In der sächsischen Großstadt Leipzig bricht sich der alltägliche Rassismus Bahn.
Mein Text für den transmitter ™ (FKS Hamburg) April 2014
Spätestens im Sommer 2012 war der Lack ab. Das Label der Weltoffenheit, das sich die Stadt Leipzig zu gern anheftet, wurde zur endgültig Farce.
Nachdem die Stadtverwaltung die von antirassistischen und zivilgesellschaftlichen Initiativen erkämpfte Forderung nach Verbesserung der Wohnbedingungen von Asylsuchenden in ein Konzept gegossen und der Öffentlichkeit vorgestellt hatte, regte sich an vielen Orten der Stadt Protest. Insbesondere gut situierte Anwohner*innen und Häuslebauer*innen konnten sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, Tür an Tür mit Geflüchteten zu leben.
Zwar konnte das rassistische Aufbegehren zumindest eingedämmt werden, der Shitstorm entbrannte allerdings im Herbst 2013 aufs Neue. Einerseits geriet der geplante Bau einer Moschee im Stadtteil Gohlis in den Fokus, andererseits die Nutzung einer Schule im Stadtteil Schönefeld als Notunterkunft für Geflüchtete. Im Unterschied zu 2012 stellt sich aktuell die NPD an die Spitze der Gegenbewegungen. So wird die Facebook-Seite der rein virtuell agierenden Bürgerinitiative „Gohlis sagt nein“ nicht nur von den üblichen Islamhasser*innen von Politically Incorrect zugemüllt, immer wieder finden sich darauf deutliche Lobeshymnen auf die NPD als einzige Partei „auf die man bauen kann“.
Ausgiebig wurde auf besagter Facebookseite darüber sinniert, der verbalen Ablehnung auch Taten folgen zu lassen – ohne dass die Betreiber*innen zensierend eingegriffen hätten. Erst nach einem Anschlag auf das Baugelände der Moschee – fünf aufgespießte Schweineköpfe und ein Feuer – folgten Distanzierungsakte, beispielsweise auch von einer lokalen CDU-Funktionärin, die für eine Online-Petition gegen den Moscheebau verantwortlich zeichnet und anfangs als Mitglied der Bürgerinitiative in Erscheinung trat.
Auch wenn sich Ton und Argumentationslinien unterscheiden: die Absage an den Moscheebau und eint NPD und CDU. Beide buhlen um die Zustimmung der xenophoben Verteidiger*innen des christlichen Abendlandes. Während die Nazipartei munter gegen eine vermeintliche Islamisierung und Überfremdung hetzen, zieht sich die CDU auf kulturelle Unterschiede und bauliche Fragen zurück: der Standort in Gohlis sein nicht geeignet für ein muslimisches Gebetshaus. „Die Union nimmt die Ängste der Menschen, die im Umfeld der geplanten Moschee leben, sehr ernst“, so der Vorsitzende der CDU Leipzig.
Auch in Bezug auf die Notunterkunft für Geflüchtete in Leipzig-Schönefeld wussten es die Konservativen ganz genau: „Die jetzt ausgewählte Unterkunft sei […] besonders ungeeignet“, so ein lokaler CDU-Stadtabgeordneter.
Wie an zahlreichen anderen Orten dieser Republik, musste die auf vier Monate begrenzte Unterbringung für etwa 100 Geflüchtete für eine aggressive Stimmungsmache herhalten. Die üblichen populistisch bis rassistischen Argumente über „zu späte Information“, „die Bedrohung der Sicherheit der Kinder“, angebliche TBC-Krankheiten und Flachbildfernseher, die den Bewohner*innen der Notunterkunft im Überfluss zur Verfügung stehen würden, machten die Runde. NPD und „besorgte Bürger*innen“ schienen die Szenerie anfangs im Griff zu haben. Eine eilige Kundgebung der NPD, an der sich am „open mic“ auch Eltern und Kinder der zur Notunterkunft benachbarten Grundschule beteiligten, ein Fackelmarsch „besorgter BürgerInnen“ und eine Infoveranstaltung der Stadt, die von aggressiven Zwischenrufen beider Parts bestimmt wurde, ließen den Begriff Pogromstimmung als legitime Beschreibung erscheinen.
Doch das Blatt wendete sich bald. Das eigens gegründete antirassistische Bündnis „Refugees welcome“ und eine aus lokaler Kirche und weiteren Stadtteilakteuren gegründete „Willkommensinitiative“ gaben Kontra. Die ab Anfang Dezember ankommenden Geflüchteten wurde mit Solidaritätskundgebungen begrüßt, praktische Unterstützungsstrukturen aufgebaut und gegen die folgenden drei Naziaufmärsche an der Unterkunft Protest organisiert.
Die Versuche der NPD der rassistischen Hetze einen bürgerlichen Anstrich zu geben, scheiterten. Sowohl eine ominöse Elterninitiative, die sich aus einer handvoll Partei-AnhängerInnen aus der Elternschaft der Grundschule speist, oder die Gründung eines Bürgerbündnisses namens „Leipzig steht auf“ konnten recht schnell als Naziveranstaltungen enttarnt werden. Zuletzt beteiligten sich am 3.2. an die 1000 Menschen an einer kurzfristig organisierten antirassistischen Gegenkundgebung an der Notunterkunft.
Bis Ende März 2014 werden die Geflüchteten aus der Notunterkunft in andere Häuser umziehen. Nur ein Bruchteil von ihnen wird nach einem zähen und erniedrigenden Asylverfahren dauerhaft in Deutschland bleiben können.
Die NPD wird die kommenden Monate nutzen um im Rahmen des Kommunal- und Landtagswahlkampfes weiter Stimmung gegen Asylsuchende und Muslime zu machen. Dabei wird ihr das Terrain von der CDU streitig gemacht. Erst kürzlich rühmte sich der Freistaat bei den Abschiebungen bundesweit vorn zu liegen und sprach sich für die sofortige Ausweisung von „kriminellen Antragsstellern“ aus.
Es wäre Augenwischerei zu behaupten, dass mit der Marginalisierung von rassistischen Akteuren wie der NPD und ihren Tarnorganisationen, die virulenten alltagsrassistischen Einstellungen verschwinden würden.
Die Leipziger Bundestagsabgeordnete Bettina Kudla hat bereits eine neue Steilvorlage für den Volkszorn geliefert: der Standort für die geplante Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende in Leipzig sei „nicht günstig“. Sie hielte es für problematisch, „wenn man in ein Gebiet, das sich in den letzten Jahren als attraktiver Wohnstandort mit einem starken Zuzug von Familien mit Kindern entwickelt hat, ein Erstaufnahmelager errichtet.“
Jule Nagel, transmitter™, siehe auch hier