Neoliberales Flüchtlingsmanagement im Zeichen der Abschottung

IMG_20160408_155326630Die Asylrechtsverschärfungen und der mit der Aufnahme von Geflüchteten verbundene Verwaltungskollaps haben zu zahlreichen Neuerungen geführt. Versuch eines bewertenden Überblicks.

Mit acht Asylrechtsveränderungen in den vergangenen drei Jahren hat sich die Situation für Geflüchtete in Deutschland strukturell extrem verschlechtert. Die Veränderungen bedeuten vor allem die Einschränkung rechtsstaatlicher Asylverfahren und damit den verschlechterten Zugang zum Schutzstatus, die Ausweitung der Ausweisungsgründe und die Senkung der Barrieren für den Vollzug der Ausweisung. Geringfügige Verbesserungen beim Zugang zu Menschen- und Grundrechten wie der Bewegungsfreiheit und Gesundheitsversorgung wurden und werden wieder zurückgenommen und mit dem von CDU und SPD auf den Weg gebrachten Integrationsgesetz wird eine unerträgliche, leistungsorientierte Sanktionslogik implementiert werden. Geflüchtete werden einer doppelten Diskriminierung unterworfen: sie werden qua Nicht-Zugehörigkeit und Nicht-Status strukturell gehindert an dieser Gesellschaft teilzuhaben – z.B. durch Arbeitsverbote, Vorrangprüfung, Residenzpflicht, Wohnsitzauflage – und werden um ein vielfaches mehr unter Druck gesetzt sich dieser Gesellschaft und ihren Prämissen unterzuordnen, sowohl durch alltägliche üble, oft rassistisch geprägte Nachrede, als auch institutionell, zum Beispiel durch Leistungskürzungen bei Verletzung der Integrationskurspflicht oder Ablehnung von 1,05 Euro-Jobs.

Während AfD, CSU und Teile der CDU weiterhin einen oft plumpen, nationalistisch motivierten Rassismus und einen prinzipiellen, völkisch angehauchten Abschottungskurs pflegen, wenden andere Teile der CDU, SPD, aber leider auch Teile der Grünen Migration und Schutzgewährung ins Neoliberale. Menschenrechte spielen in diesem Flow keine Rolle mehr, sondern die Nützlichkeit und (erzwungene) Anpassungsfähigkeit der Betroffenen. Bei beiden sich eher annähernden Lagern geht es aus pluralen Gründen zuvorderst um die Steuerung der Migration und um die Unterordnung, ob unter ein Herkunftskollektiv oder eine Leistungslogik.

Es ist kein Wunder, dass es gerade die von der rot-grünen Bundesregierung von der klassischen Behörde zur „effektiven und kundenorientierten Agentur“ umgestalteten Bundesagentur für Arbeit ist, die dem Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge (BAMF) derzeit strukturelle Nachhilfe gibt. In den so genannten Aufnahme- bzw. Ankunftszentren, von denen es in Sachsen derzeit drei gibt (siehe unten), werden die vorgeladenen Geflüchteten demnach auch „KundInnen“ genannt. Perfide, wenn mensch bedenkt, dass sie sich quasi um ihre grundlegende Existenz bewerben. Dabei geht es durchaus um mehr als soziale Sicherung, um die in Deutschland geborene Deklassierte ringen müssen, sondern um das Recht hier überhaupt existieren zu dürfen.

Die Konsequenzen der Asylrechtsverschärfungen der vergangenen Jahre sind folgenreich und in ihren genauen Konsequenzen noch nicht abzusehen. Die Schließung von Transitrouten und der maßgeblich von Angela Merkel eingerührte EU-Türkei-Deal haben dazu geführt, dass Geflüchtete insbesondere in Griechenland in einer Sackgasse sitzen, was sowohl eine humanitäre Katastrophe bedeutet als auch ein eklatantes, aber kalkuliertes Versagen der Europäischen Gemeinschaft bei einer humanitären Pflichtaufgabe.

Fakt ist, dass die sinkende Zahl von Geflüchteten (in den ersten drei Monaten des Jahres 2016 wurden bundesweit 176.465 Erstanträge gestellt, in Sachsen waren es 6107 – dies sind immer noch mehr als im Vergleichszeitraum 2015) die Situation bei der Aufnahme entspannt. Von 18.000 vorgehaltenen Plätze waren Mitte April 2016 zirka 3000 belegt.

Die mit dem Asylpaket I einhergehende Verlängerung der Aufenthaltsdauer in den Aufnahmeeinrichtungen von drei auf sechs Monate wird in Sachsen derzeit nicht ausgeschöpft. Allerdings bringt das im Oktober 2015 beschlossene so genannte „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ andere erheblich Einschnitte mit sich. Geflüchtete aus den so bezeichneten „sicheren Herkunftsstaaten“ müssen bis zum Ende ihres Asylverfahrens, was in der Regel mit Ablehnung und Ausreisepflicht endet, in den Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben und sind dort krassen Restriktionen, wie der Residenzpflicht, Arbeitsverboten und dem Sachleistungsprinzip unterworfen. Das Gesetz komplettierte zudem die Reihe der vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten: zu Serbien, Mazedonien und Bosnien kamen Albanien, Kosovo und Montenegro hinzu. Aktuell sind die Maghrebstaaten Algerien, Marokko, Tunesien wider jeder Sachargumente in der Pipeline „sichere Herkunftsstaaten“.

Mit der Deklaration von Staaten als „sichere Herkunftsstaaten“ wird pauschal festgestellt, dass es in diesen Ländern keine staatliche Verfolgung, Krieg oder ähnliches gibt.
Länder können faktisch allerdings nicht per se als “sicher” eingestuft werden. Internationale Verträge und das Grundgesetz definieren Asyl als Individualgrundrecht, d.h. Asyl wird Einzelpersonen mit individuellen Fluchtgründen gewährt. Deshalb muss jeder Asylantrag einzeln und intensiv geprüft werden. Eine hohe Ablehnungsquote bedeutet nicht, dass in einigen Fällen nicht doch Asyl gewährt wird. Das Bundesverfassungsgericht urteilte im Jahr 1996 über das im Zuge des perfiden Asylkompromisses von CDU und SPD im Grundgesetz verankerten Prinzips der sicheren Herkunftsstaaten u.a., dass „für die Bestimmung eines Staates zum sicheren Herkunftsstaat der Gesetzgeber sich anhand von Rechtslage, Rechtsanwendung und allgemeinen politischen Verhältnissen aus einer Vielzahl von einzelnen Faktoren ein Gesamturteil über die für politische Verfolgung bedeutsamen Verhältnisse in dem jeweiligen Staat zu bilden“ hat. Genau dieses Prinzip missachtet die BRD immer wieder. Entschieden wird nach migrationspolitischen Erwägungen, wie jüngst in der Anhörung zur geplanten Erklärung von Algerien, Marokko und Tunesien zu so genannten „sicheren Herkunftsstaaten“ deutlich wurde. Die Regierungsparteien missachten, unterstützt von den Grünen, systematisch die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichtes, vor allem aber die Zustände in den Herkunftsländern.
Außer einer Beweislastumkehr und einem damit einhergehenden Abbau rechtsstaatlicher Garantien im Asylverfahren bringt das Prinzip der sicheren Herkunftsstaaten auch im Sinne seiner eigenen Logik recht wenig. Die Zahlen des vergangenen Jahres widerlegen auch den Abschreckungscharakter dieses Schrittes.

Auch in Sachsen müssen Geflüchtete aus den sicheren Herkunftsstaaten seit Ende November 2015 in den Erstaufnahme-Einrichtungen verharren und werden nicht mehr in die Kommunen verteilt. Im Februar 2016 betraf dies fast 300 Menschen, vor allem aus Albanien (siehe Kleine Anfrage Drs 6/ 3869). Gleiches wird zukünftig auch Geflüchtete aus Algerien, Marokko und Tunesien betreffen.
Fragwürdig sind sowohl die Dauer des Aufenthalts als auch der Zugang zu garantierten Rechten, wie Bildung, Beratung, Information und vieles mehr. Für die betroffenen Geflüchteten gelten alle bekannten Restriktionen wie Residenzpflicht, Arbeitsverbote oder gar das Sachleistungsprinzip.

Der Bund und auch der Freistaat haben sich in den vergangenen Monaten weitere Dinge einfallen lassen um die Asylverfahren, die Aufnahme und Abschiebungen „effizienter“ zu gestalten:

1. Die Aufnahme- bzw. Ankunftszentren
Mit den so genannten Aufnahmezentren will das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) „mehr Effizienz beim Flüchtlingsmanagement“ schaffen. Die Asylverfahren sollen dort in kürzester Zeit unter einem Dach abgearbeitet werden. Dafür werden Geflüchtete in so genannte „Cluster“ eingeteilt: A sind die Herkunftsländer mit sehr guter Bleibeperspektive (Syrien, Eritrea und religiöse Minderheiten aus dem Irak), B die aus den so genannten „sicheren Herkunftsstaaten“ und C – der Rest, die so genannten „komplexen Fälle“. A und B sollen idealerweise in 48 Stunden bearbeitet werden, die nicht darunter fallen, müssen sicherlich weiterhin lange Verfahren in Kauf nehmen. (zur Clusterlogik kann hier beim BAMF nachgelesen werden)
In Sachsen gibt es mittlerweile drei dieser – hier Ankunftszentren genannten – Einrichtungen, in Chemnitz, Dresden und Leipzig (zu den genauen Standorten und MitarbeiterInnenzahlen siehe Kleine Anfrage Drs 6/ 4288). Bundesweit sollen es wohl 23 werden.
Im Rahmen eines Besuches im Leipziger Zentrum in der Brahestraße konnten wir im April einen kleinen Einblick in die Abläufe gewinnen. Zunächst werden dort derzeit die Geflüchteten „behandelt“, die im Laufe des vergangenen Jahres ohne Aktenanlage beim BAMF in die Kreise und Städte verteilt wurden. Sie kommen morgens im Ankunftszentrum an, dann folgen die bekannten Prozesse (Personendatenaufnahme, ED-Behandlung, Aktenanlage…), am darauffolgenden Tag – momentan übernachten die Geflüchteten eine Nacht im neu eröffneten Erstaufnahme-Lager in den Braunstraße – folgt bereits die Anhörung. Die Entscheidung über den Asylantrag wird den Geflüchteten aus den Kategorien A und B nach kurzer Zeit übermittelt.

Fragwürdig ist inwieweit die Geflüchteten, die im normalen Verfahrensgang direkt aus den Erstaufnahmeeinrichtungen in die Aufnahmezentren ankommen ausreichend auf die Prozesse und Verfahren vorbereitet bzw. informiert werden. Auch die Antwort auf eine entsprechende Kleine Anfrage bleibt nebulös (siehe Kleine Anfrage Drs 6/ 4910).

Die Ankunftszentren sind nicht mit den Besonderen Aufnahmeeinrichtungen aka Abschiebezentren zu verwechseln, wie es sie im bayerischen Manching und Bamberg gibt. Dort werden Geflüchtete „ohne Bleibeperspektive“ festgehalten und mit zusätzlichen Restriktionen belegt.  Vor kurzem kritisierten hochrangige Juristen diese Prozedere, sie fürchten um die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze.  In Sachsen sind die betreffenden Geflüchteten verteilt auf verschiedene Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht, die Logik der Schnellverfahren ist dieselbe.

„Mehr Effizienz im Asylverfahren“ bedeutet zwar schnellere Entscheidungen über die Asylanträge, vor allem aber die drohende Unterminierung von Verfahrensgarantien. Die beschleunigten Abläufe bedeuten weiterhin, dass die Geflüchteten kaum noch durch UnterstützerInnenngruppen erreicht und beraten werden können.

2. Verteildrehkreuz
Eine weitere Erfindung – in diesem Fall der sächsischen Staatsregierung – ist das so genannte Verteildrehkreuz, nicht zu verwechseln mit dem Abschiebedrehkreuz, das im vergangenen Jahr durch die Medien geisterte. Das Verteildrehkreuz ist auf dem Gelände ehemaligen Flughafens Mockau angesiedelt, wird von der Landesdirektion und dem DRK betrieben und soll als zentrale Verteilstelle für in Sachsen ankommende Geflüchtete fungieren. Hier werden sie registriert und betreut und sollen nach Plan innerhalb von 48 Stunden auf die Erstaufnahmeeinrichtungen verteilt werden, wo dann auch die medizinische Erstuntersuchung stattfindet. Das so bezeichnete Drehkreuz umfasst zirka 1300 Plätze in Großzelten. Im Moment ist das neue Konstrukt aufgrund der gesunkenen Zahlen von ankommenden Geflüchtetende facto nicht in Betrieb.

3. Ausreisegewahrsam
Im Dezember 2015 verkündete der sächsische Innenminister den Plan in Sachsen einen so genannten Ausreisegewahrsam zu schaffen. Diese Einrichtung ist eine direkte Folge des im Juli 2015 durch den Bundestag gebrachten „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung. Mit diesem wurde ein neuer § 62b ins Aufenthaltsgesetz eingeführt, nach dem Geflüchtete „zum Zwecke der Sicherung der Durchführbarkeit der Abschiebung auf richterliche Anordnung“ bis zu vier Tagen in Gewahrsam genommen werden können. Weder über den genauen Standort, die Kapazität noch die anderweitige Ausgestaltung dieser faktischen Abschiebehaft ist das Innenministerium bisher aussagefähig bzw. -willig.

4. Abschiebeflughafen Leipzig/ Halle
Zwar nicht als „Abschiebedrehkreuz“, aber als zentralen Ort für Sammelabschiebung von Geflüchteten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und weiteren Bundesländern nutzt der Freistaat den Flughafen Leipzig-Halle. Zu erklären was ein „Abschiebedrehkreuz“ überhaupt ist, hält die Staatsregierung in Antwort auf eine Kleine Anfrage von mir „für entbehrlich“.
Fakt ist, dass der Leipziger Flughafen für die Abschiebepraxis von Sachsen und der benachbarten Bundesländer eine zentrale Bedeutung hat. In den ersten drei Monaten des Jahres 2016 wurden aus Sachsen so viele Menschen, nämlich 1.177, abgeschoben wie im gesamten Jahr 2014 nicht. Damals waren es 1 037. Betroffen sind überwiegend Geflüchtete aus den vermeintlich „sicheren Herkunftsstaaten“ des Westbalkans.

 

Die gesamte Wucht der Asylrechtsverschärfungen wird sich wohl erst sukzessive zeigen. Sie ist zusammen mit der Logik der Abschottung der gesamten EU vor Geflüchteten zu denken.
Für eine emanzipatorische Linke wirkt die Lage aussichtslos, aufgeben geht allerdings nicht. Das Paradigma der offenen Grenzen, der Überwindung der Nationalstaats- und Staatsbürgerschaftslogik, aber auch einer globalen Transformation hin zu einer solidarischen, gerechten und freiheitlichen Gesellschaft ist drängend wie noch nie.

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Initiativkreis Menschen.Würdig: Visionen für eine menschenrechtsorientierte Asylpolitik

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* Bild: Erstaufnahmelager Schönefeld, Braunstraße

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