.

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